Drittstaaten Wie könnten externe Asylverfahren funktionieren?
Kanzler Scholz trifft sich kommende Woche wieder mit den Regierungschefs der Länder. Die wollen eine Begrenzung der Einwanderung - auch mittels Asylverfahren in Drittstaaten. Doch wie soll das aussehen?
Was die Ministerpräsidenten wollen, haben sie vor ihrem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz im November klargemacht: eine "realistische Begrenzung der Migration". Dafür sollen Asylverfahren zukünftig auch in Drittstaaten - also außerhalb der Europäischen Union - stattfinden. Sie forderten die Bundesregierung deshalb auf, "mit hohem Nachdruck entsprechende Verhandlungen auf europäischer und internationaler Ebene unverzüglich aufzunehmen".
Vier Monate später sind keinerlei Verhandlungen aufgenommen, aber das nächste Treffen der Länder mit dem Bundeskanzler in Sachen "Flüchtlinge" steht an. Und die Bundesländer wollen ein Follow Up.
Dabei liest sich schon der gemeinsame Beschluss von Bund und Ländern aus dem Spätherbst eher verhalten: Der Bundesregierung wurde lediglich ein "Prüfauftrag" erteilt. Wäre eine Drittstaatenlösung überhaupt mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar?
Genau das prüft seither das Bundesinnenministerium - und nimmt sich dafür Zeit. Ein erster interner Austausch mit Sachverständigen mit unterschiedlichem fachlichen Hintergrund fand vergangene Woche statt. Die Auswertung der Ergebnisse dauere an, so das Ministerium. Weitere Termine befänden sich in Planung.
Interne Expertenanhörung im Innenministerium
Anders als etwa bei Sachverständigen-Anhörungen im Bundestag gab es bei der Runde im Ministerium keinen konkreten Vorschlag, den die Expertinnen und Experten begutachten konnten. Zu Beginn stellte sich also die Frage: Worüber reden wir eigentlich?
"In der öffentlichen Debatte werden unter dem Stichwort 'Drittstaatenlösung' völlig unterschiedliche Modelle in einen Topf geworfen", sagt die Migrationsforscherin Victoria Rietig, eine der Expertinnen, die an der Anhörung teilgenommen haben.
Es stellen sich viele Fragen. Geht es um Geflüchtete, die schon an der deutschen Grenze beziehungsweise im Inland angekommen sind? Oder geht es um Menschen, die noch auf ihrem Weg Richtung Europa sind? Oder solche, die in ihrem Herkunftsland in akuter Gefahr sind und evakuiert werden sollen?
Wie teilen die Partnerländer die Verantwortung untereinander auf? Wer übernimmt die Unterbringung? Wer führt die Asylverfahren durch?
Und wichtig: Wessen Recht gilt? Wer gewährt denjenigen Schutz, deren Asylverfahren erfolgreich waren? Und wer schiebt diejenigen ab, deren Anträge erfolglos geblieben sind?
Unterschiedliche Modelle
Beispiele, die in Deutschland in der Debatte angeführt werden, sind vor allem das britische Ruanda-Modell sowie das erst im November geschlossene Abkommen zwischen Italien und Albanien. Es sind zwei sehr unterschiedliche Ansätze.
Im ursprünglichen britischen Ruanda-Modell sollten Geflüchtete, die schon in Großbritannien angekommen waren, dauerhaft nach Ruanda gebracht werden, um dort Asyl zu beantragen und gegebenenfalls Schutz zu bekommen - nach ruandischem Recht. Nach Großbritannien sollten sie nicht zurückkehren.
Italien und Albanien haben im Gegensatz dazu vereinbart, Menschen, die auf hoher See aufgegriffen werden, nach Albanien statt nach Italien zu bringen. Die Asylverfahren sollen dann zwar dort, aber nach italienischem Recht und durch italienische Behörden durchgeführt werden. Schutzbedürftige sollen anschließend in Italien aufgenommen werden.
