Boomender Automarkt der Türkei Neuwagen als Inflationsschutz
Trotz Wirtschafts- und Finanzkrise: In der Türkei läuft der Automarkt heiß. In Zeiten hoher Inflation suchen viele Menschen nach neuen Formen der Geldanlage. So werden Autos zum Spekulationsobjekt.
Seit neun Monaten werden in der Türkei beim Verkauf von Neuwagen immer neue Höchststände erreicht. Die neuesten Zahlen für den Mai: Fast 87.000 Neuzulassungen - Monatsrekord. Seit Anfang des Jahres verzeichnet die Branche laut der Zahlen des Türkischen Verbandes der Automobilindustrie (OSD) gar ein Wachstum von fast 70 Prozent.
Ungeduldige Käufer in den Autohäusern
Zu Besuch im Autohaus von Murat Aksoy im Istanbuler Stadtteil BostancI. Hier werden Autos der gehoben Preisklasse verkauft. Der Händler ist mit den derzeitigen Verkäufen sehr zufrieden. "Das Geschäft boomt", sagt er. In der jetzigen wirtschaftlichen Situation im Land würden die Kunden das Auto als eine Investition ansehen, so wie Gold oder Devisen.
Die große Nachfrage erzeugt aber ein Problem: Momentan dauere es bei vielen Modellen drei bis sechs Monate, bis Neuwagen importiert werden können und beim Kunden landen. Der Grund dafür sei eben die hohe Anfrage. Viele Käufer seien aber sehr ungeduldig, wollten sofort zuschlagen, sagt Aksoy. Davon profitiere dann der Gebrauchtwagenhändler nur wenige Kilometer weiter.
"Wir kaufen und verkaufen teuer"
Auch bei inländischen Modellen könnte es nicht besser laufen: Alper Kanca ist ein Auto-Profi - der 60-Jährige hat den Automobilzuliefererverband TAYSAD mit aufgebaut. Mittlerweile ist dieser Verbund am Stadtrand von Istanbul eine Erfolgsgeschichte. 90 Industriebetriebe, Kindergärten, Schulen, eine Anbindung an die Autobahn und sogar eine Feuerwehr sind dort in einem Industriegebiet gebündelt. In drei Schichten wird gearbeitet, rund ein Prozent des türkischen Exports wird von dort abgewickelt.
Kanca sieht zwei Gründe für den Boom: Zum einen produziert die türkische Autoindustrie gerade sehr viele Fahrzeuge, kann den Markt zu befriedigen. Und: Die Menschen haben erkannt, dass "je eher sie kaufen, desto weniger verliert ihr Geld an Wert", so der Wirtschaftsboss. "Wir kaufen teuer und verkaufen teuer", sagt ein Neuwagenkunde auf Nachfrage im Autogeschäft.
Verunsicherte Verbraucher
Aus Angst vor der Geldentwertung und der Inflation gehen viele Türken an ihre Bargeldreserven. Verunsicherung schafft auch die Steuererhöhung von Anfang Juli. Der Steuersatz für Waren und Dienstleistungen ist mittlerweile auf 20 Prozent gestiegen. Die türkische Lira hat innerhalb eines Jahre fast 70 Prozent an Wert verloren. Die Inflation beträgt offiziell 38 Prozent, nach Schätzung von Währungsexperten des unabhängigen Institutes ENAG aber 108 Prozent.
Deshalb wollen viele Türken in Sachwerte investieren, und da sind Automobile sehr gefragt. Am liebsten wird bar gezahlt, denn in der Wirtschaftskrise sind Kredite kaum zu haben - und wenn, dann liegt der Kreditzins weit über dem Leitzins von mittlerweile 15 Prozent.
Luxussteuer verteuert die Neuwagen
Autos sind in der Türkei teuer - wesentlich teurer als in Deutschland. Dazu hat auch die Regierung, die immer Geld braucht, beigetragen: Vor zwei Jahre führte Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Luxussteuer ein. Die gilt auch für Neuwagen. Die Höhe dieser sogenannten ÖTV hängt vom Hubraum des Motors ab und kann bis zu 50 Prozent des Kaufpreises betragen. Vor allem große Autos aus dem Ausland werden dadurch deutlich teurer.
TAYSAD-Manager Kanca sieht bei den Autoherstellern dennoch gerade goldene Zeiten. Die Menschen wollten kaufen, und die Hersteller könnten die Preise deshalb immer weiter nach oben schrauben, sagt er im ARD-Interview.
Überhitzter Gebrauchtwagen-Markt
Doch nicht nur Neuwagen sind begehrt. Die Türken kaufen seit längerem Autos aller Art - zu fast jedem Preis - und verkaufen sie dann mit großem Gewinn weiter, oft zu deutlich höheren Preisen. Das Auto wird zum Anlage- und Spekulationsobjekt. Die Preisspirale dreht sich immer weiter nach oben.
Der Markt ist so stark überhitzt, dass nun sogar ein Gesetz dagegen verabschiedet worden ist. Es untersagt, dass der Preis von Gebrauchtwagen über dem von Neuwagen liegt. Wer dagegen verstößt, muss eine Geldstrafe von bis zu 300.000 Lira befürchten - umgerechnet etwa 10.000 Euro. Das alles gilt seit dem 15. Juli.