Nach Berliner Silvesterkrawallen Große Pläne, große Ernüchterung
Nach den Angriffen auf Rettungskräfte in der Berliner Silvesternacht war die Aufregung groß - und die Debatte laut. Es folgten Gipfel gegen Jugendgewalt und Absichtserklärungen. War's das?
Wenn Baris Coban sich die Bilder von dem brennenden Bus aus der Neuköllner Silvesternacht anschaut, dann wird der Feuerwehrmann emotional. "Man versucht das abzuhaken, aber ich merke, dass das eine Narbe hinterlassen hat", erzählt der 34-Jährige rückblickend. Coban war in jener Nacht im Einsatz und auf dem Weg zu dem brennenden Bus. Zusammen mit seinen Kameraden geriet er dabei in einen gezielten Hinterhalt und wurde angegriffen.
Erst war da viel Wut, berichtet der dreifache Familienvater. Heute, sechs Monate später, setzt er auf Präventionsarbeit. Er will in den kommenden Monaten in Neuköllner Schulen und in Jugendclubs gehen. Der aktive Gewerkschafter möchte sich und seine Arbeit vorstellen. Er will zeigen, dass Menschen hinter der Feuerwehruniform stecken.
Neuer Senat im Amt
Auch politisch hatte jene Silvesternacht in Berlin Folgen. Es begann eine laute, aufgeregte Debatte über Integration, härtere Strafen und Jugendarbeit. Zumal die Parteien in der Hauptstadt gerade mitten im Wahlkampf waren.
Die Antwort des damaligen rot-rot-grünen Senats der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey auf die Krawalle in der Silvesternacht waren zwei eilig einberufene sogenannte Gipfel zu Jugendgewalt. Man beschloss, in diesem und im kommenden Jahr 90 Millionen Euro für Maßnahmen gegen Jugendgewalt auszugeben. Allein 60 neue Sozialarbeitende sollen in Problemkiezen zum Einsatz kommen - und zwar zügig, wie Giffey noch kurz vor der Abgeordnetenhauswahl im Februar ankündigte. "Wenn wir etwas verändern wollen, dann muss das jetzt auf die Straße. Sonst kommt das nicht mehr in den Jugendeinrichtungen an. Deshalb kann man jetzt nicht warten, bis sich eine neue Landesregierung gebildet hat und alle ihre Schreibtische eingeräumt haben."
Genau das aber ist passiert, berichtet ihr Parteikollege Martin Hikel. Er ist Bürgermeister in Neukölln. Berlin wird mittlerweile von einer Koalition aus CDU und SPD regiert. Gerade verhandelt diese über den Haushalt und bespricht, wofür sie eigentlich Geld ausgeben will. Hikel sagt, dass er nach einer ersten Welle der Euphorie Anfang des Jahres mittlerweile sehr ernüchtert ist. "Ich sehe durchaus die reale Gefahr, dass wir uns bei nächster Gelegenheit wieder mit großen Augen anschauen und fragen, wie es dazu nur kommen konnte."
Es braucht Geld und Stellen
Der Jugendclub "Yo!22" in Neukölln ist eine der Einrichtungen, die von den 90 Millionen Euro, die der Senat versprochen hat, profitieren könnte. Ein beliebter Treffpunkt für Neuköllner Jugendliche. Die meisten, die hierher kommen haben eine Migrationsgeschichte. Mahmoud, der gerade sein Abi gemacht hat, erzählt, dass die Debatte über Vornamen und vermeintliche "kleine Paschas" bei ihm ein ungutes Gefühl hinterlassen habe. "Ich hatte mit den Ausschreitungen absolut nichts zu tun. Mir ist natürlich klar, dass die nicht alle Neuköllner meinen, aber ich fühle mich in eine Schublade gesteckt." Er fühle sich schlecht, wenn er unterwegs sei. "Ich habe das Gefühl, die Leute auf der Straße schauen mich an und denken, dass ist einer von denen."
Im "Yo!22" haben die Sozialarbeiter große Pläne für die kommenden Monate. Sie würden gern ihr Mentorenprogramm erweitern, um noch mehr Jugendliche unterstützen zu können. An Silvester wollen sie öffnen, um ein Alternativangebot für die Jugendlichen des Bezirks zu schaffen. Für all das braucht es allerdings Geld und Stellen, berichtet Mounieb Al Said. Er arbeitet im "Yo!22" als Mentor. "Die Umsetzung ist das Wichtigste. Davon allerdings haben wir noch nicht all zu viel gesehen. Da muss jetzt was passieren, sonst haben hier eine Silvesternacht 2.0."
Taskforce für Angriffe gegen Rettungskräfte
In der Silvesternacht vor sechs Monaten wurden Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr in Berlin mit Raketen beschossen, zum Teil aber auch mit Eisenstangen, Steinen und Flaschen angegriffen. Die Staatsanwaltschaft hat daraus Konsequenzen gezogen und eine Taskforce gegründet. Diese kümmert sich jetzt allein um die Angriffe auf Rettungskräfte. Bislang wurden solche Fälle in mehreren Abteilungen bearbeitet. In mehr als 15 Fällen wurden bislang Anklagen erhoben. Insgesamt liegen der Taskforce mehr als 110 Ermittlungsverfahren vor.
Mit Blick auf den kommenden Jahreswechsel fordert die Gewerkschaft der Polizei ein weitgehendes Böllerverbot in der Stadt. Dann wären auch weniger Menschen auf den Straßen unterwegs, sagt Sprecher Benjamin Jendro, was es den Einsatzkräften die Arbeit erleichtern würde. Dass sich nach den Jugendgewaltgipfeln noch nichts in der Stadt getan hat, kritisiert er. Jendro fordert darüber hinaus einen langfristigen Plan der Stadt, wenn es um Angriffe auf Rettungskräfte geht: "Hier ist kein Schnellschuss gefragt, hier braucht es eine Strategie. Wenn man ständig angegriffen wird, dann macht das auch psychisch was mit einem. Das hinterlässt seelische Spuren."