US-Elektroauto-Hersteller Tesla kommt nach Berlin - was heißt das?
Die Ankündigung einer Tesla-Fabrik im Berliner Umland sorgt bei vielen für Euphorie. Doch wie verlässlich ist das und was haben deutsche Hersteller zu fürchten? tagesschau.de klärt wichtige Fragen.
Ist es sicher, dass die Fabrik auch tatsächlich kommt?
Tesla-Chef Elon Musks Ankündigung, eine "Gigafactory" im Berliner Umland zu bauen, kam zwar überraschend. Dennoch gehen Beteiligte und Experten davon aus, dass Musk Wort halten wird. Teslas Ankündigung wirke "sehr offiziell", inklusive internationaler Presseerklärung und Twittermeldungen, sagte der Wirtschaftsexperte Paul Reifferscheid im ARD-Morgenmagazin. "Man muss also davon ausgehen, dass das in trockenen Tüchern ist."
Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hält die Tesla-Pläne für eine Fabrik im Berliner Umland für verlässlich. "Nach all den Gesprächen und Kontakten, die stattgefunden haben, gehe ich davon aus, dass dies sehr konkret unterlegt wird mit konkreten Investitionsentscheidungen", sagte der CDU-Politiker. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte mit Blick auf Musk: "Ich habe ihn als sehr verlässlichen Menschen kennengelernt."
Nach Angaben eines Regierungssprechers in Potsdam soll die Großfabrik in der Nähe des Flughafens BER, im brandenburgischen Grünheide (Kreis Oder-Spree) auf einer ausgewiesenen Industriefläche entstehen. Die Fläche hatte auch BMW schon einmal als Standort ins Auge gefasst.
In China hat Tesla bereits bewiesen, dass aus Ankündigungen schnell Taten werden können: In Shanghai hat Tesla - nach Unternehmensangaben - in nur zehn Monaten eine solche "Gigafactory" gebaut. Im vergangenen Monat wurde dort der Start der Produktion auf Versuchsbasis bekannt gegeben.
Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist es eine gute Nachricht. Wirtschaftsminister Altmaier spricht von einem "Meilenstein" für den Ausbau der Elektromobilität. Deutschland habe die Chance, zu einem internationalen Zentrum bei der Batteriefertigung zu werden und es entstünden zukunftsträchtige Arbeitsplätze. Wie viele neue Jobs genau geschaffen werden sollen, sagte Altmaier nicht. Schätzungen gehen jedoch von einer Größenordnung von 6000 bis 10.000 aus.
Dies bezweifelt allerdings die Geschäftsführerin bei der Executive Search-Beratung LAB&Company, Jessica Volkwein. Die Herstellung von Batteriezellen sei hochautomatisiert, dabei seien nicht so viele Mitarbeiter notwendig.
Ähnlich sehe das bei Batteriemanagementsystemen aus. Und bei der Produktion von Fahrzeugen hänge die Zahl der neuen Jobs letztlich daran, wie viele Autos pro Jahr vom Band gehen sollen, sagte sie im Gespräch mit tagesschau.de. Sie geht daher eher von 2000 bis 3000 neuen Arbeitsplätzen aus.
Müssen die deutschen Autohersteller die Konkurrenz fürchten?
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer bezeichnete die Pläne Musks als "gute Nachricht" auch für VW, Daimler und BMW. Denn: "Wettbewerb hat schon immer dafür gesorgt, besser und schneller zu werden." Er geht davon aus, dass die Elektromobilität durch diese Entscheidung "mehr Fahrt aufnimmt als bei 100 Kanzlergipfeln in Berlin".
Dass die deutschen Autohersteller selbst diesen Schritt ebenso begrüßen, ist zu bezweifeln. Die Reaktion des Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mattes, fiel verhaltener aus: "Sollten die Pläne in einigen Jahren umgesetzt werden, bedeutet dies einen weiteren Schub für die Elektromobilität", erklärte er. Zugleich wies er darauf hin, dass deutsche Hersteller "schon heute" Autos mit Elektroantrieb am Standort Deutschland fertigten.
