Zug FV-Dosto der SBB im Schnee
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Probleme bei der Deutschen Bahn Was die Schweizer Bahn im Winter besser macht

Stand: 23.12.2023 12:07 Uhr

Die Schweizer Bahn fährt auch im Winter verlässlich - dank mehr Geld und mehr Personal. Die Deutsche Bahn sei hingegen zur "Schönwetterbahn" heruntergewirtschaftet worden, so Experten.

Von Kathrin Hondl und Matthias Ebert, SWR

Als Schneefall Anfang Dezember in Bayern den Eisenbahnverkehr tagelang lahmgelegt hatte, stellte die Politik umgehend Forderungen an die Bahn. Diese müsse sich in Zukunft besser aufstellen, erklärte etwa Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Doch der Vergleich mit den Schweizer Bundesbahnen (SBB) zeigt, dass die deutsche Politik mitverantwortlich ist und kostengünstige Lösungen einfach umgesetzt werden könnten.

"Die SBB weiß, was sie will", erklärt Markus Hecht, Professor und Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge an der Technischen Universität Berlin. "Die Deutsche Bahn dagegen ergibt sich dem Winter. Das darf nicht sein." So statte die Politik in der Schweiz ihre Bahnen mit mehr Geld und mehr Personal aus. Die eidgenössische Schuldenbremse enthält zudem Schlupflöcher, um die finanzielle Ausstattung der SBB sicherzustellen. Der Unterschied bei den Investitionen ist groß: Während die Schweiz 2022 pro Einwohner 450 Euro ausgab, waren es in Deutschland gerade mal 114 Euro.

Pünktlichkeit von 93 Prozent

Die Eisenbahn genießt in der Schweiz politisch Priorität. Sie wird als staatliche Grundversorgung verstanden, als öffentliche Aufgabe und Projekt für alle, von dem auch alle profitieren, so Ueli Stückelberger vom Verband öffentlicher Verkehr: "Die Sitzungen des Parlaments sind auf den Fahrplan ausgerichtet, denn ein Großteil der Abgeordneten reist im Zug an. Man fährt in der Schweiz mit dem öffentlichen Verkehr - durch alle Schichten. Wir haben keine Chauffeurkultur, und das spürt man dann auch in der Bereitschaft der Politik, sich für ein gutes Netz einzusetzen."

Die Folge: Wer in der Schweiz in den Zug steigt, kann darauf vertrauen, auch fahrplanmäßig wieder auszusteigen. Fast 93 Prozent aller Züge der SBB sind pünktlich. Das heißt: Sie haben weniger als drei Minuten Verspätung. Das funktioniert auch im Winter, wenn es schneit. Eine komplette Einstellung des Bahnbetriebs wie zuletzt in Bayern wäre in der Schweiz undenkbar, sagt Stückelberger. "Man ist in der Schweiz gewohnt, dass es schneien kann und bereitet sich darauf vor, den Betrieb möglichst immer aufrechterhalten zu können."

Zuverlässigkeit unter Mehdorn aufgegeben?

Die Deutsche Bahn hingegen sei lediglich "eine Schönwetterbahn", urteilt Markus Hecht. Das habe politische Gründe. In den 1960er-Jahren seien eingefleischte Autofahrer im Winter Eisenbahn gefahren, weil sie zuverlässiger war. Der damalige Werbeslogan lautete "Wir fahren immer". Im schneereichen Winter 1963 hatte die Bahn sogar Lieferungen der Binnenschifffahrt und der Straße übernommen.

Ein ICE steht nach starkem Schneefall am Hauptbahnhof München.

Ein eingeschneiter ICE in Bayern. Bahnexperten halten Schienensystem und Züge der Deutschen Bahn nicht für ausreichend winterfest.

