Russische Rohstoff-Lieferungen Der Preis eines Energie-Embargos
Der Streit über einen möglichen Lieferstopp für russisches Gas und Öl wird immer heftiger geführt. Experten bewerten die wirtschaftlichen Risiken unterschiedlich. Indes wächst der Druck auf die Bundesregierung.
Da fuhr der sonst eigentlich eher spröde wirkende Kanzler förmlich aus der Haut. Die Ökonomen sähen das falsch, platzte es bei Anne Will am Sonntagabend aus ihm heraus. Es sei "ehrlicherweise unverantwortlich, irgendwelche mathematischen Modelle zusammenzurechnen, die dann nicht wirklich funktionieren", kanzelte Olaf Scholz eine Reihe von Ökonomen ab, die in einer Studie zu dem Ergebnis gekommen sind, dass ein Lieferstopp für Öl und Gas aus Russland für Deutschland wirtschaftlich zu verkraften sei.
Löchrige Sanktionen
Die Ampel-Koalition tut sich immer schwerer, eine Linie des "sowohl als auch" zu vertreten. Einerseits will man mit einem harten Embargo Russland zum Einlenken zwingen, andererseits bezieht Deutschland weiter Rohstoffe, vor allem Öl und Gas von dort und zahlt Spitzenpreise dafür. Um die Finanzierung dieser Rohstoffe-Einkäufe zu gewährleisten, hat auch die Blockade der russischen Banken mehrere große Löcher.
Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht zwar Fortschritte im Bestreben, sich von russischen Rohstoff-Lieferungen unabhängiger zu machen. So werde der Anteil Russlands an Öl- und Kohleimporten auf jeweils 25 Prozent sinken. Bei Gas sei das aber schwieriger, auch wenn der Anteil schon von 55 Prozent auf 40 Prozent gesenkt worden sei. Das ermögliche noch keinen verantwortlichen sofortigen Lieferstopp.
Bonner Experten halten Importstopp-Folgen für handhabbar
Die von Scholz so unwirsch abgewatschten Forscherinnen und Forscher der Universität Bonn haben die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen eines sofortigen Importstopps russischer Rohstoffe analysiert. Das Ergebnis: Die Folgen wären zwar deutlich, aber handhabbar. Deutschland würde die Energie nicht ausgehen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde der Studie zufolge kurzfristig um 0,5 Prozent bis 3 Prozent zurückgehen. "Die Politik unterschätzt, dass sich Industrie und Konsumenten bei höheren Preisen anpassen werden", sagt Moritz Schularick, Professor an der Universität Bonn. Also etwa auf andere Energiequellen umsteigen oder den Verbrauch reduzieren.
"Wir gehen schon von einer substanziellen Krise aus, aber es wird nicht so schlimm, weil die Wirtschaft viele Anpassungsmöglichkeiten hat, die weit über das, was industrielle Produktion ist, hinausgehen", ergänzt Professor Christian Bayer, ebenfalls von der Universität Bonn. Es könnten zwar Produkte verschwinden, aber zum Beispiel über veränderte Ladenöffnungszeiten oder Homeoffice ließe sich gegensteuern. Die Wirtschaft sei mit einem ausreichenden Planungshorizont durchaus in der Lage, Ideen zu entwickeln, wenn die Anreize dafür stimmen würden.
Institute IW und DIW warnen vor massiven Folgen
Der Streit geht quer durch die ökonomische Gelehrten-Landschaft. Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), widerspricht den Bonnern Forschern und sieht eine große Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Wenn die abrupt enden würden, drohe ein millionenfacher Anstieg der Arbeitslosenzahlen. "Wir würden die gesamte Wirtschaftsstruktur lahmlegen und wir würden uns entscheiden, die so wichtige Grundstoffindustrie nicht mehr in Deutschland zu haben", so Michael Hüther. "Diesen Preis zu zahlen würde bedeuten, wir würden das Werk von Putin bei uns machen". Es könne nicht sein, dass Deutschland am Ende nicht handlungsfähig sei und so dann auch niemandem helfen könne.
Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), glaubt, dass sich ein sofortiges Energie-Embargo nur wenige Monate durchhalten ließe. Der Lieferstopp sei moralisch und politisch eigentlich notwendig, der wirtschaftliche Preis - also Rezession, hohe Inflation und sinkende Realeinkommen - wäre aber so hoch, dass die Mehrheit der Deutschen das vermutlich nicht auf Dauer tragen würden. Schon ein Tempolimit oder ein autofreies Wochenende, um Energie zu sparen, seien ja offenbar schon ein Tabu, so Fratzscher.
Moralische Entscheidung
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hingegen hält die Belastungen für Haushalte mit unteren und mittleren Einkommen, die sich aus einem sofortigen Lieferstopp ergeben würden, für "leistbar". Die Akzeptanz der Maßnahmen durch die Bevölkerung sei natürlich ein entscheidender Faktor für die Umsetzbarkeit. Deutschland habe aber ausreichend finanzpolitischen Spielraum.
Letztlich weisen auch viele Ökonominnen und Ökonomen darauf hin, dass die Entscheidung bei weitem nicht nur eine ökonomische, sondern vielmehr eine moralische ist. Wieviel wirtschaftlicher Wohlstandsverlust ist den Deutschen ein verstärkter Druck auf Putin wert, der helfen könnte, in der Ukraine Menschenleben zu retten? Es stünden wohl harte Einschnitte für alle bevor.