"Weitgehend unbekannt, aber ein total relevanter Ansatz auch für uns ist die sogenannte 'Safe Mobilitiy Initiative'", sagt Migrationsforscherin Rietig. Im Rahmen dieses US-Programms können Geflüchtete aus verschiedenen lateinamerikanischen Staaten in Guatemala, Costa Rica, Kolumbien und Ecuador Schutz in den USA, Kanada oder Spanien beantragen. "Das wird seit sechs Monaten getestet. Da passiert viel. Da kann man sich was abschauen."
Rechtliche und praktische Fragen
Die eigentliche Frage, der sich das Innenministerium widmen soll, lautet aber: Ist eine Drittstaatenlösung mit internationalem Recht vereinbar? Die Antwort der Experten ist ein einhelliges "Ja, aber".
"Der Teufel steckt im Detail", sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus - auch einer der Experten, die das Innenministerium geladen hatte.
"Es kommt natürlich auf das Modell an", sagt auch Rietig. Das ursprüngliche Ruanda-Modell Großbritanniens ist aus ihrer Sicht nur schwer umzusetzen. "Das ist kaum ohne Rechtsbruch machbar. Die hohen Schutzstandards sind in Ruanda einfach nicht gewährleistet." So hat es letztlich auch der britische Supreme Court gesehen.
Juristisch machbarer sei das Italien-Albanien-Modell, schätzt Rietig. "Da ist eher die Frage: Was bringt das? Während es gleichzeitig viel kostet."
Das Abkommen sieht vor, dass maximal 3.000 Menschen in den Aufnahmezentren untergebracht werden sollen. Die Kosten trage Italien. Und die Schwierigkeiten, die es bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber gibt, bleiben bestehen.
Abschreckungseffekt wird nicht erwartet
Einen großen Abschreckungseffekt erwarten die meisten Experten nicht. "Es gibt kein Beispiel, wo das im großen Stil funktioniert hat", sagt Rietig. "Australien ist die Ausnahme. Aber die geografische Lage ist nicht vergleichbar. Außerdem ging es da um ein paar tausend Leute."
Ihr Kollege Knaus hält Abkommen mit sicheren Drittstaaten allerdings für die beste Lösung, "irreguläre Migration human zu reduzieren". Er hat auch das EU-Türkei-Abkommen entwickelt.
Offene Fragen seien weniger rechtliche als politische und praktische, so Knaus. "Findet man Staaten, die kooperieren? Was muss und will man anbieten? Klar ist, dass es ohne intensive Anstrengung, wie schon 2016 mit der Türkei, nicht gehen wird."
Mit Pilotprojekten beginnen
Daniel Thym, einer der Rechtswissenschaftler in der Expertenrunde, warnt davor, dass eine Drittstaatenlösung keine kurzfristige Lösung ist. Sie könne aber ein Instrument von mehreren sein.
Er schlägt vor, mit kleinen Projekten zu beginnen. "Für eine Route. Für bestimmte Herkunftsländer, etwa mit geringer Schutzquote", sagt Thym. "Wenn das dann erfolgreich ist, auch weil Europäer helfen, Schutzkapazitäten aufzubauen, dann könnte eine Dynamik entstehen und das Ganze funktionieren."
Der Variante, Geflüchtete, die bereits in der Europäischen Union sind, für das Asylverfahren in einen Drittstaat zu bringen, kann das EU-Recht entgegenstehen. Auch mit der anstehenden Reform durch den EU-Migrationspakt hält das EU-Recht daran fest, dass es eine Verbindung zwischen dem Asylbewerber und dem Drittstaat, in den er gebracht werden soll, geben muss.
Knaus schlägt vor, dieses "Verbindungselement" für Pilotprojekte auszusetzen. Dafür brauche es nur den politischen Willen.
"Ohne Wille scheitern wir", befürchtet er. "Und die realistische Alternative ist die Fortsetzung des Sterbens im Mittelmeer und der weitere Zerfall der Rechtsstaatlichkeit an Europas Außengrenzen. Alle anderen Szenarien sind für den Flüchtlingsschutz düster."