Steinmeier zu sozialer Pflichtzeit "Einmal im Leben etwas für andere tun"
Im Bericht aus Berlin wirbt Bundespräsident Steinmeier für eine soziale "Pflichtzeit" für jeden und bekräftigt die Unterstützung für die Ukraine. Dass gerade letzteres Ängste hervorruft, sei ihm bewusst, doch er sehe darin eine "Orientierungsaufgabe".
Nicht alle Gespräche sind angenehm, wenn der Bundespräsident seinen Amtssitz verlegt. In Neustrelitz begegnet Frank-Walter Steinmeier einer Frau, die im vorwirft, über Ostdeutschland als "Dunkeldeutschland" gesprochen zu haben. Der Bundespräsident widerspricht, aber das Gespräch findet keinen gemeinsamen Nenner. Am Ende wendet sich der Bundespräsident ab. Das gemeinsame "Wir" als Gesprächsgrundlage scheint schlicht aufgebraucht.
In einem anderen Gespräch mit einer Fischverkäuferin auf dem Neustrelitzer Markt macht Steinmeier eine bessere Figur. Die Frau berichtet von ihren Sorgen: Der Umweltschutz gehe zu weit, sie könne in immer weniger großen Gewässerflächen ihrem Gewerbe nachgehen. Steinmeier ist interessiert, fragt nach. Hinterher wird sie in eine Kamera sagen, wenn alle so ein Profil hätten wie der Bundespräsident, sei man ein Ende weiter, aber das habe man leider nicht.
Solche Gespräche sind der Grund, warum der Bundespräsident seinen Amtssitz immer wieder aus Berlin hinaus verlegt. Im Interview mit Tina Hassel im Bericht aus Berlin sagt Steinmeier, er wolle mit den Leuten ins Gespräch kommen, weil ihm klar sei, dass viele der Hauptstadtdebatten in breiten Teilen des Landes gar nicht ankämen. Einzige Bedingung sei, dass man in Respekt voreinander die unterschiedlichen Positionen austausche.
Steinmeier wirbt für Modell der Pflichtzeit
Eine dieser Positionen des Bundespräsidenten ist die sogenannte soziale Pflichtzeit. Jeder, so Steinmeier im Interview, solle einmal im Leben etwas tun für andere Menschen, die ihm fremd seien. Das solle auch nicht auf eine bestimmte Altersklasse beschränkt werden. Sein Vorstoß dazu sei als Debattenbeitrag zu verstehen.
"Wenn es bessere Ideen gibt als die Pflichtzeit, bin ich gerne bereit, die zu diskutieren", sagt er. Was nur nicht geschehen solle, sei, dass die Debatte wieder im Nichts ende.
Konflikte mit Respekt austragen
Im Interview bekommt Steinmeier irgendwann einen Film gezeigt. Es geht um einen Konflikt in der kleinen Gemeinde Steinalben in der Südwestpfalz. Dort soll ein Solarpark entstehen. Der hätte viele Vorteile für die Gemeinde aber unter anderem Nachteile für den Artenschutz.
Solche Konflikte seien ihm schon ein paar Mal begegnet während seiner Reisen im Land. Das sei aber nicht allein repräsentativ für den Zustand unserer Gesellschaft. Die Menschen im Land hätten zum Beispiel etwa eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Nach der Katastrophe im Ahrtal habe es dort tausende Menschen gegeben, die in ihrer Freizeit beim Wiederaufbau geholfen hätten. Ja, es gebe Konflikte, aber wenn sie wie in Steinalben mit Respekt voreinander ausgetragen würden, sei ihm nicht bange.
Abkehr von pro-russischer Haltung
Der Bundespräsident stand in den vergangenen Monaten häufiger auch in der Kritik. Besonders seine Fotos mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow verfolgen ihn immer wieder. Doch Steinmeier hat sich von seiner früheren Russlandpolitik abgewandt.
Vor gut zwei Wochen besucht er die Ukraine, erlebt hautnah, was es heißt, im Luftschutzbunker ausharren zu müssen. In einer Rede im Anschluss an die Reise sagt er: "Wenn wir auf das Russland von heute schauen, dann ist eben kein Platz für alte Träume. Unsere Länder stehen heute Gegeneinander."
Steinmeier müsse "kommunikativer Wegweiser" sein
Damit trifft er in den Augen von vielen Beobachtern den richtigen Ton. Das müsse Steinmeier aber viel häufiger tun, sagt Kommunikationsexperte Johannes Hillje dem ARD-Hauptstadtstudio:
Kommunikation ist in einer Krise besonders wichtig. Die Menschen suchen an vielen Stellen nach Orientierung, auch nach Hoffnung. Und er könnte und müsste so etwas wie ein kommunikativer Wegweiser sein. In einer Zeit, in der sich viele verunsichert fühlen.
"Deutschland wird keine Kriegspartei"
Rund 57 Prozent der Menschen in Deutschland fürchten, dass die Bundesrepublik in den Ukraine-Krieg hineingezogen wird. Das geht aus einer Umfrage von Infratest-Dimap für den ARD-DeutschlandTrend hervor.
Er sehe darin eine Orientierungsaufgabe des Bundespräsidenten, sagt Steinmeier. Man könne nicht sagen, "dieser Krieg geht uns nichts an". Der Krieg werde gegen alles geführt, wofür Deutschland stehe: "für Freiheit und Demokratie, für Respekt vor dem Recht und gezogenen Grenzen". Die Bundesregierung handle daher richtig. Deutschland müsse die Ukraine nach Kräften unterstützen, betont Steinmeier: "Finanziell, politisch, wirtschaftlich, auch militärisch." Aber Deutschland sei nicht Kriegspartei und werde es auch nicht.