EU-Parlament stimmt über verschärften Stabilitätspakt ab Lehren aus der gigantischen Schuldenkrise
Der Stabilitätspakt sollte verhindern, dass EU-Staaten zu große Schuldenberge anhäufen. Funktioniert hat das nicht - und so soll der Pakt nun verschärft werden. Heute stimmt das EU-Parlament über sechs Gesetze ab, die Ergebnis zäher Verhandlungen sind.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkkorrespondent Brüssel
Die EU versucht zu lernen; die Lehren zu ziehen aus der gigantischen Staatsschuldenkrise, die derzeit die Währungsunion zu sprengen droht. Möglich wurde diese Krise, weil Griechenland und andere Länder über Jahre ungestraft gegen die Regeln des Stabilitätspakts verstoßen konnten. Für die Zukunft will sich die EU nun gegen solche fatalen Ausreißer wappnen: durch die Verschärfung des Stabilitätspakts und das Vorgehen gegen wirtschaftliche Fehlentwicklungen aller Art.
Trotz unzähliger Verstöße nie eine Bestrafung
"Wir brauchen diesen Instrumentenkasten", so EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn, der das Gesetzespaket vor einem Jahr angestoßen hat. Damit werde der Weg geebnet "für eine vernünftigere Haushaltspolitik und eine ausgeglichenere Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union".
Der Stabilitätspakt sieht jetzt schon durchaus abschreckende Geldstrafen für Staaten mit einem zu hohen Haushaltsdefizit vor. Allerdings ist das Verfahren so umständlich, dass es trotz unzähliger Verstöße nie zu einer Bestrafung kam.
Blockade durch nationale Regierungen soll schwerer werden
Jetzt sollen die Sanktionen für hartnäckige Defizitsünder noch höher ausfallen, und sie sollen in einem früheren Stadium verhängt werden können. Vor allem aber werden die Möglichkeiten der nationalen Regierungen eingeschränkt, entsprechende Anträge der Kommission zu blockieren. "Deshalb soll der Rat der Finanzminister als Regel den Vorschlägen der Kommission folgen", so die niederländische Konservative Corien Wortmann-Kool. "Und will der Rat das Defizitverfahren stoppen, muss er künftig mit Mehrheit dagegen stimmen. Und das ist eine ziemlich hohe Hürde." Dieser Punkt war heiß umstritten. Besonders die französische Regierung wollte eine solche Regel verhindern.
"Nicht das Ergebnis von einem Kuhhandel"
Sie hat aber die Rechnung ohne das Parlament gemacht, meint der deutsche Liberale Alexander Graf Lambsdorff. "Das Parlament hat aber darauf bestanden, dass Sünder in der Zukunft automatisch bestraft werden müssen und das nicht das Ergebnis von einem Kuhhandel sein darf", so Lambsdorff. Auch der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, lobt das Parlament: "Wenn ich das Ergebnis mit der anfänglichen Position der Regierungen vergleiche, sehe ich eine wesentliche Verbesserung."
Etliche Gegenstimmen zu erwarten
Sozialdemokraten, Grüne und Linke im Parlament wollen dennoch gegen die Verschärfung des Stabilitätspakts stimmen, weil sie glauben, dass eine einseitige Fixierung auf Sparmaßnahmen und der Verzicht auf soziale Ausgleichsmaßnahmen letztlich die Krise nur verstärkt. Der Grüne Sven Giegold sieht den wichtigsten Teil der Reform, die heute beschlossen werden soll, daher in einem anderen Punkt: Erstmals werde es dazu kommen, dass "ökonomische Ungleichgewichte, die uns in Krise geführt haben, von der Kommission auf die Hörner genommen werden" könnten, so Giegold. Als Beispiele nennt er exzessive Immobilienspekulation in Südeuropa oder Lohnzurückhaltung in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Dass dieses nun überwacht und sanktioniert werden könne, sei "der große Durchbruch dieses Pakets".
Auch hohe Exportüberschüsse könnten Folgen haben
Künftig müssen also auch Euroländer, die nicht genug gegen die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft tun oder die Risiken im Banken- und im Immobiliensektor zulassen, mit milliardenschweren Geldstrafen rechnen. Ins Visier der EU-Kommission können aber genauso Länder wie Deutschland geraten, die durch sehr hohe Exportüberschüsse das wirtschaftliche Gleichgewicht in Europa gefährden - was der Bundesregierung ziemlich gegen den Strich geht.
Sollten die EU-Parlamentarier den Gesetzen heute zustimmen, dann ist die bisher größte Reform in der Funktionsweise der Währungsunion auf den Weg gebracht. Allerdings hat sich die Krise mittlerweile so sehr beschleunigt, dass diese Reformen längst nicht mehr ausreichen. "Das ist ein erster Schritt", so EZB-Chef Trichet. "Auf mittlere Sicht müssen wir die wirtschaftliche Steuerung in der Eurozone weiter verbessern."