Ukrainer auf Polens Arbeitsmarkt Taxi statt Stethoskop
In Polen arbeiten die meisten der Menschen, die aus der Ukraine in das Land geflohen sind - allerdings nicht alle auf dem Niveau ihrer eigentlichen Qualifikation. Was läuft in Polen anders als in Deutschland?
Mit ihrer auffälligen roten Brille und dem rosa Plüschmantel entspricht Irina Lisowska nicht dem typischen Bild eines Warschauer Taxifahrers. Ihre Geschichte allerdings ist in dieser Berufsgruppe hier nicht ungewöhnlich. Irina floh im August 2022 mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Polen. Ihr Mann arbeitet von Warschau aus als Programmierer für eine ukrainische Firma. Und sie fährt Taxi. Dabei ist die 49-Jährige Medizinerin, hat in der Ukraine als Kinderärztin gearbeitet. Und das will sie auch hier in Polen, wo doch Ärzte gesucht werden. Doch die Anerkennung ihres Abschlusses lässt noch auf sich warten.
Aber gar nicht arbeiten geht nicht, dafür sind die Mieten, das Leben in Warschau zu teuer und die finanzielle Unterstützung vom Staat zu gering. Für ihre beiden 13- und 15-jährigen Kinder bekommt sie monatlich umgerechnet zusammen 372 Euro Kindergeld. Ukrainer in Polen haben zwar kostenlosen Zugang zum Gesundheitssystem. Aber darüber hinaus gibt es kaum Hilfen.
Irinas ukrainische Bekannte in Polen arbeiteten alle, sagt sie. Das sei ganz normal. In Polen kann auf Antrag eine Einmalzahlung von umgerechnet 66 Euro sowie Kindergeld in Höhe von 185 Euro pro Monat ausgezahlt werden; darüber hinaus gibt es keine Sozialhilfe mehr.
Kaum staatliche Unterstützung in Polen
Die geringe finanzielle Unterstützung vom Staat sei ein Grund, warum die Erwerbstätigenquote unter Ukrainern in Polen mit 65 Prozent die höchste in der EU ist, sagt Łukasz Błaszczak vom Polnischen Ökonomischen Institut. Verglichen mit Deutschland, wo es mittlerweile 20 Prozent sind, ist das enorm viel. "Sie sind gezwungen, arbeiten zu gehen." Die Mieten in den großen Städten seien extrem in die Höhe geschossen, vor allem durch die hohe Nachfrage von Ukrainern seit dem Beginn des Angriffs Russlands auf ihr Heimatland. Die staatlichen Zuwendungen würden hinten und vorne nicht reichen.
Błaszczak sieht aber auch andere Gründe für die hohe Quote von ukrainischen Erwerbstätigen in Polen. So sei das Land der direkte Nachbar der Ukraine und hatte schnell auf Integration umgestellt. Das war möglich, auch weil bereits vor dem Krieg etliche Ukrainerinnen und Ukrainer in Polen Arbeit gefunden hatten. Ukrainische Arbeitskräfte auf dem polnischen Arbeitsmarkt waren schlicht nichts Neues. "Wenn man an einen Ort kommt, wo man bereits Kontakte hat, die einem eine gewissen Unterstützung bieten können, die sich auskennen, dann ist es einfacher, sich auf dem Arbeitsmarkt zurechtzufinden."
Außerdem sei die Sprachbarriere geringer als beispielsweise in Deutschland. Ukrainisch und Polnisch sind sich ähnlich. "Wir sehen in Untersuchungen, welche Rolle die Sprache spielt. Unter den Ukrainern, die Polnisch sprechen, sind 80 Prozent erwerbstätig. Bei denen, die es nicht sprechen sind es nur 50 Prozent", sagt Łukasz Błaszczak.
Polnische Wirtschaft wächst
Hinzu kommt der Bedarf an Arbeitskräften in vielen Sektoren. Anders als in Deutschland wächst Polens Wirtschaft überdurchschnittlich im EU-Vergleich. Für dieses Jahr werden 2,7 Prozent BIP-Wachstum erwartet, in Deutschland nur 0,2 Prozent.
Eine Untersuchung der EWL-Stiftung, einer Organisation zur Vermittlung ukrainischer Arbeitskräfte auf dem polnischen Arbeitsmarkt, hat allerdings ergeben, dass nur 35 Prozent der Ukrainer in Polen eine ihren Qualifikationen entsprechende Position inne hatten, wobei wiederum ein großer Unterschied zwischen den Migranten vor und nach dem Krieg besteht. Von denjenigen, die sich vor dem Krieg in Polen aufhielten, gaben 42 Prozent an, dass sie entsprechend ihrer Qualifikationen arbeiteten, verglichen mit nur 23 Prozent der Migranten, die nach Kriegsbeginn kamen. Hier gibt es Nachholbedarf bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse, damit das Potenzial der oft gut ausgebildeten Arbeitskräfte besser genutzt werden kann.
Auch Irina Lisowska aus Czernowitz in der Ukraine will endlich wieder als Ärztin arbeiten. Ihr Chancen stehen gut, auch wenn das Prozedere langwierig ist. Fürs Taxifahren schäme sie sich nicht, sagt sie. Sie kommt unter Menschen und bessert so ihr Polnisch auf.
Nach Deutschland will sie nicht, weil sie hier in Warschau Familienanschluss hat. Die viel bessere finanzielle Unterstützung dort sieht sie nicht nur positiv: "Ich denke, dass die höheren staatlichen Zuwendungen in Ländern wie Norwegen oder Deutschland, dazu führen, dass die Menschen sich weigern, Arbeit aufzunehmen." Sie selbst will niemandem etwas schuldig sein. Sie will für sich selbst und ihre Familie sorgen, ob als Ärztin oder Taxifahrerin. In die Ukraine will sie nicht mehr zurück.
Mehr zu diesem Thema heute um 18 Uhr im Bericht aus Berlin im Ersten.