Windkraftausbau Warum die Energiewende auf dem Papier scheitert
Die Energiewende hat in Deutschland Vorrang. Doch unzählige Paragraphen, Personalabbau und die fehlende Digitalisierung lassen diese bereits auf dem Amt scheitern.
Eigentlich soll alles ganz schnell gehen. Bis 2030 will die Bundesregierung erreichen, dass 80 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Quellen kommt - auch durch den Ausbau der Windenergie. Die Realität ist jedoch: In den vergangenen Jahren hat Deutschland die eigenen Ausbauziele verfehlt.
Bis jetzt wurden zum Beispiel nur etwa 20 Prozent der Ziele erreicht, wie aus Daten der Bundesnetzagentur und einer Analyse des NDR hervorgeht. Zwei der wichtigsten Gründe: langwierige Genehmigungsverfahren und überlastete Behörden.
Es dauert länger
"Aus meiner Sicht ist es ist eigentlich regulär nicht lösbar", sagt der parteilose Landrat des Landkreises Mittelsachsen, Dirk Neubauer. Alles, was in den vergangenen Jahren getan wurde, solle nun viel rasanter umgesetzt werden. Dabei stehe ihm die gleiche Menge an Personal zur Verfügung. Vor allem die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen seien die Bremse.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Dauer der Genehmigungsverfahren verdoppelt. Mit im Schnitt fast 26 Monaten wurde 2023 ein neuer Höchstwert erreicht, zeigt eine Analyse der Fachagentur Windenergie an Land.
Neubauer kennt sogar Verfahren von bis zu sieben Jahren. "Wir haben tatsächlich schon Projekte gehabt, wo in der Zwischenzeit der Antrag wieder zurückgezogen werden musste", so der 53-Jährige. Der Grund: Die Herstellung des beantragten Maschinen-Typs sei eingestellt worden.
Dirk Neubauer versucht, den Windkraftausbau in seinem Landkreis Mittelsachsen voranzutreiben.
In dreifacher Ausfertigung auf Papier
Die Genehmigungsverfahren sind kompliziert. Auf einem Schaubild zeigt Neubauer die einzelnen Schritte von oben nach unten. Etwa zehn sind zu sehen, aber nach jedem kann eine andere Abzweigung erfolgen.
"Für uns bedeutet es, dass oben jemand zehn Leitz-Ordner reinstopft und diese zehn Leitz-Ordner müssen wir drei oder viermal kopieren, im Haus verteilen, durch die Gegend fahren", so Neubauer. "Das ist das Gegenteil von Fortschritt. Das ist das Gegenteil von Modernität. Das ist das Gegenteil von Geschwindigkeit", so der Landrat. Wenn alles digitalisiert wäre, wäre es etwas leichter. Doch auch die Digitalisierung stockt.
Fast alle Unternehmen stört die große Anzahl an Gesetzen und staatlicher Vorschriften, wie aus einer aktuellen Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn hervorgeht. Mehr als 90 Prozent sehen einen substanziellen Anstieg der Bürokratiebelastung über die vergangenen fünf Jahre hinweg und infolgedessen planen fast 60 Prozent aller befragten Unternehmen, zukünftig auf Investitionen in Deutschland zu verzichten.
Kampf um das Personal
Die Firma SachsenEnergie will im Windpark Erlau neue Windräder bauen. Für zwei davon ist das Landratsamt Mittelsachsen zuständig. Martin Schramm von SachsenEnergie erklärt, dass seine Mitarbeiter länger als ein Jahr benötigten, um die Unterlagen zur Beantragung für zwei Anlagen zu erstellen.
Schramms Firma kostet so ein Verfahren bis zu 200.000 Euro. Das teuerste daran ist die Zeit und das Personal - gerade letzteres ist knapp. "Wir brauchen Mitarbeiter, die die Vorgaben aus den Gesetzen, aus den Verordnungen verstehen müssen."
