Scholz in Äthiopien und Kenia Den Rückstand in Afrika aufholen
Dass der Kanzler bereits zum zweiten Mal nach Afrika reist, zeigt die wachsende strategische Bedeutung des Kontinents. Es zeigt aber auch, wie viel Zeit schon verloren wurde.
Ein Kontinent als Zukunftsvision. Die Minister Lindner, Pistorius, Baerbock und natürlich Schulze - kaum ein Monat vergeht mittlerweile, ohne dass ein Kabinettsmitglied samt Beratern und Pressetross aus Berlin einfliegt. Und nun ist also Olaf Scholz, zum zweiten Mal in seiner Amtszeit, auf Afrika-Tour.
"Es geht mir um einen neuen Aufbruch im Nord-Süd-Verhältnis - das ist es, was mir wichtig ist", betont der Bundeskanzler bei seiner ersten Station in Äthiopien. "Der Besuch kommt zu einer Zeit, in der vieles in Afrika schwieriger wird", glaubt dagegen Stefan Liebing, der bis April Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft war. "Das Jahrzehnt der Chancen auf dem Kontinent ist vorbei - und Deutschland hat es kaum genutzt."
Chinas Vorsprung, Russlands Angebote
Genutzt hat es bekanntermaßen vor allem China, mit riesigen Investitionen, die viele Länder hoch verschuldet und in Abhängigkeiten geführt haben, die aber auch in vielen Regionen einen deutlichen Modernisierungsschub brachten. Straßen, Flughäfen - Fortschritt auf dem Kontinent ist heute eng mit dem "Reich der Mitte" verknüpft.
Auch Russland hat seine Chance gesehen und exportiert das, was seinen Ruf hier immer ausgemacht hat: Waffen und seit Jahren auch Söldner. Alle nehmen im Gegenzug, wofür der Kontinent auch bekannt ist, nämlich Rohstoffe.
Die Krisen nehmen zu
Dann kamen die Golfstaaten und die Türkei, die USA hat nachgelegt, neuerdings engagiert sich auch die EU massiv. Doch mehr und mehr Länder, gerade in der Sahelzone, leiden unter Unsicherheit oder gar Terrorgruppen.
Immer neue Krisenherde - wie nun der Sudan - entstehen, drohen ganze Regionen in Probleme zu stürzen. Militärregierungen nehmen zu, Demokratien haben es vielfach schwer. Inflation und Staatverschuldung setzen fast allen Staaten zu, einigen droht gar der Staatbankrott.
Der Westen braucht Afrika
Eine andere Seite: Der Westen braucht Afrika zum Beispiel politisch. Im Ukraine-Konflikt etwa haben viele afrikanische Länder ein Problem, sich eindeutig gegen Russland zu stellen. Das mag historische oder opportunistische Gründe haben - in jedem Fall ist es ein Thema für Scholz.
Vor allem aber treibt das Thema Wirtschaft die Besucherfrequenz nach oben: In vielen Ländern wächst der Mittelstand, und damit wachsen die Absatzmärkte. Und weiter: Für den nachhaltigen, "grünen" Umbau der westlichen Industrien finden sich auf dem Kontinent wichtige Rohstoffe wie Kobalt oder Lithium. Das ist zudem wichtig, wenn die Abhängigkeit der Industrien von China oder Russland verringert werden soll.
In dem Zusammenhang ist auch das Thema "grüner Wasserstoff" zu sehen: Die Internationale Energie-Agentur (IEA) glaubt, Afrika sei potentiell in der Lage, jährlich 5000 Megatonnen Wasserstoff mit Hilfe von Wind und Sonnenenergie produzieren, das sei "derzeit der ganze, weltweite Energiebedarf".
Jetzt geht es um Augenhöhe
Kenia deckt bereits den weitaus größten Teil seines Energiebedarfs aus Erneuerbaren, vor allem Windkraft und Erdwärme. Geothermie liefert bereits fast 900 Megawatt, gefördert auch mit Mitteln aus Deutschland.
Scholz wird sich ein Vorzeigeprojekt ansehen, zeigen, dass Deutschland nicht nur Brunnen bohren und Nothilfe leisten kann, sondern auch zu Partnerschaft auf Augenhöhe fähig ist. "Es geht natürlich auch um Technologie, denn Kenia ist bestrebt, seine hohen Energiekosten zu senken", sagt der kenianische Wirtschaftsexperte James Shikwati.
Hilfe für den Arbeitsmarkt?
Im Gegenzug könnten mehr als 100.000 Kenianer Deutschland helfen, seinen Arbeitskräftemangel in den Griff zu bekommen, sagt Shikwati: "Die Frage wird sein, wie sie aus- oder weitergebildet werden können. Womöglich werden der deutsche Kanzler und Kenias Präsident William Ruto das gemeinsam besprechen."
Ruto hatte den Punkt Arbeitsmigration nach Deutschland ausgerechnet am 1. Mai, dem "Tag der Arbeit“, öffentlich angesprochen. Die Arbeitslosigkeit gerade gut ausgebildeter junger Leute lastet schwer auf seinem Land - so wie die Arbeitskräftemangel auf Deutschland.
Den richtigen Zeitpunkt verpasst?
Wird es zum "neuen Aufbruch im Nord-Süd-Verhältnis" kommen, wie es sich Scholz wünscht? Oder ist Deutschland schon zu spät, hinter den Wettbewerbern, und hat den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg verpasst?
Mitte der Woche noch hatte UN-Generalsekretär Antonio Guterres in Kenias Hauptstadt Nairobi Realität und Hoffnung unfreiwillig gut beschrieben. Nach einem Krisentreffen zu den Kämpfen im Sudan gab es dramatische Worte, dann einen dringenden Appell: "Das 21. Jahrhundert muss Afrikas Jahrhundert sein." Vielleicht kommt es ja dazu - ein "ganz neuer Blick" des Kanzlers auf Afrika hätte sich dann womöglich gelohnt.