Was Großstädter nach Brandenburg zieht 35 Einwohner statt Millionenstadt
Der Städte- und Gemeindebund hat unlängst den Umzug auf das Land empfohlen: Mehr als 1,3 Millionen leerstehende Wohnungen gebe es da. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Ein Besuch in Brandenburg.
Andree Poblotzki freut sich, dass es endlich Frühling wird. Tomaten, Paprika und Chili hat er schon in Pflanztöpfe ausgesät. Sie stehen noch im Haus und sollen endlich raus, auf die Beete und ins Gewächshaus. Kartoffeln, Möhren, Gurken, im Winter Grünkohl: Eigenes Gemüse anzubauen und sich selbst damit versorgen zu können, gehört für den 42-Jährigen zu den Vorzügen des Landlebens, obwohl er sich das am Anfang noch anders gedacht hat - größer.
Zunächst eine Wohnung in Berlin-Wedding, dann ein Eigenheim am Stadtrand und schließlich der Bauernhof in Gräben im Fläming. Im Sommer 2021 sind Andree, seine Frau Anita und ihre drei Kinder, zwei Mädchen, drei und vier Jahre alt, und der 17-jährige Sohn in das 500-Seelen-Dorf gezogen, knapp 100 Kilometer westlich von Berlin. Fast zwei Jahre haben sie zuvor nach etwas Passendem gesucht. "Alles näher als eine Autostunde von Berlin, dafür hätte das Geld nicht gereicht. Da konnten wir zusehen, wie die Preise steigen", sagt Poblotzki.
Mit dem Hof, einem großen Haus und 3500 Quadratmetern Ackerfläche hat sich die Familie einen Traum erfüllt, weit weg vom Stress und der Enge der Großstadt. Dazu kommt, dass sie in Gräben auch gute Nachbarn gefunden haben und nach und nach in die Dorfgemeinschaft aufgenommen werden. "Da haben wir sicherlich auch Glück gehabt", resümiert Poblotzki.
Hohe Benzinpreise sind ein Problem
Der gelernte Kfz-Mechaniker und seine Frau sind studierte Sozialpädagogen. Sie pendelt für den Job täglich nach Berlin, er hat seine Arbeit in einer Behindertenwerkstatt aufgegeben und wollte Landwirtschaft machen, Gemüse anbauen und Hühner halten, die Eier legen. Das war im ersten Jahr nicht ertragreich genug, um Geld damit zu verdienen.
Der Boden sei hier nicht der allerbeste, räumt Poblotzki ein. Manche Gemüsesorten würden da eben nicht so. Dazu komme, dass die Benzinpreise so hoch seien, dass es sich nicht lohnt nach Berlin zu fahren und dort zu verkaufen, ergänzt er noch.
Die hohen Benzinpreise sind auch im Alltag ein Problem. Hier in Gräben, wo der Bus nur vormittags und nachmittags fährt, sind Andree und Anita Poblotzki auf das Auto angewiesen. Die Mädchen müssen in die Kita ins Nachbardorf gebracht werden und der nächste Supermarkt ist auch rund 15 Kilometer entfernt. Das war eine echte Umstellung für die Familie im Vergleich zu Berlin. "Da muss man eben Wege bündeln", sagt Andree Poblotzki.
Das Projekt Landwirtschaft hat er erst einmal hintenangestellt, geblieben ist die Selbstversorgung. Beruflich orientiert er sich wieder in Richtung Sozialarbeit, bildet sich fort als Natur-, Wald- und Erlebnispädagoge und will sich so eine Existenz auf dem Lande aufbauen.
Andree Poblotzki hält gemeinsam mit seiner Frau Anita auch Hühner auf dem Hof in Gräben.
Ein Dorf mit 35 Einwohnern
Etwas anders ist der Weg raus aufs Land für Mareike Georg verlaufen. Ihr war es wichtig, einen Job zu haben und nicht davon leben zu müssen, was ein Hof so abwirft. Für sie als Grundschullehrerin war es sehr einfach, Arbeit zu finden, sie konnte sich in Brandenburg praktisch eine Schule aussuchen.
Seit einem dreiviertel Jahr wohnt die 42-Jährige jetzt in der Prignitz, 150 Kilometer nördlich von Berlin auf einem Vierseithof in Hohenvier, 35 Einwohner. Die meisten sind zugezogen wie sie - aus Berlin und Hamburg. So war es leicht für sie, Kontakte zu knüpfen und Anschluss zu finden. Sie habe es schon immer aufs Land gezogen, sagt Georg. Hier habe sie endlich Platz für ihre Tiere: zwei Pferde, ein Pony und zwei Hunde, die sie aus dem Tierheim geholt hat.
Fernbeziehung nach Berlin
Mehr als zweieinhalb Hektar Wiese gehören zum Hof, dazu das Haus, Scheune, Kuh- und Schweinestall. Daraus später einmal ein Wohnprojekt zu machen für Jung und Alt, das sei ihr Traum. Doch jetzt sei sie erst einmal froh, sich im Haus eine Wohnung hergerichtet zu haben, sagt Georg.
Wie schwer das auf dem Land werden kann und wie weit die Wege sind, hat sie kurz nach ihrem Umzug erfahren müssen. Nach einer Knieverletzung musste sie operiert werden und wusste nicht, wie sie allein zurechtkommen sollte. Sie war schon fast auf dem Sprung zurück nach Berlin.
So kam der Ausbau des Hauses langsamer voran, auch weil das alte Gemäuer herzurichten viel mehr Arbeit und Geld erfordert hat, als sie ursprünglich dachte. Ohne die Hilfe ihrer Eltern und ihres Freundes wäre es nicht gegangen, sagt Georg. Mit dem Freund pflegt sie jetzt eine Fernbeziehung, da er wegen seiner Kinder aus einer früheren Beziehung nicht aus Berlin weg kann und will.
Mareike Georg hat in der Prignitz endlich Platz für ihre Tiere.
Weite und Ruhe
Inzwischen genießt Mareike die Weite und die Ruhe in der Prignitz. An Berlin vermisse sie höchstens, dass sie hier nicht spontan rausgehen kann unter Leute, ins Kino oder in ein Restaurant. "Hier bin ich schon mal allein mit meinen Tieren", sagt Georg. "Und im Winter kann es so richtig dunkel werden." Doch andererseits sei da der fantastische Sternenhimmel.
Das müsse sich jeder gut überlegen, wenn er auf Land ziehen will. Sie sei mittlerweile angekommen und schon viel entspannter geworden, seit sie hier auf dem Lande wohne, sagt Georg.
Zurück in die Großstadt zieht es sie nicht
Ähnlich klingt das bei Andree und Anita Poblotzki nach fast zwei Jahren in Gräben. In diesem Jahr wollen sie an ihrem Haus auf alle Fälle das Dach dämmen - auch wegen der Heizkosten. Und sie hoffen auf ein gute Gemüseernte.
Zurück in die Großstadt zieht es die beiden nicht, allenfalls mal zu einem Besuch bei Freunden. Nur Danny, ihr Sohn, will nach seinem Schulabschluss im Sommer wieder nach Berlin. Er sucht gerade einen Ausbildungsplatz.