Landrat Neubauer antwortet: "Sie haben das auf Ihrer Seite, ich habe das von meiner Seite." Das bedeutet für den Unternehmer und den Behördenleiter: "Wir kämpfen um die gleichen Leute. Das kommt auch noch dazu. Wir laufen gegeneinander", so Schramm.
Für die Behörden gibt es ein weiteres Manko: 60 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst denken, der Staat komme nicht mehr mit seinen Aufgaben zurecht. Dies zeigt eine aktuelle Forsa-Analyse. Ebenso denkt knapp die Hälfte der Behördenleiter.
Solche Gedanken hat auch Dirk Neubauer. Er findet, unter den momentanen Umständen - auf allen Ebenen vom Bund bis zur Kommune - sei Deutschland nicht mehr in der Lage, die anstehenden Probleme zu lösen.
"Ich bin seit mehr als zehn Jahren unterwegs in diesem politischen Orbit. Ich habe 80-Stunden-Wochen und ich merke, wir kommen nicht vorwärts", sagt Neubauer. "Es ist vertane Zeit. Und dann wird es auch Zeit, das mal auszusprechen, um dann auch gerne in eine sehr offene Debatte zu gehen." Er denkt sogar über das Aufhören nach.
Schneller arbeiten trotz Worst-Case-Szenario
Um die Genehmigungen zu beschleunigen, geht Neubauer mit seiner Behörde ungewöhnliche Wege. Eigentlich muss jedes Mal auch ein Artenschutz-Gutachten erstellt werden. Das dauert zwei Jahre. Werden dabei gefährdete Tierarten wie etwa der Rotmilan gefunden, werden Ausgleichsmaßnahmen erforderlich.
Seit ein paar Monaten geht das Landratsamt Mittelsachsen nun vom sogenannten Wort-Case-Szenario aus. Das bedeutet: Es wird angenommen, dass eine gefährdete Tierart gefunden wird und damit von Anfang an eine Ausgleichsmaßnahme mitgeplant. Denn: "Auch nach zwei Jahren Populationsuntersuchung wäre es dasselbe Ergebnis", so Neubauer. "Ich nenne das wirklich Notwehr."
Vom Bürokratieabbau zu den Bürokratieproblemen?
Wie ist es dazu gekommen? Es war der Bürokratieabbau, sagt Oliver Decker, Sozialpsychologe und Demokratieforscher an der Universität Leipzig. Dadurch, dass sich in den vergangenen 20 bis 30 Jahren die öffentliche Hand aus vielen Bereichen zurückgezogen hat, habe sich der Staat aus den ländlichen Regionen zurückgezogen. Es wurden Stellen reduziert.
"Das heißt, wir haben es mit einer Schwächung der Bürokratie zu tun gehabt, genau an der Stelle, die sie eigentlich braucht", so Decker. Bei den Bürgern habe das zu einer beständigen Frustrations- und Abwertungserfahrung geführt. "Gleichzeitig werden aber auch diese politischen Entscheidungen delegitimiert, das heißt sie verlieren massiv an Akzeptanz und der Staat als Vermittlungsinstanz von verschiedenen Interessen verliert auch an Akzeptanz."
Langsame Energiewende und überlastete Verwaltung
Mit der Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes will die Bundesregierung jetzt die Genehmigungen für Windräder noch deutlich beschleunigen. Die Branchenverbände begrüßen diese Änderung. Statt aber die Verfahren grundlegend zu reformieren oder den Behörden mehr Ressourcen zu geben, erhöht das Gesetz vor allem den Druck. Denn dadurch kann ein Genehmigungsantrag einmalig um drei Monate verlängert werden. Dann muss eine Entscheidung erfolgen.
Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der Dokumentation "Erdrückende Papierflut - Von Bürokratiemonstern, Überregulierungen und Schnappatmung" heute Abend um 21.45 Uhr in der ARD oder schon jetzt in der ARD-Mediathek. Zum Hören gibt es außerdem den Podcast "Erdrückende Papierflut - Bürokratie nervt!" in der ARD-Audiothek.