Verlagsbranche Wie Micky Maus den Comic-Markt aufrollte
Als die "Micky Maus" vor 70 Jahren erstmals in Deutschland erschien, war der Erfolg zunächst mäßig. Das änderte sich schnell - das Heft wurde Wegbereiter einer vielfältigen Comic-Szene, die heute fester Teil des Buchmarkts ist.
Symbolisch war das Titelbild der ersten Ausgabe des "Micky Maus"-Magazins wohl nicht gemeint. Denn darauf ging es im Sturzflug abwärts. Vor blauem Hintergrund rasten Micky und Goofy in einer Propellermaschine nach unten. Auch wenn etwas anderes suggeriert wurde: Für den extra gegründeten Ehapa-Verlag begann mit der "Micky Maus" ein Höhenflug.
Von den 300.000 Heften der Startauflage wurde zwar nur rund die Hälfte verkauft, nämlich 135.103 Exemplare. Doch schon in den Folgemonaten wuchs die Auflage stetig an. 1954 lag die Druckauflage bei 400.000 Exemplaren. Die Erscheinungsweise des Heftes wurde von monatlich auf 14-tägig (1956) und dann auf wöchentlich (1958) umgestellt. Ein vorläufiger Höhepunkt wurde 1980 mit 500.000 verkauften Exemplaren erreicht. Nach der Wende stieg die Auflage sogar nochmals bis auf 800.000 verkaufte Exemplare im Jahr 1992 .
Unbekanntes Zeitschriften-Terrain
"Der eigens für die Veröffentlichung der 'Micky Maus' gegründete Ehapa-Verlag begab sich 1951 auf ein völlig neues und ungewisses Zeitschriften-Terrain", sagt Jörg Risken, Publishing Manager Magazines bei Egmont. "Es gab keine unmittelbaren Referenzen, die für eine Ableitung oder Planung des Erfolgs herangezogen werden konnten. Die verkauften Exemplare der ersten 'Micky Maus' wurden bestenfalls als zufriedenstellender Erfolg ausgelegt."
Vom ersten "Micky Maus"-Heft von 1951 wurde nur die halbe Auflage verkauft.
Inzwischen hat die "Micky Maus" eine stabile Auflage von 70.000 Exemplaren. Das Heft erscheint alle 14 Tage und muss sich mittlerweile mit fast 200 Magazinen den Markt teilen. Der Verlag gibt an, dass die große Mehrheit (85 Prozent) junge Leserinnen und Leser im Alter zwischen sechs und 13 Jahren seien. Der Rest seien langjährige Stammkunden, die das Heft schon länger kaufen und abonnieren, so Marko Andric, der aktuelle Chefredakteur des Magazins, das einst von der legendären Erika Fuchs geleitet wurde.
Dank des Erfolgs des Heftes konnte Ehapa sein Programm schnell enorm ausweiten. Neben der "Micky Maus" kam das "Donald Duck Sonderheft" (1965) hinzu, dann "Superman" (1966), Das "Lustige Taschenbuch" (1967), "Asterix" (ab 1968), später "Lucky Luke" (1977) oder auch "Wendy" (1986). "Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Micky Maus vielen großen Comicnamen den Weg geebnet hat", so Jörg Risken.
Stabiler Anteil an den Branchen-Umsätzen
Inzwischen ist das Comic-Segment aus der deutschen Verlagslandschaft insgesamt nicht mehr wegzudenken. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels gibt an, dass der Bereich Comic, Cartoon, Humor und Satire in den vergangenen drei Jahren innerhalb der für den Buchmarkt wichtigsten Warengruppe, der Belletristik, einen stabilen Umsatzanteil von gut acht Prozent hatte. Auch die Corona-Krise konnte dem Segment keinen Schaden zufügen. Viele Comic-Buchläden kamen vor allem dank der Treue ihrer Stammkundschaft gut über die Runden.
Wer immer noch meint, Comics seien vor allem etwas für Kinder, täuscht sich. "In der Regel sind viele Käuferinnen und Käufer von der Ausrichtung her Sammler und langjährige Leser, deshalb spielen bei uns auch hochpreisige und hochwertige Sonderausgaben eine enorm wichtige Rolle", sagt etwa Klaus Schikowski vom Hamburger Carlsen-Verlag. So verkauft der Verlag derzeit Gesamtausgaben von Comic-Klassikern wie "Tim und Struppi" oder den "Peanuts", die im dreistelligen Eurobereich liegen - also nichts für den kleinen Geldbeutel von Kindern sind.
Der Comic-Markt im Wandel
Ohnehin hat der deutsche Comicmarkt viel mehr zu bieten als "Micky Maus" und "Tim und Struppi". Neben Egmont Ehapa und Carlsen, die ihr Angebot stark ausgebaut haben, gibt es längst viele andere Verlage im Markt. So deckt Paninicomics aus Stuttgart vor allem den amerikanischen Superheldenbereich ab, Schreiber & Leser bietet ein breites Programm von Krimi bis Erotik. Einige andere Verlage feiern in diesem Jahr Jubiläen: Reprodukt aus Berlin vertreibt seit 30 Jahren Autorencomics. Seit 20 Jahren bringt der Avant-Verlag anspruchsvolle Comics auch aus Spanien Italien oder der Türkei auf den deutschen Markt. Seit 15 Jahren veröffentlicht der Bielefelder Splitter-Verlag überwiegend anspruchsvolle Erwachsenen-Comics aus dem franko-belgischem Raum, und der Jaja-Verlag verlegt seit zehn Jahren vor allem studentische Arbeiten und Comics von Nachwuchszeichnerinnen und Zeichnern. Mit den Auflagen der "Micky Maus" können die meisten Veröffentlichungen allerdings nicht mithalten. Mehr als 2000 bis 3000 Exemplare werden selten gedruckt.
Dennoch sind auch Verlags-Neugründungen keine Seltenheit. Seit gut einem Jahr bietet der kleine Verlag Insektenhaus aus Marburg Comics für Horror- oder Fantasy-Freunde an. Vor eineinhalb Jahren ging der Kibitz-Verlag an den Start, der mittlerweile 13 deutschsprachige Kindercomic-Zeichner veröffentlicht. Und auch neue Kindercomic-Magazine entstehen. Ein Heft mit dem Namen "Polle" etwa bietet dem Nachwuchs Comicfiguren jenseits von "Donald Duck", "Micky Maus" und Co.
Das gedruckte Heft bleibt
Auch wenn im "Micky Maus"-Magazin immer wieder aktuelle Trends aufgegriffen werden, das Heft TV-Formate integriert oder mit Stars kooperiert: Die Comics über die Figuren aus Entenhausen spielten immer noch die wichtigste Rolle, betont der Verlag. Auf dem Jubiläumsheft feiert Onkel Donald mit seinen Neffen Tick, Trick und Track den 70. Geburtstag. Im Hauptcomic reisen die Figuren zurück ins Gründungsjahr 1951.
Das gedruckte Heft spiele weiter eine wesentliche Rolle im Programm, trotz aller Digitalisierung, sagt Jörg Risken von Egmont. "Interessanterweise zeigen unsere Untersuchungen, dass sogar Comic-Fans, die eine überdurchschnittlich starke Affinität zu digitalen Medien haben, ihre Comics lieber in gedruckter Form lesen." Auch, weil viele Fans die Hefte nicht nur lesen, sondern auch sammeln.