Streit um Neuverschuldung und neue Gesetze EU-Kommission droht Ungarns Regierung
In der EU-Kommission wächst die Unzufriedenheit mit Ungarn. Wegen der Neuverschuldung fordert Währungskommissar Rehn ein Defizitverfahren. Aber auch der politische Druck wegen der Gesetze der Regierung Orban nimmt zu - es droht ein Vertragsverletzungsverfahren.
Von Cai Rienäcker, SWR-Hörfunkstudio Brüssel
Währungskommissar Olli Rehn machte keinen Hehl daraus, dass er mit der Entwicklung in Ungarn überhaupt nicht zufrieden ist. Das Land habe nicht genug getan, um seine jährliche Neuverschuldung abzubauen, sagte der finnische Vizepräsident der EU-Kommission. Immer wieder vertröste die Regierung in Budapest die EU mit Versprechungen, alles werde besser. Nun sei der Punkt gekommen, ein Defizitverfahren gegen das Land zu eröffnen.
Da Ungarn kein Euro-Mitglied ist, werde es keine finanziellen Sanktionen nach dem normalen Verfahren geben, sagte Rehn. Aber dem Land könnten ab nächstem Jahr Mittel aus dem Kohäsionsfonds gestrichen werden. Dieser EU-Topf macht für Ungarn ungefähr zwei Milliarden Euro aus.
Es wäre das erste Mal, dass solche Sanktionen gegen ein EU-Land eingesetzt würden. Basis dafür ist eine als Folge der Schuldenkrise bereits neu beschlossene Verschärfung des Stabilitätspakts.
Auch Ungarns IWF-Gespräche sind betroffen
Mit dem Defizitverfahren setzt die EU-Kommission Ungarn auch bei den Verhandlungen über Hilfskredite vom Internationalen Währungsfonds unter Druck. Die Gespräche über Notkredite laufen gerade wieder an, nachdem sie wegen des neuen ungarischen Gesetzes über die Zentralbank auf Eis gelegt worden waren.
Ungarn ist dringend auf diese Kredite angewiesen, um eine Pleite des Landes abzuwenden.
Auch der politische Druck wächst
Aber auch politisch will die EU-Kommission den Druck auf die Regierung von Viktor Orban verstärken. Zwar konnte sie sich heute noch nicht entscheiden, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Aber die Drohung war deutlich: "Die Kommission ist verpflichtet, alle ihre Kräfte einzusetzen, um zu beurteilen, ob nationales Recht mit dem EU-Recht übereinstimmt", sagte eine Sprecherin. "Und die Kommission hält sich das Recht offen, alle erforderlichen Schritte zu ergreifen - etwa ein Verfahren wegen Vertragsverletzung nach Artikel 258 des EU-Vertrags."
Das Verfahren soll sich gegen das neue Gesetz richten, dass nach Meinung vieler Experten die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank in Frage stellt. Außerdem geht es um umstrittene Regelungen wie die plötzliche Senkung des Rentenalters von ungarischen Richtern von 70 auf 62 Jahre, mit dem die Regierung nach EU-Einschätzung unliebsame Verfassungsrichter loswerden möchte, und das Ernennungsprozedere des Datenschutzbeauftragten in Ungarn.
Sollte es keine deutlichen Signale des Einlenkens aus Budapest geben, heißt es aus Kommissionkreisen, werde am kommenden Dienstag bei der Sitzung der EU-Kommission ein Verfahren wegen Verletzung der europäischen Verträge gegen Ungarn eröffnet.
EU-Parlamentarier wollen schärfere Maßnahmen
Vielen Europaparlamentariern ist das noch nicht genug. Vor allem aus den Reihen der Liberalen kommt der Ruf nach weitergehenden Schritten gegen das Vorgehen der rechtskonservativen ungarischen Regierung.
Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff sagte, man versuche, ein Verfahren nach Artikel 7 des europäischen Vertrages in die Wege zu leiten: "Das heißt ganz konkret Sanktionen gegen Ungarn bis hin zum Entzug des Stimmrechts im Europäischen Rat." In der kommenden Woche trifft sich das Europäische Parlament zu seiner nächsten Plenarsitzung.