O'Neill an der Spitze Nordirlands "Ich möchte eine Regierungschefin für alle sein"
Sie ist die erste katholische Premierministerin Nordirlands - seit dem Wochenende ist Michelle O'Neill im Amt. Wer ist sie und was will sie erreichen?
Das gab es bisher noch nicht in der nordirischen Versammlung in Stormont, dass die Regierungschefin irisch spricht: Es sei Ihr eine Ehre, die Aufgabe zu übernehmen, sagte Michelle O'Neill. Sie stehe für eine gemeinsame Zukunft und ein Parlament, in dem jeder seine Stimme habe: Protestanten, Katholiken und jene, die diese Zuordnung nicht länger vertreten wollen.
Es sei ein historischer Augenblick, dass eine irische Nationalistin das Amt übernehme, erläuterte die 47-Jährige anschließend im Sender Sky News. "Die Generation meiner Eltern und Großeltern hätten das nie für möglich gehalten", sagte sie. Dies sei eine große Verantwortung. "Aber ich möchte eine Regierungschefin für alle sein, und das möchte ich jeden Tag zeigen und Menschen zusammenbringen."
Kontroversen um irische Wiedervereinigung
Das mag zutreffen auf die alltäglichen politischen Fragen in Nordirland - wie Gesundheitswesen, Schulen oder Sozialpolitik. Bereiche, in denen in den vergangenen zwei Jahren, als es keine Regierung gab, vieles liegen geblieben ist. Doch O'Neill positioniert sich auch deutlich beim äußerst kontroversen Thema der irischen Wiedervereinigung.
Nachdem die protestantische DUP vor zwei Jahren aus Protest gegen die Brexit-Regeln für Nordirland die Regierung hatte platzen lassen, sagte die Regierung in London der DUP in der vergangenen Woche zu, man sehe aufgrund aktueller Meinungsumfragen keine Perspektive für ein Unabhängigkeitsreferendum in den kommenden Jahrzehnten.
Ein Punkt, weshalb die DUP in die Regierung zurückkehrte. O'Neill erklärte dagegen, für sie sei eine Volksabstimmung über eine irische Wiedervereinigung angesichts des politischen Wandels in den nächsten zehn Jahren realistisch.
Von Teenie-Schwangerschaft und Razzien
Michelle O'Neill stammt aus einem kleinen Dorf im County Tyrone und wurde mit 16 Jahren Mutter. "Ich war auf einem katholischen Mädchen-Gymnasium. Eine schwangere 16-Jährige, wurde missbilligt und es gab wenig Unterstützung", erzählte sie.
O'Neill war 21 Jahre alt, als das Karfreitagsabkommen geschlossen wurde, das nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg den Frieden bringen sollte. Ihr Vater Brendan saß als Mitglied der republikanischen Terrorgruppe IRA im Gefängnis, als sie klein war. Ein Cousin, ebenfalls in der IRA, wurde vom britischen Militär erschossen.
Mein Vater war nicht da, als ich jung war. Eine frühe Erinnerung von mir ist das Geräusch von Landrovern, die vorfuhren, wenn es wieder einmal eine Razzia in unserem Haus gab. Solche Erlebnisse prägen einen.
Ihr Onkel Paul war Präsident von NORAID, der Organisation von Irisch-Amerikanern, die Spenden für katholisch-nationalistische Iren sammelten. Angeblich für humanitäre Zwecke, etwa Gefangene, aber niemand bezweifelt, dass damit auch Waffen finanziert wurden.
"Die glückliche Generation des Karfreitagsabkommens"
Vor zwei Jahren zog O'Neill Kritik auf sich, als sie in einem BBC-Podcast auf die Frage, wie sie die Gewalt der IRA als Widerstand gegen die Briten rückblickend bewerte, antwortete, Gewalt sei zu jener Zeit alternativlos gewesen.
Heute, als neue Regierungschefin, wählt sie ihre Worte vorsichtiger: "Wir sind die glückliche Generation des Karfreitagsabkommens und leben jetzt in einem anderen Land", so O'Neill. "Aber ich habe in meiner Antrittsrede auch gesagt, dass ich ausnahmslos jedes Leben, das dieser Konflikt gekostet hat, bedauere. Dass Menschen Angehörige verloren haben, in dieser schwierigen Zeit."