BGH zu Sammelklagen Ein zulässiges Geschäftsmodell
Dürfen Rechtsdienstleister mögliche Ansprüche von Tausenden Verbrauchern gebündelt einklagen? VW wehrte sich im Dieselskandal dagegen - doch ohne Erfolg. Massenverfahren werden also bleiben.
Banken, Fluglinien oder Autobauer auf Schadensersatz zu verklagen, das kann aufwändig sein und ein Kostenrisiko bergen. Wer nicht rechtsschutzversichert ist, lässt es vielleicht lieber. Rechtsdienstleister haben darin ein Geschäftsmodell erkannt: Sie lassen sich mögliche Ansprüche von Verbrauchern abtreten und klagen die Forderungen dann gebündelt ein - gegen eine Erfolgsprovision, dafür ohne Kostenrisiko für die Verbraucher. Unternehmen haben vor Gericht immer wieder gegen die Zulässigkeit dieses Geschäftsmodells argumentiert. Nun hat der Bundesgerichtshof solche Sammelklagen auch in Hinblick auf eine massenhafte Bündelung von Ansprüchen umfassend für zulässig erklärt. Das geht aus Urteilsgründen hervor, die der ARD-Rechtsredaktion vorliegen. Die Entscheidung war bereits Mitte Juni verkündet worden - die ausführliche Begründung folgte aber erst jetzt.
VW hält Sammelklagen für rechtswidrig
In dem Fall ging es um Schadensersatzansprüche von Schweizer Volkswagen-Kunden wegen des Abgasskandals. Sie hatten ihre Ansprüche Myright abgetreten, das das Geschäftsmodell "Sammelklagen" im Zusammenhang mit den Dieselskandal in großem Stil betreibt. Insgesamt liegen bei den deutschen Gerichten Zehntausende an Myright abgetretene mögliche Ansprüche gegen Volkswagen (VW) - gebündelt in mehreren Sammelklagen. Die meisten stammen von deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern.
VW war der Auffassung, dass dieses Geschäftsmodell gegen deutsches Recht verstößt - und zwar gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Das regelt außergerichtliche Rechtsdienstleistungen. Es dient dem Zweck, Rechtssuchende, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor "unqualifizierten Rechtsdienstleitungen" zu schützen. Geregelt ist etwa, wofür es eine spezielle Registrierung braucht und wann Rechtsdienstleistungen nicht erbracht werden dürfen.
BGH: Geschäftsmodell "unzweifelhaft" erlaubt
Einen Verstoß gegen dieses Gesetz durch das Geschäftsmodell von Myright stellte der Bundesgerichtshof nun aber nicht fest. "Sich massenhaft Schadensersatzansprüche" gegen VW wegen des Abgasskandals abtreten zu lassen und dann in einer Sammelklage geltend zu machen, sei nach deutschem Recht "unzweifelhaft" erlaubt.
Die Zulässigkeit einer Sammelklage sei insbesondere nicht von der Zahl der abgetretenen Forderungen abhängig. VW hatte in der mündlichen Verhandlung Mitte Juni argumentiert, dass bei den Diesel-Sammelklagen teilweise mehrere Tausend Ansprüche gebündelt geltend gemacht würden. Anders als bei der gesammelten Durchsetzung von Fluggastrechten, die der Bundesgerichtshof bereits für zulässig erklärt hatte. Dort sei es lediglich um sieben gleich gelagerte Ansprüche gegangen. "Der Senat hatte einen Fall wie Myright nicht vor Augen", sagte der Anwalt des Autobauers.
Aus Sicht des Bundesgerichtshofs wird durch die Bündelung der Ansprüche auch "kein unzulässiger Druck" auf VW ausgeübt. Unerheblich sei zudem, dass Myright mit den Sammelklagen Geld verdienen wolle: "Mit einem Prozess Geld zu verdienen ist nicht per se verwerflich."
BGH: Bündelung verbessere Verhandlungsposition "erheblich"
Die Karlsruher Richterinnen und Richter weisen außerdem darauf hin, dass Betroffene ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Konzern durch eine Beauftragung von Myright "erheblich" verbessern konnten. Erst durch die Bündelung der Ansprüche sei ein wirtschaftliches Gleichgewicht erzielt worden - auch im Hinblick auf Ressourcen für juristische und sachverständige Beratung.
Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass es zu dem Zeitpunkt, als eine Verjährung der Ansprüche im Raum stand, noch keine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs gegeben habe - die Frage, ob Betroffene überhaupt einen Anspruch auf Schadensersatz hatten, also noch offen war, als Kunden sich für oder gegen eine Klage entscheiden mussten.
Einschränkung bei externen Finanzierern
Eine Einschränkung macht Karlsruhe mit Blick auf die Unterstützung durch externe Prozessfinanzierer. Diese dürfen nicht die Möglichkeit haben, auf die Durchsetzung der Ansprüche oder einen möglichen Vergleichsabschluss Einfluss zu nehmen. Solange sie aber keine "wesentlichen Entscheidungsbefugnisse" haben, sieht der Bundesgerichtshof keine Interessenkollision. Entscheidend ist also, wie das vertragliche Verhältnis zwischen Rechtsdienstleister und Prozessfinanzierer im Einzelfall ausgestaltet ist. Ähnliche Modelle zur Durchsetzung von Mieter- und Fluggastrechten hatte der Bundesgerichtshof bereits akzeptiert.
Volkswagen hält dennoch an seiner Ansicht fest und verweist auf die Entscheidungen von unteren Instanzen. Danach sei das Geschäftsmodell von Myright darauf ausgerichtet, auch unbegründete Ansprüche zur Steigerung von Verhandlungsmacht geltend zu machen. Ein solches Geschäftsmodell sei nicht schutzwürdig.
Sammelklagen auch für Fluggäste, Mieter und Bankkunden
Das Geschäftsmodell ist nicht nur im Rahmen des Abgasskandals von Bedeutung. Auch von anderen Anbietern werden Ansprüche von Fluggästen, Mietern und Bankkunden auf diesem Weg durchgesetzt. Erste Massenverfahren erreichen die Gerichte auch bereits im Zusammenhang mit Verlusten aus Glücksspielen in Online-Casinos.
Es ist nun an den Gerichten der unteren Instanzen, einen Weg zu finden, solche Sammelklagen auch praktisch zu bewältigen, die mögliche Ansprüche von Verbrauchern massenhaft bündeln.