Tiergartenmord-Prozess Klartext - aber nicht vor Gericht
Hat der mutmaßliche Täter des Berliner Tiergartenmordes mit russischen Diensten gearbeitet? Kennt er gar Putin? Ein Zeuge aus der Ukraine hat Antworten. Doch seine Aussagen sind umstritten.
Üblicherweise geht es ruhig und sachlich zu während der Hauptverhandlung im Tiergartenmord-Prozess vor dem Berliner Kammergericht. Doch am Dienstag wurde es lebendig: Strafverteidiger Robert Unger und die Nebenklagevertretung gerieten in einen Schlagabtausch, den der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi bald mit der Anordnung einer Pause unterbrach.
Es geht um einen Zeugen aus der Ukraine, der den mutmaßlichen Täter gut gekannt haben will: Als Schwager von Vadim Krasikov habe er von dessen Tätigkeit für den russischen Geheimdienst FSB und die Sondereinheit Vympel erfahren. Krasikov habe sogar durchblicken lassen, dass er Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich kennt.
Doch durch sein Vorgehen macht sich der Zeuge V. angreifbar und womöglich strafbar. Denn diese belastenden Aussagen machte er nicht vor Gericht, sondern während eines Interviews in Kiew mit Journalisten der russischen Investigativplattform The Insider, des Recherchenetzwerks Bellingcat sowie des "Spiegel".
Aufpasser statt Beschützer?
Nach Angaben von Bellingcat bot V. das Interview an, nachdem er seine Zeugenaussage in Berlin gemacht hatte. Vor Gericht, wenige Meter vom Angeklagten entfernt, habe er sich befangen gefühlt. Er habe an mögliche Attacken russischer Geheimdienste gedacht. Zeugenschutz sei ihm aber nicht zugesichert worden.
Im Zeugenstand hatte er davon gesprochen, bei detaillierteren Antworten Asyl beantragen zu müssen. Doch Asyl kann ihm das Gericht nicht versprechen - eine solche Entscheidung trifft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
In Kiew dann aber - laut "Spiegel" in "Begleitung eines bulligen Beschützers" - fühlte er sich offensichtlich sicher genug, um ausführlich über Krasikov zu sprechen. Strafverteidiger Unger stellt dies infrage. Er legte nahe, dass der Beschützer eher ein Aufpasser war und erinnerte an Vermerke, wonach die ukrainische Polizei mehrere Gespräche mit V. führte, bevor er in Begleitung eines ukrainischen Polizisten nach Berlin fuhr.
Anwältin Johanna Künne von der Nebenklagevertretung wandte ein, dass V. vor Gericht ohne Scheu Kritik an den ukrainischen Behörden geäußert habe. Auch hatte V. erklärt, dass ihn die ukrainischen Behörden nicht eingeschüchtert hätten.
Vorwürfe auf Journalisten
Verteidiger Unger warf dem "Spiegel" "erbärmliche" Arbeit vor. Schließlich unterstellte er dem Magazin, sich zum Sprachrohr des Zeugen und Bellingcats gemacht zu haben.
Bellingcat-Mitarbeiter G. hatte als Zeuge zahlreiche Indizien präsentiert. Sie sollen belegen, dass der Angeklagte nicht, wie behauptet, Vadim Sokolov heißt, sondern als Vadim Krasikov insbesondere in den Wochen vor der Tat in enger Verbindung mit dem FSB und Vympel stand. Erst nachdem Bellingcat Indizien zur Identität und zum Hintergrund des mutmaßlichen Täters veröffentlicht hatte, übernahm die Bundesanwaltschaft den Fall und formulierte in der Anklage auch den Vorwurf der Involvierung staatlicher Stellen in Russland.
Unger erklärte, eigentlich müsse die Bundesanwaltschaft von Amts wegen Ermittlungen gegen V. aufnehmen. Die Nebenklagevertretung wies jedoch darauf hin, dass dann auch ein Aussagenotstand des Zeugen geprüft werden müsse. Ein solcher gilt, wenn ein Zeuge die Unwarheit sagt, um Gefahr von sich oder Angehörigen abwenden will.
Umfangreiches Bildmaterial
Die Glaubwürdigkeit von V. ist von so großer Bedeutung, da sich angesichts des hohen Risikos kaum andere Zeugen aus dem Umfeld des mutmaßlichen Täters finden lassen dürften. V.s Aussagen könnten zudem das umfangreiche Bildmaterial aus dem Besitz der Familie einordnen, das die ukrainischen Ermittler nach Deutschland geschickt haben. Krasikov ist dort mehrfach mit zwei markanten Tätowierungen auf rechtem Unterarm und linkem Oberarm zu sehen, wie sie genauso so der Angeklagte hat.
Beim Interview in Kiew gab V. Berichte Krasikovs wieder, wonach dieser seine Laufbahn bei den russischen Sicherheitskräften in Afghanistan begonnen habe. Auch sei er ausgezeichnet worden. Bellingcat hatte darüber berichtet. Angaben zu einer überraschenden Reise Krasikovs und seiner Frau in die Ukraine 2013 und 2014 kann Bellingcat mit Reisedaten in Verbindung bringen.
Dies legt nahe, dass Krasikov sein Leben zu wesentlichen Teilen im Dienste russischer Sicherheitsdienste verbrachte und dass er sein Umfeld - durchaus mit Stolz - ein Stück weit davon wissen ließ. Bei seinem Schwager V. löste er mit seinem Auftreten Respekt und auch Bewunderung aus, wie im Interview deutlich wird. Im dem Gesprächs distanziert sich V. dann aber vom möglichen Auftragsmörder im Dienste Putins.
Gericht liegt Video vor
Er sei davon ausgegangen, so V., dass Krasikov als Mitglied der russischen Nationalgarde und damit der Leibgarde des Präsidenten Kontakt zu Putin gehabt habe. Krasikov habe angedeutet, dass er sich von Putins Fähigkeiten als Schütze habe überzeugen können. Wie viel Wahrheit und wie viel Übertreibung in den Worten liegt, lässt sich schwer nachvollziehen.
Dem Gericht liegt ein 70-minütiges Video des Interviews vor, das nun übersetzt und voraussichtlich in Ausschnitten während der Verhandlung gezeigt wird. Möglich ist, dass weitere Zeugen aus der Ukraine gehört werden.