Markus Söder
Analyse

Nach Abschaltung der AKW So realistisch ist Söders Atomtraum

Stand: 17.04.2023 20:34 Uhr

Die Atomkraftwerke sind abgeschaltet. Doch Bayerns Ministerpräsident Söder will davon plötzlich nichts mehr wissen - und die Kraftwerke selbst weiterbetreiben. Wie realistisch ist das?

Eine Analyse von  Von Julia Ruhs, BR

"Einsetzen, einmischen, immer wenn es um Bayern geht", bekräftigt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nach der CSU-Vorstandssitzung und wiederholt seinen Vorstoß vom Wochenende: "Wir bieten an, für einige Jahre die Kernkraft weiterlaufen zu lassen." In Bayern, also im Alleingang.

Das Abschalten der Atomkraftwerke sei "ein schwerer Fehler", der Deutschland nachhaltig schaden würde, ein "sturer Beschluss gegen die Mehrheit der Bevölkerung", behauptet Söder.

Ein "Angebot" an den Bund

Bislang ist Söders Vorstoß kein ausgetüftelter Plan, sondern ein "Angebot" an den Bund, so bezeichnet er es selbst. Er will das am Wochenende abgeschaltete Atomkraftwerk Isar 2 in Landesverantwortung weiterbetreiben. Für vier bis fünf Jahre sei eine Produktion von Atomstrom in Bayern weiter möglich.

"Der Bund verweigert sich, die süddeutsche Energieversorgung ernst zu nehmen", begründet Söder seinen Vorstoß. Bayern bräuchte als Ersatz für die weggefallene Atomkraft Alternativen - wie neue Gaskraftwerke, aber angeboten worden sei nichts. "Wir erwarten jetzt eine schnelle Lösung", sagt der Ministerpräsident. Ansonsten wolle Bayern seine Atomidee vorantreiben.

Die gesetzliche Regelung ist eindeutig

Juristisch dürfte Söders Vorhaben äußerst schwierig werden. "Rechtlich unhaltbar", beschreibt Rechtsanwalt Ulrich Wollenteit, Spezialist für Atomrecht, den Vorstoß. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das ernst gemeint ist", so Wollenteit.

Die gesetzliche Regelung sei eindeutig: "Die Länder führen das Atomgesetz in Bundesauftragsverwaltung aus." Wolle Bayern Atomkraftwerke in Eigenregie weiterlaufen lassen, setze das voraus, dass das Atomgesetz aus der Bundesverwaltung heraus- und in Länderverwaltung hineingelegt werde. "Dafür müsste man aber das Grundgesetz ändern", erklärt Wollenteit. Auch der Bonner Atomrechtler Philipp Bender sieht das als den größten Knackpunkt: Für die Grundgesetzänderung brauche es eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat - und die ist in weiter Ferne, so Bender.

Neue Genehmigung für Isar 2?

In dem unwahrscheinlichen Fall, dass das Grundgesetz tatsächlich geändert wird, gibt es aber noch eine weitere Frage zu klären: Braucht Isar 2 eine neue Genehmigung? Ja, sagt Atomrechtler Wollenteit: "Seit 2011 ist es aber unzulässig, Neugenehmigungen zu erteilen."

Eine solche neue Genehmigung gebe es außerdem nur, wenn das AKW den neusten Stand der Wissenschaft und Technik erfülle. Das, was in den drei zuletzt abgeschalteten AKW verwirklicht worden sei, bleibe weit dahinter zurück. "Bayern müsste also ein ganz neues Kraftwerk bauen, wie zum Beispiel den finnischen Reaktor, der dieses Wochenende ans Netz gegangen ist", so Wollenteit.

Bei dieser Frage sind sich die Juristen allerdings uneins: Atomrechtler Bender hält eine neue Genehmigung nämlich für nicht nötig. Schließlich sei jetzt nur der Leistungsbetrieb beendet worden. Das bedeute, dass die Anlage nicht mehr am Netz sei und keinen Strom mehr produzieren dürfe.

"Das heißt aber nicht, dass die Errichtungs- und Betriebsgenehmigung erloschen ist. Das AKW ist noch im Betrieb - im sogenannten Nachbetrieb", erklärt Bender. Technisch könnten die Anlagen Bender zufolge wieder hochgefahren werden, vorausgesetzt, der Bund würde sich dafür entscheiden. Das funktioniere aber nur, solange Isar 2 noch nicht stillgelegt und zurückgebaut werde. Die Genehmigung für diesen Rückbau muss noch vom bayerischen Umweltministerium erteilt werden, sie wird Ende des Jahres erwartet.

Neue Sicherheitsprüfung nötig

Sollte Bayern Isar 2 wirklich weiter betreiben, bräuchte es eine neue Sicherheitsprüfung. Zwar wurden die AKW laufend kontrolliert, das Atomgesetz sieht aber im Regelfall eine spezielle "periodische Sicherheitsüberpüfung" alle zehn Jahre vor, eine Art Risikoanalyse mit Blick in die Zukunft. Diese Überprüfung wurde 2019 ausgelassen, weil eigentlich Ende 2022 Schluss sein sollte mit der Atomkraft.

"Deshalb ist so ein AKW noch lange keine tickende Zeitbombe. Bei einem längeren Weiterbetrieb sollte man die Überprüfung aber nachholen", sagt Atomrechtler Bender. Außerdem müssten vermutlich auch neue Brennelemente beschafft werden.

Der Betreiber von Isar 2, Preußen Elektra, sagte auf BR-Anfrage zum Wiederhochfahren: "Wir blicken nun nach vorn und konzentrieren uns auf die Vorbereitungen des sicheren Rückbaus der Anlage." Die Frage nach einem Weiterbetrieb stelle sich derzeit nicht. "Sollte eine konkrete Anfrage der Politik vorliegen, prüfen wir die Möglichkeiten", erklärte der Betreiber aber.

Atommüll-Endlager weiter nicht in Sicht

Seit Jahrzehnten sind Bayerns Staatsregierungen dagegen, dass ein Atommüll-Endlager nach Bayern kommt. In Bayern gebe es keinen geeigneten Standort für Atommüll, sondern "gute fachliche Argumente, die dagegen sprechen" - darauf beharrt auch Markus Söder. In der Diskussion sind immer wieder Lagerstätten unter Granit-Gestein - etwa im Bayerischen Wald oder im Fichtelgebirge und anderen Gebieten nördlich der Donau.

Aber müsste der Müll nicht in Bayern bleiben, falls Bayern ein AKW auf eigene Faust weiterbetreiben würde? Nicht zwingend, so Atomrechtler Bender: "Zumindest die aktuelle Gesetzeslage sagt: Auch bei der Endlagersuche ist der Bund zuständig." Das Ganze sei eine gesamtdeutsche Aufgabe. "Wenn Bayern also im Alleingang AKW weiterbetreiben würde, wäre die Endlagersuche trotzdem kein rein bayerisches Problem", so Bender.