Bundestag billigt Triage-Gesetz Regeln, die über Leben und Tod entscheiden
Es sind Regeln, die hoffentlich nie zur Anwendung kommen: Der Bundestag hat das Triage-Gesetz beschlossen. Darin wird geregelt, welche Patienten im Fall von Versorgungsengpässen bei Pandemien behandelt werden - und welche nicht.
Menschen mit Behinderung und alte Menschen sollen bei knappen Behandlungskapazitäten auf Intensivstationen im Falle von Pandemien nicht benachteiligt werden. Der Bundestag hat dazu ein Gesetz der Ampel-Koalition zur sogenannten Triage beschlossen.
Der Begriff bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte etwa bei zu wenigen Betten oder Beatmungsgeräten eine Reihenfolge festlegen, wer zuerst behandelt wird. Entschieden werden soll dem Gesetz zufolge in einem solchen Fall maßgeblich nach der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" einer Patientin oder eines Patienten. Andere Kriterien wie das Alter oder eine Behinderung sollen keine Rolle spielen dürfen.
Keine Benachteiligung für Menschen mit Behinderung
Es sei mit mehr Pandemien und Infektionskrankheiten zu rechnen, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Daher müsse man besser vorbereitet sein, so der SPD-Politiker. Und er betonte:
Aber prinzipiell muss klar sein, dass Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen auch in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden.
Auch eine Benachteiligung wegen Geschlecht oder Herkunft wird im Gesetz ausdrücklich untersagt. Ausgeschlossen wird zudem eine sogenannte Ex-Post-Triage, bei der die Behandlung eines Patienten zugunsten eines anderen abgebrochen würde. Der Gesundheitsausschuss hatte in dieser Woche noch Konkretisierungen am Gesetz vorgenommen.
Kritik von Verbänden und Menschen mit Behinderung
Behindertenverbände einerseits und Ärztevertreter andererseits hatten den Gesetzentwurf kritisiert. Die Einen fürchten, dass die Regelung nicht ausreicht, um Menschen mit Behinderung vor Nachteilen zu schützen. Die Anderen fürchten Rechtsunsicherheit und halten die Regelung in Teilen für kaum praktikabel. Sie sieht unter anderem vor, dass in bestimmten Fallkonstellationen bis zu drei Ärzte für die Zuteilungsentscheidung hinzugezogen werden müssen.
Kritik an dem Gesetz kam unter anderem auch von dem niedersächsischen Landtagsabgeordneten Constantin Grosch. Der SPD-Politiker kritisierte im Interview mit den tagesthemen, das Gesetz wie es beschlossen wurde, "erfüllt unserer Meinung nach nicht die Erfordernisse, um Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung in solchen Situationen zu schützen". Grosch, der selbst im Rollstuhl sitzt und Sprecher der Behindertenbewegung "AbilityWatch" ist, hatte zusammen mit anderen im letzten Jahr Verfassungsbeschwerde eingelegt und damit dafür gesorgt, dass ein neues Gesetzt zur Triage vorgelegt werden musste.
Doch dieses Gesetz nun ändere nichts daran, "dass Menschen mit Behinderung in einer Triage-Situation strukturell benachteiligt sind". Das mache ihm große Sorgen. Man berufe sich "auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit". Menschen mit Behinderungen hätten aber oftmals Begleiterscheinungen, die diese Überlebenswahrscheinlichkeit geringer ausfalle lasse. Ihm habe eine "breite gesellschaftliche Debatte" gefehlt.
Union fordert Regeln für weitere Situationen
Politikerinnen und Politiker mehrerer Parteien äußerten im Bundestag die Hoffnung, dass dieses Gesetz nie zur Anwendung kommen müsse. Die Union bemängelte, dass die Regelung nur für Pandemien und nicht für Naturkatastrophen, Krieg oder Terroranschläge gelten soll.
Die AfD sprach von einer Übergriffigkeit des Staates. Das Gesetz sei Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber Ärzten, denen mit bürokratischen Regeln die Möglichkeit genommen werden solle, zum Wohl der Patienten zu entscheiden.
Bundesverfassungsgericht hatte Klärung gefordert
Das Thema Triage war in der Corona-Pandemie wegen voller Intensivstationen in den Fokus gerückt. Mit der Regelung wird nun ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2021 umgesetzt. Das Gericht hatte entschieden, dass der Staat die Pflicht hat, Menschen vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung zu schützen.
Dem Gesetzgeber wurde aufgetragen, Vorkehrungen dafür zu treffen. Bisher gibt es dazu keinen Gesetzesrahmen, sondern wissenschaftlich erarbeitete Empfehlungen für Ärzte. Die nun beschlossene Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes muss noch durch den Bundesrat. Es ist aber nicht zustimmungspflichtig.