Lettland führt Gemeinschaftswährung ein Willkommen im Euro-Club
Seit dem Jahreswechsel hat Lettland den Euro. 2009 steckte das Land noch in einer tiefen Krise. Dank eines rigiden Sparkurses hat es heute die höchste Wachstumsrate in der EU. Als Vorbild für Griechenland und Co. taugt es trotzdem eher nicht.
Lettland ist ein Fall für das Guinness-Buch der Rekorde - in Sachen wirtschaftlicher Achterbahnfahrt: "Fünf Jahre lang waren wir die am schnellsten wachsende europäische Wirtschaft", so der Chefökonom der Rigaer DNB-Bank, Peteris Strautins. "Dann die am tiefsten abstürzende und nun wieder die am schnellsten wachsende."
"Wir steckten tief im Schlamassel"
In den Krisenjahren 2008 und 2009 schrumpfte die Wirtschaft um mehr als ein Fünftel, die Löhne gingen um ein Drittel zurück, die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich. "Die Situation war schlimmer als heute in Griechenland, Portugal oder Zypern", sagt der lettische Finanzminister Andris Vilks. "Wir steckten richtig tief drin im Schlamassel."
Die Regierung musste einen Kredit des Internationalen Währungsfonds in Anspruch nehmen, und sie griff zu extrem harten Sparmaßnahmen, heftige Lohneinbußen für die Staatsangestellten und Rentenkürzungen inklusive. Und nun wächst die lettische Wirtschaft wieder um vier bis fünf Prozent - während die Eurozone sich immer noch nicht zwischen Rückwärtsgang, Stagnation und müdem Aufschwung entscheiden kann.
Flexible Wirtschaft, flexibler Arbeitsmarkt
Wieso ist Lettland so schnell die Wende gelungen, während Griechenland, Portugal oder Zypern einfach nicht aus der Krise kommen? Der Wirtschaftsjournalist Paul Raudseps nennt da zuerst die ausgesprochen liberale Wirtschaftspolitik. "Alle sagten, das geht ja gar nicht: die Staatsausgaben zusammenstreichen und zugleich zum Wachstum zurückfinden. Aber wir haben es geschafft. In erster Linie, weil wir eine sehr flexible Wirtschaft haben, mit einem sehr flexiblen Arbeitsmarkt und Exportunternehmen, die sich auch an schwierige Situationen anpassen können."
Erinnerung an noch schlimmere Zeiten
Aber der Erfolg beruhe, fährt Paul Raudseps fort, auch noch auf einem anderen Faktor. "Die Menschen hier waren natürlich nicht glücklich über die Einschnitte, aber sie können sich an noch schlimmere Zeiten erinnern. Als Lettland die Sowjetunion verließ, schrumpfte unsere Wirtschaft sogar um die Hälfte. Und damals hatten wir keine Idee, wie Marktwirtschaft funktioniert, und keine Hilfe aus dem Westen. Und es gibt immer noch Leute, die sich an die Massendeportationen in den 1940er-Jahren erinnern können. Verglichen mit dem, was wir damals durchgemacht haben, ist das jetzt nicht so schwierig."
"In wohlhabenderen Ländern geht das nicht so einfach"
Vor diesem Hintergrund wurde die bittere Botschaft der Regierung von den Letten, wenn auch zähneknirschend, akzeptiert. Und die Regierung wurde sogar wiedergewählt. Ein Modell für andere Krisenstaaten? Finanzminister Vilks glaubt nicht, dass sich die lettische Rezeptur so einfach auf andere übertragen lässt. "Tiefe strukturelle Reformen waren notwendig, sonst hätten uns die Märkte gekillt. Es ging ums Überleben, und so sagten wir den Menschen, jetzt kommen ein paar sehr harte Jahre. In wohlhabenderen Ländern geht das nicht so einfach, da haben sich die Menschen an die Privilegien gewöhnt und starke Netzwerke verteidigen diese Privilegien. Aber wir, nach all den Schocks der Vergangenheit, wir konnten das tun." Aber Andris Vilks räumt ein, dass dafür ein sehr hoher Preis gezahlt werden musste.
Jeder zehnte Lette hat das Land verlassen
Igor Pimenov findet sogar: ein zu hoher Preis. Pimenov sitzt für das Harmoniezentrum, die Partei der großen russischsprachigen Minderheit, im Parlament: "Das Ergebnis dieser Politik war eine dramatische Verschlechterung des Lebensstandards, eine große Arbeitslosigkeit und im Ergebnis eine dramatische Auswanderungswelle, vor allem von jungen Leuten, in den Westen", sagt er.
Jeder Zehnte der zwei Millionen Letten hat sein Land seit Ausbruch der Krise verlassen. Noch so eine Krise und noch so eine Antikrisenrezeptur, und es gibt keine Menschen mehr in Lettland, meint der euroskeptische Unternehmer Jan Oslejs.