VW-Abgasskandal Zeit gewinnen mit der Musterklage?
Sie sollte für Verbraucher vieles einfacher machen, warf dabei aber zunächst neue Fragen auf: die Musterfeststellungsklage. Der Bundesgerichtshof muss nun Fragen zur Verjährung klären.
Es scheint einfach: Vom VW-Abgasskandal betroffene Kunden hatten drei Jahre Zeit, um den Autobauer auf Schadensersatz zu verklagen. Aber: Wann begann diese Drei-Jahres-Frist? Was ist, wenn Verbraucher trotz breiter Berichterstattung in den Medien nichts vom Abgasskandal mitbekommen haben? Und welche Auswirkungen haben An- und Abmeldungen zur Musterfeststellungsklage auf die Verjährungsfrist? Darüber verhandelt jetzt der Bundesgerichtshof (BGH). Es geht dabei um einen betroffenen VW-Kunden, der erst im Juli 2019 geklagt hatte. Zuvor hatte er sich aber zur Musterklage an- und wieder abgemeldet, um doch per Einzelklage Schadensersatz einzufordern.
Nichts mitbekommen vom Abgasskandal
Der VW-Abgasskandal war im September 2015 bekannt geworden. Betroffene Kunden haben deshalb einen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Konzern - das entschied der BGH im Mai 2020 in einem Grundsatzurteil. Einklagen mussten Verbraucher ihre Ansprüche - verkürzt gesagt - spätestens drei Jahre, nachdem sie ohne grobe Fahrlässigkeit vom Abgasskandal erfahren konnten, also bis spätestens Ende 2018.
Daran entzündet sich die erste Diskussion: Was ist, wenn jemand etwa sagt, vom Abgasskandal habe er absolut nichts mitbekommen, Medien konsumiere er schon lange nicht mehr: Begann die Verjährungsfrist dann erst später?
Die Vorinstanz in dem Fall, über den nun der Bundesgerichtshof verhandelt, war da streng: Bis Ende 2015 nichts vom VW-Abgasskandal mitbekommen zu haben, sei "grob fahrlässig". Dem Kläger hätte sich "geradezu aufdrängen" müssen, dass auch sein Auto betroffen sei. Außerdem hätte er "unschwer Erkundigungen einholen können".
Bereits im vergangenen Jahr hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass VW-Kunden sich auch nicht darauf berufen können, dass bis zum Karlsruher Grundsatzurteil die Rechtslage zu unsicher gewesen sei. Ihnen sei durchaus zuzumuten gewesen, auch schon vor einem Grundsatzurteil Klage zu erheben.
Hemmt Musterklage die Verjährung?
Im November 2018 reichte der Bundesverband der Verbraucherzentralen gemeinsam mit dem ADAC eine Musterfeststellungsklage gegen VW ein, um so Rechte von VW-Kunden gesammelt durchsetzen zu können. Wer sich der Klage anschließen wollte, musste sich dafür in das Klageregister beim Bundesamt für Justiz eintragen.
Doch bis wann musste man das tun, damit Ansprüche nicht verjährten? Bis zum 31. Dezember 2018? Oder reichte es aus, dass die Verbände die Musterfeststellungsklage eingereicht haben? Konnten sich Verbraucher bis zu Prozessbeginn im folgenden Jahr Zeit lassen?
Das Gesetz ist da nicht eindeutig. Generell gilt: Einer Musterfeststellungsklage können sich Betroffene bis einen Tag vor Prozessbeginn anschließen. Das Bundesjustizministerium meint, dass schon die Einreichung der Musterfeststellungsklage durch die Verbände ausreicht - dass also schon dadurch die Verjährungsfrist gestoppt wird.
In der Begründung für eine Verordnung, die Einzelheiten zum Klageregister regelt, heißt es: "Maßgebend für die Hemmung der Verjährung ist die rechtzeitige Erhebung der Musterfeststellungsklage." Anschließend habe der Verbraucher bis Prozessbeginn Zeit, seine Ansprüche in das Klageregister einzutragen und dadurch von der Verjährungshemmung zu profitieren. Etwas ähnliches steht auch in der Begründung für das Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage.
Anmeldung zur Musterklage "rechtsmissbräuchlich"?
In dem aktuellen BGH-Fall geht es auch um die Frage, welche Auswirkungen es auf die Verjährungsfrist hat, wenn sich ein Verbraucher später wieder von der Musterklage abmeldete, um doch einzeln zu klagen.
Die Vorinstanz war überzeugt: Die Anmeldung zur Musterklage sei "rechtsmissbräuchlich" gewesen. Denn der Kläger habe sich nur angemeldet, um später die Anmeldung wieder zurückzunehmen und stattdessen als Einzelperson auch noch nach Ende 2018 vor Gericht ziehen zu können.
Relevant auch für künftige Musterklagen
Ein Urteil verkündet der Bundesgerichtshof voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt. Nach Angaben von Volkswagen könnte sich die Entscheidung auf rund 8000 weitere Klagen auswirken.
Auch für künftige Musterfeststellungsklagen könnte das Urteil relevant werden, wenn es die allgemeinen Spielregeln für solche Prozesse festlegt. Erst vergangene Woche hatte die Verbraucherzentrale eine Musterklage gegen Daimler wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen eingereicht. Auch hier droht Ende des Jahres eine Verjährung möglicher Verbraucheransprüche.