Boris Pistorius
faq

Bundeswehr Worum es in der Wehrpflicht-Debatte geht

Stand: 12.06.2024 16:19 Uhr

Verteidigungsminister Pistorius plant ein neues Wehrpflichtmodell für die Bundeswehr. Wie soll es aussehen, wie viele Kapazitäten hat die Bundeswehr für die Ausbildung und warum gibt es die Dienstpflicht nur für Männer? Ein Überblick.

Die Ausgangslage

Verteidigungsminister Boris Pistorius will für ein neues Wehrpflichtmodell die vor 13 Jahren ausgesetzte Erfassung von Wehrfähigen wieder aufbauen. Der SPD-Politiker hat den Verteidigungsausschuss des Bundestags über seine Pläne informiert.

Pistorius' Vorschlag könnte ein erster Schritt hin zur möglichen Wiedereinführung einer neuen Wehrpflicht sein. Zugleich will der Verteidigungsminister erst einmal die Schritte einleiten, die noch in dieser Legislaturperiode praktisch möglich erscheinen.

Wie soll die Auswahl der Rekruten funktionieren?

Dem Plan des Verteidigungsministers zufolge sollen junge Männer verpflichtet werden, in einem Fragebogen Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Dienst zu geben. Bei Auswahl sollen sie sich einer Musterung stellen. Vorgesehen ist dafür auch, zusätzliche Kapazitäten für Musterungen zu schaffen.

Verteidigungsminister Pistorius geht davon aus, dass mit seinem Konzept eines neuen Wehrdienstes jedes Jahr 5.000 zusätzliche Soldaten für die Bundeswehr zur Verfügung stehen werden. Ziel sei, diese Zahl jedes Jahr noch zu steigern, sagte Pistorius.

Seinen Angaben zufolge werden jedes Jahr etwa 400.000 junge Männer 18 Jahre alt. Diese Gruppe soll angeschrieben werden und verpflichtend einen Fragebogen über deren Einstellung zur Bundeswehr ausfüllen müssen. Er gehe davon aus, dass ein Viertel davon Interesse habe, zur Bundeswehr zu gehen.

Wie geht es nach der Erfassung weiter?

Nächster Schritt nach der Erfassung ist die Musterung. Bereits vor der Musterung trifft die Bundeswehr eine Auswahl: Sie prüft die zurückgesandten Fragebögen und lädt nur jene Absenderinnen und Absender, die besonders geeignet und motiviert für einen Wehrdienst erscheinen, zur verpflichtenden Musterung ein.

Die Auswahl soll laut Verteidigungsministerium nach Qualitätskriterien erfolgen. Die Ausgewählten sollen dann, wenn sie wollen, sechs Monate Grundwehrdienst leisten. Dieser kann freiwillig um bis zu 17 Monate verlängert werden. Gezwungen wird niemand.

Vorschläge von Verteidigungsminister Pistorius für den Wehrdienst

Frank Jahn, ARD Berlin, tagesthemen, 12.06.2024 22:25 Uhr

Worin besteht die Pflicht?

Verpflichtend wäre es nach dem Pistorius-Modell für Männer, den Fragebogen zu beantworten und zur Musterung zu gehen, wenn sie zu dieser eingeladen werden. Frauen sollen den Fragebogen zwar auch zugesandt bekommen, für sie ist die Antwort aber nicht verpflichtend.

Warum betrifft die Dienstpflicht nur Männer?

Für eine Dienstpflicht junger Frauen müsste das Grundgesetz geändert werden. In Artikel 12a heißt es bisher: "Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden."

Wie viele Kapazitäten zur Ausbildung gibt es?

Aktuell gibt es Kapazitäten für eine Ausbildung von 5.000 bis 7.000 Rekruten. Sie sollen aber wachsen.

Warum gibt es die Wehrpflicht-Debatte jetzt wieder?

Die Personallage in der Bundeswehr verschlechtert sich stetig. Pistorius ließ deshalb - auch unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine - Modelle einer Dienstpflicht prüfen. Er hatte schon bei einer Regierungsbefragung durchblicken lassen, dass er nicht auf komplette Freiwilligkeit setzt: "Nach meiner festen Überzeugung wird es nicht gehen ohne Pflichtbestandteile."

Wiederholt betonte er, Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden, um zusammen mit den NATO-Verbündeten glaubhaft abschrecken zu können. Zuletzt äußerte er beim Tag der Bundeswehr Verständnis dafür, dass der Begriff "Kriegstüchtigkeit" einige erschreckt habe und immer noch störe. Dies sei auch ein bisschen die Absicht gewesen. "Es ist notwendig, auch durch die richtigen Begriffe deutlich zu machen, worum es geht", fügte er hinzu. Es gehe darum, einen Verteidigungskrieg führen zu können, wenn man angriffen werde - "also vorbereitet zu sein auf das Schlimmste, um nicht damit konfrontiert zu werden".

