Brexit Chance für einen Neustart
Die EU sollte aus dem Brexit das Beste machen. Denn so traurig der Abschied auch ist, er bietet die Chance auf einen Neustart.
Jetzt ist er also da - der "B-Day" - der von vielen gefürchtete, von anderen herbeigesehnte Brexit-Tag. Der Tag, an dem die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland in der Europäischen Union nach über 47 Jahren endet.
Zusammenhalt wäre nun wichtig
Der Schaden ist schon jetzt enorm und er beschränkt sich nicht aufs Ökonomische: Die Briten kehren einem einzigartigen, ungemein erfolgreichen Bündnis den Rücken. Ausgerechnet in Zeiten wachsender geopolitischer Spannungen und gewaltiger Zukunftsaufgaben, wie dem Klimawandel, der Digitalisierung oder der gemeinsamen Verteidigung, wo Zusammenhalt demokratischer, freiheitsliebender Nationen so wichtig wäre, machen sie sich auf den Weg in eine neue "Splendid Isolation", die so gar nichts Strahlendes an sich hat.
Frieden, Wohlstand und Sicherheit
Zugegeben, diese Europäische Union, die die Briten da hinter sich lassen, ist alles andere als perfekt. Und sie steckte mehr als ein Jahrzehnt lang in einem schlimmen Schlamassel, den sie zum Teil selbst mitverschuldet hat. Doch sie hat sich, nicht zuletzt dank des Brexit-Schocks, in den zurückliegenden Monaten besonnen und wieder aufgerappelt. Auf der Habenseite stehen fast sieben Jahrzehnte Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit.
Trauriger Tag für 27 Länder
Errungenschaften, von denen inzwischen mehr als 500 Millionen Menschen profitieren und deren Wert man - mit Blick auf die krisen- und konfliktgebeutelte Nachbarschaft - nicht hoch genug schätzen kann. Errungenschaften, die die Briten mit ihrer Kurzschlusshandlung leichtfertig aufs Spiel setzen. Nur auf das vage und letztlich vergiftete Versprechen der Populisten hin, sie gewönnen die Kontrolle über ihr Land zurück.
Ein trauriger Tag ist dieser "B-Day" aber auch für die 27 Länder, die zurückbleiben. Mit Großbritannien verliert die EU ein politisches, wirtschaftliches und militärisches Schwergewicht, noch dazu in unsicheren Zeiten.
Das Beste draus machen
Das alles bedeutet aber nicht, dass man diesem Abschied nicht auch etwas Positives abgewinnen könnte. Schließlich hat die EU schon viele Krisen überstanden und ist stets gestärkt aus ihnen hervorgegangen. Die EU-freundlichen Kundgebungen in vielen Städten vor der vergangenen Europawahl und der wachsende Zuspruch junger Leute - auch in England - machen Hoffnung, dass der Traum von einer "immer engeren Union" noch nicht ausgeträumt ist.
Entscheidend wird sein, ob es den 27 Übriggebliebenen gelingt, diese neue Dynamik und diesen neuen Geist zu bewahren und aus dem "Verkehrsunfall", der sich Brexit nennt, das Beste zu machen.
Endlich die Reformen vorantreiben
Ohne die Briten - die auf zahlreichen Feldern europäischer Zusammenarbeit häufig als Zauderer und Bremser auftraten und sich dieser EU nie mit ganzem Herzen zugehörig fühlten - könnten Deutsche, Franzosen, Polen und Italiener endlich die Reformen vorantreiben, die die Union nach innen und außen handlungsfähiger und robuster machen, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik.
Gelingt es außerdem, die schwierigen Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Partnerschaftsabkommen mit Großbritannien - trotz des engen Zeitfensters - erfolgreich abzuschließen und die heimlichen Pläne des britischen Premiers Boris Johnsons von einem "Singapur an der Themse" zu durchkreuzen, dann könnte sich der fatale Alleingang der Briten am Ende sogar als Chance für einen Neustart erweisen.
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