Russische Angriffe auf Odessa "Ziel war, so viel Zerstörung wie möglich anzurichten"
Die russischen Angriffe auf Odessa hätten Zehntausende Tonnen Getreide vernichtet und wichtige Technik zerstört, sagt der ukrainische Agrarminister Solskyj im Interview. Der weitere Export über das Schwarze Meer sei ungewiss.
In der Nacht zu Dienstag hat der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyj die russischen Angriffe auf die Hafenstadt Odessa selbst erlebt. Es sei heftig gewesen, berichtet er. Grund für die Reise in den Süden: Solskyj war aus Kiew gemeinsam mit Samantha Power, Direktorin der US-Agentur für Entwicklungszusammenarbeit, in der Hafenstadt und bedankte sich für das millionenschwere Hilfspaket von USAID.
Die 250 Millionen US-Dollar sind zur Unterstützung ukrainischer Landwirte nach Russlands Ausstieg aus dem Getreideabkommen gedacht. Doch nach den heftigen Attacken der vergangenen Nächte dürfte dieses Geld kaum ausreichen.
Laut Solskyj Zehntausende Tonnen Getreide vernichtet
"Das Ziel war offensichtlich, die Getreideinfrastruktur zu beschädigen und so viel Zerstörung wie möglich anzurichten", sagt Solskyj im Interview mit der tagesschau. "Denn die Zahl der abgefeuerten Raketen und Drohnen war sehr hoch."
Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe soll Russland die Ukraine mit insgesamt 63 Raketen und Kampfdrohnen angegriffen haben. 37 Flugobjekte konnten demnach abgewehrt werden. Hauptziel: Odessa.
Nach Informationen des ukrainischen Agrarministers seien Getreideterminals und Anlagen in den Häfen Odessa und Tschornomorsk beschädigt worden. "Das sind leistungsstarke Terminals, die riesige Schiffe recht schnell beladen können", sagt er. An zwei Terminals seien auch Getreide und die dafür vorgesehenen Lager vernichtet worden. "Es handelt sich um große Mengen, Zehntausende Tonnen Getreide. Aber was im Moment wahrscheinlich noch wichtiger ist: Dass die Technik für die Annahme und das Verladen von Getreide beschädigt ist."
Angriffe nach Ausstieg aus Getreideabkommen "kein Zufall"
Der ukrainische Agrarminister sieht einen direkten Zusammenhang zwischen Russlands Ausstieg aus dem Getreideabkommen und den massiven Angriffen: "Es ist nicht nur ein zeitlicher Zufall. Sie wollen zeigen, dass der Getreidekorridor ohne ihre Beteiligung unmöglich ist. Und als die Ukraine deutlich gemacht hat, dass wir versuchen werden, mit unseren Partnern andere Optionen zu finden, wollten sie zeigen, dass es ohne sie nicht geht."
Man brauche Zeit, um einen solchen Angriff zu planen. "Das Militär arbeitet nicht so, dass jemand anruft und in fünf Minuten müssen sie eine Rakete irgendwohin hinschicken. So funktioniert das nicht", sagt Solskyj. Nun würden die Getreidepreise täglich steigen und Russland könne das eigene Getreide zu höheren Preisen verkaufen.
Getreideexport über das Schwarze Meer ungewiss
Der Export von ukrainischem Getreide solle trotz der Angriffe weiter sichergestellt werden. Nach Aussage des Ministers über "andere Routen durch die Nachbarländer". Diese Transitrouten will die Ukraine nutzen.
Der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyj
Doch alternative Transportwege, wie Binnenschifffahrt, Straße oder Bahn, können den nun möglicherweise ausbleibenden Getreideexport über das Schwarze Meer nicht mal ansatzweise ausgleichen. Solskyj setzt auf eine starke Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft, konkret von den USA und der EU. "Und wir hoffen auch stark auf die Türkei", sagt er. "Darauf, dass sie die Wiederherstellung des Getreidekorridors beeinflussen wird."
Minister hofft auf Flugabwehr zum Schutz ukrainischer Häfen
Der Minister betont zudem, dass die Ukraine an verschiedenen Möglichkeiten arbeite, weiter Getreide aus den eigenen Häfen über das Schwarze Meer zu exportieren. Die konkrete Ausgestaltung lässt er auf Nachfrage jedoch offen.
Einen weiteren Lösungsansatz sieht Solskyj in der Bereitstellung von Flugabwehr für ukrainische Häfen. Diese könnten die notwendige Sicherheit gewährleisten, weil man sich nicht auf Russland verlassen könne. "Kein Format von Vereinbarungen, die auch andere Länder mit ihnen getroffen haben, funktioniert", kritisiert Solskyj. "Wenn sie es für nötig halten, werden sie immer einen Grund finden, die Vereinbarung aufzukündigen und ukrainische Häfen zu bombardieren."
Bei der Ernteprognose rechnete die Ukraine im Vergleich zum Vorjahr bisher mit einem Rückgang von zehn Prozent. Doch aufgrund des guten Wetters rechnen Landwirte und auch das Ministerium nun mit geringeren Rückgang. Sollte keine Lösung für den Export gefunden werden, könnten die Landwirte dennoch auf ihrer Ernte sitzen bleiben.