Ein Paketbote stellt in Nanjing Pakete zu.
reportage

Arbeitswelt Der harte Alltag der Lieferfahrer in China

Stand: 15.11.2023 08:16 Uhr

Mit wachsender Arbeitslosigkeit in China nehmen immer mehr Menschen Niedriglohn-Jobs an, zum Beispiel als Lieferfahrer. Mehr als zehn Prozent aller Beschäftigten im Land arbeiten inzwischen als Expressbote.

Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass sich Ou Jiawang überhaupt ein paar Minuten Zeit nimmt für ein Gespräch. Denn er ist Expressbote in Shanghai. Je mehr er ausliefert, desto höher sein Verdienst. "Ich stehe um fünf Uhr früh auf und arbeite, so lange es geht", sagt er. "Manchmal bis nachts um eins."

In Zeiten der großen Rabattschlachten wie dem "Singles Day" nimmt der Stress sogar noch zu. "Dann habe ich bis zu dreimal mehr zu tun. Alle Pakete müssen am Tag der Bestellung beim Kunden sein. Wenn das nicht klappt, bekomme ich von meiner Firma eine Geldstrafe."

Umgerechnet 700 Euro Monatslohn

Dafür verdient Ou Jiawang in den Rabattschlachten fast das Doppelte des normalen Gehalts von Expressboten. Das liegt derzeit bei 5.500 Yuan im Monat, umgerechnet etwas über 700 Euro. In Shanghai ist das nicht viel, aber in kleineren Städten kommt man damit einigermaßen durch.

Als China noch die "Werkbank der Welt" war und ausschließlich von Billigproduktion lebte, war Wanderarbeit der Trend. Hunderte Millionen drängten in die Städte mit ihren Fabriken, während auf dem Land nur Alte und Kinder zurückblieben.

Mittlerweile wird in China auch Hightech produziert, selbst in entlegenen Gegenden. Aber es gibt neue Probleme - vor allem die Arbeitslosigkeit. Mit ihr ist eine neue Schicht entstanden: die der Expressboten.

Selbst Uni-Absolventen finden keine Stelle

Ou Jiawang stammt aus der Provinz Hunan. "Ich war mal Koch, und ich hatte auch eine kleine Firma", sagt der Lieferfahrer. "In der Covid-Pandemie musste ich meine Firma aufgeben. Wenn ich könnte, würde ich wieder in meinem alten Beruf arbeiten."

Aber genau das ist das Problem: Die chinesische Wirtschaft hat sich noch nicht von den Covid-Lockdowns erholt. Viele gut ausgebildete Chinesen finden keine Stelle - selbst Hochschulabsolventen. Also suchen sie nach Jobs ohne große Investitionen. Expressfahrer brauchen einen Elektroroller und ein Handy, mehr nicht.

In China arbeiten schätzungsweise 84 Millionen Menschen als Lieferanten - das sind rund elf Prozent aller Beschäftigten. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen.

"Bestenfalls ein Übergangsjob"

Es ist nicht ungefährlich, wenn sich Ou Jiawang und seine Kollegen auf ihren Rollern durch den Verkehr schlängeln. "Rote Ampeln überfahren geht nicht. Denn unsere Nummernschilder sind registriert, ich will keine Geldstrafe", sagt er. "Expressbote ist für mich bestenfalls ein Übergangsjob. Wir alle wissen, dass die Wirtschaft nicht gut läuft. Wenn es der besser ginge, würde ich nicht Lieferdienst fahren."

Es sei harte Arbeit für wenig Geld - und man erhalte dafür wenig Wertschätzung. Dazu kommt die Hektik. "Hast Du je gehört, dass ein Expressfahrer in Shanghai Pause hat? Nein!" - und schon fährt Ou Jiawang mit der die nächsten Ladung Pakete los.

Astrid Freyeisen, ARD Shanghai, tagesschau, 14.11.2023 04:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell Radio am 14. November 2023 um 11:25 Uhr.