Folgen des "Truss-Schocks" Wie es um die britische Wirtschaft steht
Vor einem Jahr verkündete die Regierung der damaligen britischen Premierministerin Truss umfangreiche Steuersenkungen. Es kam zu Chaos an den Märkten, Truss musste zurücktreten. Die Folgen sind heute noch spürbar.
Es war ein bemerkenswerter Auftritt der ehemaligen Premierministerin Liz Truss in dieser Woche vor den Gästen eines Think Tanks in London. Ziemlich genau ein Jahr, nachdem sie mit ihrer Finanzpolitik die Märkte auf Talfahrt geschickt hatte, sprach sie - mal wieder - über niedrigere Steuern und Wachstum für Großbritannien. Es war eine Rechtfertigungsorgie: "Meine Entscheidung damals bereue ich nicht", sagte die konservative Politikerin.
"Argentinien am Kanal statt Singapur an der Themse"
Ihr finanzpolitisches Paket hieß "Minibudget": Steuersenkungen für Unternehmen und Verbraucher, außerdem ein Hilfspaket für Haushalte, um bei den hohen Energiepreisen zu unterstützen.
Und dieses "Minibudget" hatte maximale Wirkung. Es fehlte die Gegenfinanzierung, die Märkte reagierten nervös. Erst stürzte das Pfund ab, dann gingen die Zinsen für Staatsanleihen durch die Decke, Pensionsfonds gerieten in Schwierigkeiten, die britische Zentralbank musste intervenieren und kündigte an, den Markt mit 65 Milliarden Pfund zu stützen.
Der Versuch, mit niedrigen Steuern ein Feuerwerk des Wirtschaftswachstums zu entfachen, endete im Desaster. Der ehemalige Gouverneuer der britischen Zentralbank, Mark Carney, fasste es so zusammen: "Der Versuch der Brexit-Befürworter, Singapur an der Themse zu etablieren, endete mit Argentinien am Kanal". Das südamerikanische Land kämpfte über Jahrzehnte hinweg mit extremer Staatsverschuldung, Inflation und hoher Zinslast.
Hohe Inflation und steigende Immobilienzinsen
Es ist kaum möglich zu beziffern, wie groß der finanz- und wirtschaftspolitische Schaden ist, den Liz Truss in ihren 49 Tagen im Amt angerichtet hat. Eine Folge der Marktturbulenzen: Die Darlehenszinsen für Hausfinanzierungen stiegen massiv an. Zu einem Teil ist das auf das Minibudget zurückzuführen. Viele Verbraucher leiden unter der hohen Inflation in Großbritannien und steigenden Darlehenszinsen für Hausfinanzierungen. Die Laufzeiten der Finanzierungen sind im Vereinigten Königreich deutlich kürzer als in Deutschland.
Für das Vereinigte Königreich sind die Zeiten nicht einfach. Die Staatsverschuldung liegt bei fast 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. In Deutschland ist dieser Wert deutlich niedriger, in Italien beispielsweise höher. Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr bei 0,4 Prozent liegen, so die Prognose des Internationalen Währungsfonds (IMF).
Dabei belasten die Auswirkungen des Brexit das Land noch: Der Think Tank Center for European Reform schätzt, dass das Vereinigte Königreich fünf Prozent Wachstum verloren hat seit dem Austritt aus der Europäischen Union.
Folgen des Brexit und der Pandemie
Das bedeutet auch, dass die Regierung deutlich weniger Steuern eingenommen hat; Geld für Investitionen fehlt. Gerade erst musste die britische Regierung Investoren wie Tata und BMW Subventionen versprechen, damit diese im Vereinigten Königreich investieren. Großbritannien befindet sich im Wettbewerb mit den USA und der Europäischen Union um Investoren, die beiden Wirtschaftsblöcke haben riesige Konjunkturpakete aufgelegt, um "grüne" Technologien zu fördern - beziehungsweise sind kurz davor, das auf den Weg zu bringen.
"Wenn man in Produktivität und Automation investieren muss, Aus- und Fortbildung, wenn man lokale Behörden in die Möglichkeit versetzen möchte, Geldgeber anzulocken, dann muss man da Geld reinpumpen", sagt Peter Foster, Autor und Journalist der "Financial Times". "Und die Schwierigkeit ist: da gibt es kein Geld."
Das Vereinigte Königreich spürt derzeit die Auswirkungen des Brexit und von Covid, es gibt strukturelle Rückstände, die sich über Jahre aufgebaut haben. Und dann kam noch das Minibudget von Liz Truss.
"Das ist nicht so schnell zu beheben"
Der größte Schaden entstand durch die verfehlte Finanzpolitik jedoch für die Reputation des Landes. "Das ist nicht so schnell zu beheben, künftige Regierungen werden hart arbeiten müssen, das zu reparieren", sagt Foster.
Es geht um verloren gegangenes Vertrauen, Verlässlichkeit für Investoren. Denn: Truss wollte durchsetzen, was eigentlich unmöglich war. Sie hatte an einer Finanzbehörde vorbei entschieden, die eigentlich die Auswirkungen der Finanzpolitik im Blick hat und Turbulenzen verhindern soll.
Es klingt nach Verschwörung
Heute sagt Truss, sie habe mit den radikalen Steuersenkungsplänen die Orthodoxie der vergangenen Jahre durchbrechen wollen. Zentralbank und die Behörde Office for Budget Responsibility (OBR) hätten sie einfach nicht unterstützt: "Die Anti-Wachstums-Koalition, bestehend aus wirtschaftlicher Elite, Medienvertretern und sogar Mitgliedern der Konservativen Partei, ist eine bedeutende Kraft".
Das klingt nach "Deep State", nach einer Verwaltung, die durchsetzt ist von Gegnern, es klingt nach Verschwörung, alle gegen Liz Truss. Einsicht sieht anders aus - ein Comeback jedoch auch.