Christoph Mestmacher, ARD Berlin: Viel Freiwilligkeit, wenig Pflicht

tagesschau24, 12.06.2024 15:00 Uhr

Wie ist die Personallage in der Bundeswehr?

Dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbands, Oberst André Wüstner, zufolge liegt der Personalbedarf der Bundeswehr heute weit über der Zielgröße von 203.300 Soldaten, die einmal politisch gesetzt wurde. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr aus dem Jahr 2018 habe rechnerisch bereits mehr als 240.000 Männer und Frauen vorgesehen, so Wüstner.

Weil es seit Februar 2022 zusätzliche politische Aufträge und zunehmende NATO-Verpflichtungen gibt, "dürfte die Zahl aktuell weit darüber liegen". Trotz einer Personaloffensive war die Bundeswehr im vergangenen Jahr auf 181.500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft.

Wie ist die Wehrpflicht bisher geregelt?

Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst.

Im Wehrpflichtgesetz ist weiter festgelegt, dass die Wehrpflicht für Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt. Nach 2011 gab es allerdings keine konkreten Vorbereitungen für eine solche Situation.

Warum sind so viele gegen eine Wehrpflicht?

In der Debatte um den Wehrdienst geht es auch um die verfassungsrechtlich gebotene Wehrgerechtigkeit. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, es habe seit der Gründung der Bundeswehr immer mehr wehrfähige Männer gegeben, als für die Armee benötigt wurden. Das sei vielfach als ungerecht empfunden worden.

Der Staat kennt auch andere verpflichtende Dienste, wie bei Schöffen. Jeder Staatsbürger ist zur Übernahme dieser Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter verpflichtet. Und für den Feuerschutz wird eine sogenannte Pflichtfeuerwehr dann eingerichtet, wenn eine Freiwillige Feuerwehr nicht zustande kommt. Die Kommunen müssen dann geeignete Personen zum Feuerwehrdienst verpflichten.

Öffentlich diskutiert wurde zuletzt auch eine weiter gefasste neue Dienstpflicht, die auch Rettungsdienste und den Katastrophenschutz umfassen könnte.

Wie reagiert die Bundeswehr auf Pistorius' Pläne?

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Wüstner, hatte bereits vor Bekanntwerden der Pistorius-Pläne entschlossene Schritte für einen neuen Wehrdienst gefordert. Die Personalzahlen in der Bundeswehr seien in diesem Monat auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen, sagte Wüstner der Nachrichtenagentur dpa.

"In den kommenden Tagen wird sich zeigen, bei wem seit Ausrufung der Zeitenwende zumindest verteidigungspolitisch tatsächlich eine Erkenntniswende eingetreten ist", sagte der Verbandschef mit Blick auf die Debatte. "Denn wer das von sich behauptet - ich hoffe, dass es zumindest die Fachpolitiker tun - der wird sich nicht pauschal gegen eine neue Wehrform oder eine neue Art Wehrpflicht wenden können."

Wie steht die Ampelkoalition zur Wehrpflicht?

Gegen die Wiedereinführung eines verpflichtenden Wehrdienstes gab es zuletzt vor allem in Teilen der SPD deutlichen Widerspruch. So hatte sich SPD-Chef Lars Klingbeil dafür ausgesprochen, bei der Rekrutierung weiterhin auf Freiwilligkeit zu setzen. "Ich finde, wir sollten es freiwillig probieren, indem wir die Bundeswehr noch attraktiver machen", sagte er.

"Für mich ist das Erleben von Selbstbestimmung ganz entscheidend für die Akzeptanz der Demokratie", sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Freiwilligkeit sei auch in Bezug auf ein Engagement bei der Bundeswehr und der damit einhergehenden großen Verantwortung für die Sicherheit Deutschlands das richtige Prinzip.

Verteidigungsminister Pistorius stellt Pläne für Wehrdienst vor

tagesschau24, 12.06.2024 15:00 Uhr

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hatte zum Jahreswechsel deutlich gemacht: "Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht gebraucht wird."

Widerstand gegen einen verpflichtenden Dienst gab es zunächst auch aus der FDP, wobei eine Kursänderung möglich erscheint. Der neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der FDP-Politiker Marcus Faber, begrüßte die Vorlage des Ministers: "Die Bundeswehr braucht eine Aufwuchsfähigkeit. Wir sollten dabei erstmal auf Freiwilligkeit setzen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

"Der Truppe ist mehr gedient, wenn sie Leute bekommt, die Lust auf den Job haben", so Faber. "Dafür sind die Schritte, die Pistorius plant, gut geeignet." Zugleich plädierte Faber dafür, die Vorschläge des Ministers noch in dieser Wahlperiode auf den Weg zu bringen. Dazu braucht es allerdings zunächst eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Juni 2024 um 14:00 Uhr.