Der Anspruch der DB, im Winter zuverlässig zu fahren, sei vor allem unter Bahnchef Hartmut Mehdorn Anfang der 2000er-Jahre aufgegeben worden, sagt Hecht. "Damals wurde der Zuverlässigkeit im Winter eine klare Absage erteilt, die bis heute nie richtig zurückgenommen wurde." Darunter leide der Staatskonzern bis heute. Dabei müsse die Schneetauglichkeit nicht zwingend viel Geld kosten.

Schneezäune statt Lärmschutzwände

Hecht sieht als Hauptmanko, dass der Schienenbetreiber DB Netz meist keine - vergleichsweise günstigen - Schneezäune verwende. Stattdessen wurden oft Lärmschutzwände verbaut. "Das Problem ist, dass sich zwischen diesen Wänden im Winter Schnee sammelt. Das hat 2021 dazu geführt, dass die Strecke München-Berlin fünf Tage lang gesperrt wurde, bis der Schnee herausgeräumt war."

Die Schweiz dagegen habe bereits vor vielen Jahren - wegen der vielen Nachteile - entschieden, keine Lärmschutzwände mehr zu verbauen. Bei vereisten Oberleitungen würden zudem vermehrte Freifahrten helfen, das Eis abzubrechen.

Weitere Versäumnisse sieht der Wissenschaftler bei neuartigen DB-Triebwägen, die oft ohne Tests in einer Klimakammer konzipiert würden. Dadurch sammelten sich im Winter Eisklötze an den Lokomotiven, die herunterfallen und Weichen blockieren. "Man kann keine Weichenheizung bauen, die ein kopfgroßes Stück Eis schmilzt. Das muss man von Hand entfernen." Im Winter könnte die Bahn dafür auf Arbeiter aus der Bauwirtschaft zurückgreifen.

"Leute sind schlecht geschult oder nicht motiviert"

Doch während die DB nicht nur strukturell weniger für Personal ausgibt als die benachbarten SBB, seien die Mitarbeiter zudem auch schlechter ausgebildet. "Die wenigen Schneepflüge, die es in Deutschland noch gibt, können nicht gut bedient werden. Die Leute sind entweder schlecht geschult oder nicht motiviert", so Hecht. Auch andere Länder wie Norwegen oder Österreich kommen selbst bei meterhohem Schnee besser zurecht als Deutschland, weil ihr Schneebeseitigungs-Material modernisiert und die Mitarbeitenden besser fortgebildet wurden.

Mit Schnee bedeckte Gleise und Oberleitungen in Bayern.

Vereiste Oberleitungen und verschneite Gleise am Münchener Hauptbahnhof. Bei DB-Zügen können Eisklötze von der Lok fallen, die Weichen blockieren.

Vor allem aber die Schweiz schafft es auch im kältesten Winter, ihren 1982 eingeführten landesweiten Taktfahrplan weitgehend einzuhalten. Zwischen den größeren Städten fahren die Züge im 30-Minuten-Takt. Umsteigen ist kein Stressfaktor, der Anschlusszug fährt meist am selben Bahnsteig ein paar Minuten später ein. Es sei denn er kommt aus Deutschland. Jeder zweite grenzüberschreitende Zug ist verspätet - und wird deshalb oft gar nicht mehr ins Land gelassen. "Endstation Basel" heißt es dann.

Experten fordern neue Philosophie

Der Schweizer Bahnexperte Stückelberger rät den deutschen Bahnmanagern und Verkehrsminister Volker Wissing zu einer alten Tugend: "Man braucht beim Umbau der Bahn einen langen Atem, Geduld und finanzielle Mittel für den Ausbau und Unterhalt des Schienennetzes."

Der Berliner Markus Hecht fordert eine "neue Schneebeseitigungs-Philosophie", um auch im Winter die Vorteile der Schiene nutzen zu können und anstelle einer "Schönwetterbahn ein verlässliches Verkehrssystem zu ermöglichen." Damit es in Deutschland irgendwann ein Ende hat mit tagelangen Zugausfällen nach heftigem Schneefall.

Kathrin Hondl, ARD Genf, tagesschau, 21.12.2023 23:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. Dezember 2023 um 05:49 Uhr.