Stephan Weil Kümmerer oder Zauderer?
Manche kritisieren ihn als bräsig, andere mögen seine bodenständige Art: Stephan Weil hat für die SPD auch Wahlen gewonnen, wenn nichts danach aussah. Nun will er zum dritten Mal Ministerpräsident von Niedersachsen werden.
Der schwarze VW-Bus am Rande der Delmenhorster Innenstadt ist nicht zu übersehen. Er ist großflächig plakatiert mit dem Konterfei von Stephan Weil. Die Tür geht auf, der Mann steigt aus. Allerdings sieht er nicht mehr ganz so entspannt aus wie auf den Bildern am Bus. Der Sommer ist schließlich vorbei - und die heiße Wahlkampfphase hat begonnen.
Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen und erneut SPD-Spitzenkandidat. Er ist nach Delmenhorst gekommen, um zu antworten - auf die Fragen der Wählerinnen und Wähler. Und die wollen viel wissen von dem Mann, der sich um seine dritte Amtszeit bewirbt: Wie will die SPD die Bildungsprobleme in Niedersachsen lösen? Wie geht es mit der Energiekrise weiter? Und wie können die kleinen und mittelständischen Unternehmen diese Phase überleben?
Wahlkämpfer Weil: lieber Hannover als Berlin
Kümmerer und Krisenmanager
Seit Weil vor fast zehn Jahren zum ersten Mal in das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, reihen sich die Krisen nur so aneinander: Zuwanderung, Pandemie und jetzt die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. "Ich habe mich nicht darum beworben, möglichst viele Krisen zu bewältigen", sagt er. Aber jetzt sei das eben so. Weil gefällt sich als Kümmerer und Krisenmanager. Er setzt darauf, dass die Menschen in diesen turbulenten Zeiten auf Sicherheit - also auf ihn - setzen, das hat er in den vergangenen Wochen mehrfach betont.
Er beantwortet jede noch so kleinteilige Frage, er erklärt hochkomplexe politische Entscheidungen fast so, wie man es sonst nur aus Kindersendungen kennt. Der SPD-Politiker: "Die Fragezeichen in den Gesichtern der Menschen beim Thema Energie sind unübersehbar, das ist das dominierende Thema." Dass es dabei hauptsächlich um Bundespolitik geht, stört Weil wenig. In Delmenhorst kommt das an. Weil sei der Richtige Mann in der Krise, er sei empathisch, verstehe die Menschen, meint eine Frau. Sie wisse, was sie von ihm erwarten könne. Sicherlich trägt Weil auch der Amtsbonus durch diese Phase.
Wahlkämpfer Weil beim Godshorner Straßenfest.
Nicht alles klappte
Dass er ein guter Krisenmanager sei, das sahen in den vergangenen fünf Jahren auf politischer Ebene nämlich nicht alle so. Die Opposition im niedersächsischen Landtag hat dem Ministerpräsidenten in der Pandemie immer wieder vorgeworfen, zu zaudern, zu langsam zu sein, die Menschen nicht richtig aufzuklären. Mehrfach wurden Corona-Regeln vom Verwaltungsgericht in Lüneburg gekippt. Außerdem urteilte der Staatsgerichtshof, dass die rot-schwarze Landesregierung die Oppositionsfraktionen zu Beginn der Pandemie nicht ausreichend in die Entscheidungen eingebunden habe.
Auch sonst hat so manches nicht funktioniert, was sich der Sozialdemokrat vorgenommen hatte. Zwar setzte er seine prägnantesten Wahlversprechen um: Kitagebühren wurden abgeschafft, ein neuer Feiertag eingeführt. Gleichzeitig ist er aber eben auch gescheitert: Die Pflegekammer in Niedersachsen ist gegen die Wand gefahren. Und auch seinen Plan, ein Paritätsgesetz für den Landtag einzuführen, konnte er nicht realisieren. Der soziale Wohnungsbau kam auch in seiner Amtszeit nicht voran.
Stephan Weil zusammen mit SPD-Bundesprominenz im Wahlkampf in Cuxhaven.
Vorruheständler mit 80-Stunden-Woche?
Kritische Stimmen sagen über Weil, er sei "bräsig" geworden. Er habe es sich in seinem Amt ein bisschen zu gemütlich gemacht. Sein CDU-Herausforderer Bernd Althusmann - selbst 55 Jahre alt - verweist immer wieder darauf, dass sich der 63-jährige SPD-Spitzenkandidat um den Vorruhestand bewerbe.
Weil lässt das sich an sich abprallen. "Meine Vorstellung von Vorruhestand deckt sich nicht ganz mit der 80-Stunden-Woche, die man in dem Amt nun mal hat", sagt er und grinst dabei schelmisch. Das tut er oft in Situationen, in denen er glaubt, schlagfertig zu sein - die Herausfordernden geschlagen zu haben. Immerhin liegt er in Umfragen, in denen es um die Direktwahl geht, weit vor seinem Noch-Koalitionspartner und Vize-Regierungschef Althusmann.
Politprofi weiß sich zu inszenieren
Der SPD-Spitzenkandidat ist inzwischen auf dem Herbstmarkt in Hannovers Stadtteil Buchholz angekommen. Es regnet in Strömen, seine Laune trübt das aber nicht. Er spannt seinen roten Regenschirm mit SPD-Logo auf, läuft über die Meile, grüßt die Menschen und verlost schnell noch bei einer Tombola eine Reise nach Berlin. "Er macht auch echt alles mit", sagt eine Genossin mit einer Mischung aus Stolz und Verwunderung.
Weil ist Politprofi, er weiß sich zu inszenieren. Pannen gibt es kaum. Dafür große Bilder - das vom "biertrinkenden Ministerpräsidenten" hat er selbst geprägt. Auch mit der Aussage, er sei "unter Willy Brandt zum Sozi geworden", spielt er gerne. Er will nah an den Wählerinnen und Wählern sein, aber er will eben auch, dass die Menschen genau das sehen. Bisher hat das gut funktioniert, zuletzt sogar überraschend gut. Als die SPD 2017 mit Martin Schulz bei der Bundestagswahl eine massive Wahlniederlage einstecken musste, hat Weil es zum ersten Mal seit 1998 geschafft, dass die Partei in Niedersachsen wieder stärkste Kraft wurde. Das machte Eindruck in Berlin, 2019 war er als SPD-Chef im Gespräch.
Hannover statt Berlin
Weil wechselte nicht auf die Bundesebene. Er blieb in Hannover. Weil gehe nur Wege, von denen er wisse, dass sie nicht zum Scheitern verurteilt seien, sagen Vertraute.
Der SPD-Spitzenkandidat ist in Hannovers politischen Hinterzimmern sozialisiert worden. Er hat die politische Blüte des niedersächsischen Sozialdemokraten Sigmar Gabriel miterlebt, war Stadtkämmerer, als Gerhard Schröder vom Ministerpräsidenten zum Bundeskanzler aufstieg. Weil hat aber auch gesehen, wie hart der politische Absturz auf Bundesebene sein kann, etwa bei Andrea Nahles. In Niedersachsen war Weil dagegen sicher. Auch jetzt gibt er sich siegesgewiss. Mit dem Gedanken einer möglichen Wahlniederlage habe er sich noch nicht weiter befasst. Weil setzt auf Plan A.