Man könne Teslas Schritt durchaus als Provokation für die deutschen Hersteller werten, meint die Unternehmenberaterin Volkwein. "Sie müssen sich warm anziehen, denn sie haben den härtesten Wettbewerber in diesem Bereich nun direkt in Berlin, wo der Kunde bald aus erster Hand Fahrzeuge kaufen kann." Das verstärke die Herausforderung, den Transformationsprozess hin zur Elektro-Mobilität noch schneller zu schaffen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht hingegen Vorteile für die deutsche Autoindsutrie: "Durch eine Tesla-Produktion in Deutschland würde die gesamte Zulieferindustrie hierzulande gestärkt", sagte DIW-Ökonom Alexander Schiersch. Außerdem könnten bestehende Kapazitäten erhalten bleiben und sogar neue geschaffen werden, wenn ein zusätzlicher Nachfrager auf dem Markt aktiv sei.
Nicht zuletzt werde Ostdeutschland zu den Gewinnern gehören. "Ostdeutschland insgesamt würde durch eine solch massive Investition von Tesla in einem wichtigen industriellen Zukunftsfeld einen großen Schritt nach vorne machen", sagte der Experte. Das Know-how und die Kapazitäten im Bereich der Elektromobilität und Batterietechnik würden hierzulande deutlich gestärkt.
Wie sind die deutschen Hersteller derzeit bei E-Autos aufgestellt?
Auch die deutschen Konzerne, allen voran Volkswagen, fahren derzeit die Produktion von Elektroautos hoch. Erst vergangene Woche hat VW in Zwickau die Produktion des neuen ID.3 gestartet und in Braunschweig die Produktion von Batterien begonnen. Zusammen mit dem schwedischen Start-up Northvolt will Volkswagen zudem in großem Stil in die Fertigung von Batteriezellen einsteigen, um unabhängiger von Lieferanten aus Asien zu werden. Ziel ist es, in wenigen Jahren zum führenden Anbieter klimaschonender Mobilität aufzusteigen und Tesla hinter sich zu lassen.
Aktuell ist Tesla Marktführer bei reinen E-Autos in Deutschland. Von Jahresbeginn bis zum 31. Oktober wurden 9301 E-Autos von Tesla neu zugelassen, wie aus Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) in Flensburg hervorgeht. Das entspricht einem Marktanteil von 17,6 Prozent. Auf Rang zwei folgt Renault mit 8330 reinen Stromern vor BMW mit 7957, VW (6208) und Smart (5862).
Sind staatliche Investitionen in diesem Bereich nun überflüssig?
Der Branchenexperte Dudenhöffer sieht das so. Seiner Ansicht nach muss die Bundesregierung bei der Förderung der Batterieproduktion nun umdenken. Nach der Tesla-Ankündigung sei zu überlegen, welchen Sinn die eine Milliarde Euro noch habe, die Wirtschaftsminister Altmaier in eine deutsche Lithium-Ionen-Fabrikation stecken wolle. Auch die geplante Batterieforschungsfabrik in Nordrhein-Westfalen mit 200 Millionen Euro Landesmitteln sei nun zu hinterfragen, meinte Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen.
Der Energiespeicher-Experte Michael Sterner von der OTH Regensburg sieht das anders. Seiner Ansicht nach haben die Autohersteller das Thema viel zu lange verschleppt. "Kurzfristige Gewinninteressen waren wichtiger als langfristig kluge Entscheidungen."
Für die Automobilindustrie sei die Produktion von E-Autos bislang eher ein Feigenblatt gewesen, um die Flottengrenzwerte einhalten zu können, sagt Sterner im Gespräch mit tagesschau.de. "Man braucht die E-Autos, um in der Gesamtbilanz die größeren Autos mit Verbrennungsmotor und großer Gewinnmarge absetzen zu können." Dieses "bewusste Verschleppen fällt ihnen jetzt auf die Füße, weil Tesla zeigt, dass es sich doch lohnt, in diesen Markt zu investieren."
Die Politik müsse jetzt über eine vernünftige Klimapolitik alles daran setzen, dass auch deutsche Firmen in diesem Bereich wettbewerbsfähig werden, meint Sterner. Mit CO2-Preisen unter einer Maß Bier bewege man hier nichts. Und er geht noch weiter: Seine Prognose ist, dass durch die Transformation der Branche sehr viele Arbeitsplätze verloren gehen werden. Weil gleichzeitig klar sei, dass Elektromobilität allein nicht reiche, um die Klimaschutzziele zu erreichen, müsse auch in synthetische Kraftstoffe investiert werden.
"Denn die Anlagen zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe sind hochkomplex", erklärt Sterner. In diesem Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus habe Deutschland seine Stärken. "Nachhaltige Wirtschaftspolitik würde bedeuten, die Weichen in diese Richtung zu stellen, anstatt irgendwann Transferzahlungen für verlorene Jobs zu leisten."