Eine Gruppe steht auf einer Bühne
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Bericht vorgestellt Welche Rolle spielen Bürgerräte in Deutschland?

Stand: 30.10.2024 14:14 Uhr

Seit mehr als 50 Jahren erarbeiten Bürgerräte Empfehlungen für die Politik. Ihre Arbeit soll nun besser erfasst werden. Doch wie funktionieren Bürgerräte überhaupt? Und welchen Einfluss haben sie?

Von Susett Kleine, rbb

Mit ihren Empfehlungen für politische Entscheidungen sollen Bürgerräte die Meinung und Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Bisher wurden ihr Wirken und ihre Ergebnisse allerdings nicht zentral und einheitlich erfasst. Das ändert sich nun.

Der Fachverband Mehr Demokratie und das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF) an der Bergischen Universität Wuppertal sammeln erstmals systematisch alle Informationen zu absolvierten und derzeitigen Aktivitäten der Bürgerräte in Deutschland. Die daraus entstehende Datenbank soll eine Wissensgrundlage unter anderem für Politik, Medien und die interessierte Öffentlichkeit bieten.

Was sind Bürgerräte?

Bürgerräte sind Versammlungen von zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, die sich an mehreren Terminen treffen, um ein bestimmtes Thema zu diskutieren. Ziel der Bürgerräte ist es, die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden und der Politik praxisnahe Ratschläge für bevorstehende politische Entscheidungen zu geben, die aus dem Alltag der Menschen stammen.

Welche Rolle spielen Bürgerräte in Deutschland?

Sie werden immer wichtiger. Während in den Jahren zwischen 2010 bis 2019 durchschnittlich sechs Bürgerräte pro Jahr in Deutschland stattfanden, waren es zwischen 2020 und 2023 fast 30 pro Jahr. 80 Prozent davon fanden auf kommunaler Ebene statt. Das zeigt der aktuelle Bericht vom Fachverband Mehr Demokratie und vom IDPF.

So setzen Kommunen, Länder und auch der Bundestag immer öfter auf losbasierte Bürgerräte. 298 Verfahren gab es seit 1972. Etwa 35.500 Menschen waren an Bürgerräten insgesamt beteiligt, so der aktuelle Stand der Datenbank.

Wie wird man Teil eines Bürgerrats?

Ein Bürgerrat setzt sich aus einer Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern zusammen, die durch ein Losverfahren aus den Einwohnermelderegistern der Städte und Gemeinden ausgewählt werden. Durch diese Zufallsauswahl können auch Menschen erreicht werden, die sich sonst nicht politisch engagieren oder an Wahlen teilnehmen und dadurch in politischen Debatten unterrepräsentiert sind.

Nach der Auswahl werden die Ausgelosten eingeladen, sich für die Teilnahme am Bürgerrat zu bewerben. Dabei geben sie zusätzliche Informationen an, wie etwa ihren Bildungsabschluss oder einen Migrationshintergrund. Ziel ist eine diverse und repräsentative Gruppe zu bilden. Jeder Bürgerrat ist zur Hälfte mit Frauen besetzt.

Um allen Auserwählten die Teilnahme dann auch ermöglichen zu können, wird bei der Kinderbetreuung unterstützt, Barrierefreiheit gewährleistet und auch Kosten werden übernommen.

Wie funktioniert ein Bürgerrat?

Ein Bürgerrat läuft in verschiedenen Etappen ab: Zuerst wird das Thema festgelegt und Bürgerinnen und Bürger werden per Zufallsauswahl zur Teilnahme eingeladen. Danach wird gemeinsam beraten. Die Teilnehmenden erhalten Informationen von Expertinnen und Experten und diskutieren in moderierten Gruppen über das Thema.

Gemeinsam entwickeln sie Handlungsempfehlungen, die in einem Bürgergutachten zusammengefasst werden. Dieses wird dem Gemeinderat oder Parlament übergeben. Schließlich prüft die Politik die Vorschläge und entscheidet, ob und wie sie umgesetzt werden, wobei sie die Möglichkeit hat, einzelne Empfehlungen anzunehmen, anzupassen oder abzulehnen.

Welche Themen diskutieren Bürgerräte?

Bürgerräte beschäftigen sich mit Themen, die sich gut für eine ergebnisoffene Beratung eignen. Dazu zählen beispielsweise Grundsatzfragen, Priorisierungen oder Kostenfragen bei Themen wie Infrastruktur, Nachhaltigkeit, Soziales, Umwelt oder Bau. Solche Themen bieten die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven abzuwägen und praxisnahe Empfehlungen zu formulieren, jenseits von Lobbyismus.

Welche Bedeutung haben Bürgerräte auf Bundesebene?

Bisher gab es auf Bundesebene einen vom Bundestag eingesetzten Bürgerrat mit dem Thema "Ernährung im Wandel". Dieser endete im Januar dieses Jahres und erarbeitete ein Bürgergutachten mit neun Empfehlungen, beispielsweise die Einführung von kostenlosem Schulessen.

Darüber hinaus gab es neun von Bundesministerien oder zivilgesellschaftlichen Akteuren organisierte bundesweite Bürgerräte und knapp 20 auf Landesebene.

Wie helfen Bürgerräte der Politik?

Bürgerräte unterstützen die Politik, indem sie ein detailliertes Stimmungsbild der Bevölkerung liefern, das genauer ist als traditionelle Meinungsumfragen. In Bürgerräten werden auch Begründungen für bestimmte Standpunkte wiedergegeben. Dadurch können sie den politischen Entscheidungsprozess bereichern und dabei helfen, Kompromisse zu schließen, die auch eine breite Unterstützung in der Bevölkerung finden.

Inwiefern beeinflussen Bürgerräte politische Entscheidungen?

In diesem Punkt kommen der Fachverband Mehr Demokratie und das IDPF zu keinem eindeutigen Ergebnis. Es wird selten veröffentlicht, ob und in welchem Umfang Empfehlungen der Bürgerräte angenommen wurden. Außerdem kann oft nicht abschließend geklärt werden, ob eine politische Entscheidung durch die Ideen des Bürgerrats oder auch ohne ihn zustande gekommen ist.

Allerdings kann man mit Sicherheit sagen, dass Bürgerräte, die offiziell politisch beauftragt wurden, die politische Wirksamkeit erhöhen. Die Politik setzt sich also aktiv mit ihren Empfehlungen auseinander. Bei Verfahren ohne Anbindung an politische Entscheidungsgremien darf man nur selten auf einen nachweisbaren Einfluss auf politische Entscheidungen hoffen, so der Fachverband.

Können Interessierte Einblick in die Arbeit der Bürgerräte bekommen?

Ja, in der Datenbank erfassen der Fachverband Mehr Demokratie und das IDPF alle Fälle losbasierter Bürgerbeteiligung. Die Daten reichen zurück zur ersten Planungszelle 1972 und gehen bis 2023.

Festgehalten wird, wann und wo Bürgerräte zu welchen Themen stattgefunden haben, wo es laufende Verfahren gibt und wo weitere geplant sind. Diese Daten sollen nun kontinuierlich weiter gepflegt werden.