Ein Jahr Deutschlandticket Eine Fahrkarte für elf Millionen
Vom beliebtesten Projekt der Ampel ist oft die Rede, dabei hat das Deutschlandticket in seiner einjährigen Geschichte auch für viel Ärger gesorgt - vor allem zwischen Bund und Ländern.
Wenn der Bundesverkehrsminister ein Thema hat, über das er gerne spricht, dann ist es das Deutschlandticket. Schließlich hat es Volker Wissing (FDP) auch erfunden. Ein digitales Ticket, ein einheitlicher Preis von 49 Euro, gültig in Städten und im Regionalverkehr in ganz Deutschland, so die einfache Idee dahinter. Das Deutschlandticket soll dabei helfen, den Tarifdschungel zumindest etwas übersichtlicher zu machen. Zum ersten Geburtstag sagt Wissing im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio, das "modernste ÖPNV-Ticket in ganz Europa" sei nicht mehr wegzudenken.
Die Zahlen scheinen das zu bestätigen. Elf Millionen Abonnenten hat das Deutschlandticket, jeder achte Deutsche nutzt es. Etwa jeder Vierte hat das Deutschlandticket im ersten Jahr zumindest mal ausprobiert. Der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Oliver Krischer (Grüne), sieht darin sogar "eine mittelgroße Revolution im Nahverkehr."
Und auch Knut Ringat, Vizepräsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), stimmt in die Lobeshymnen mit ein, immerhin habe Deutschland "Fahrgastzahlen von vor Corona. Und das trotz Homeoffice."
Jochen Eckart, Professor für Verkehrsökonomie Hochschule Karlruhe, zur Bilanz des Deutschlandtickets
Kaum Neukunden im ÖPNV
Viele Verkehrsunternehmen transportieren mehr Fahrgäste als in den vergangenen Jahren, die Einnahmen sind aber nicht entsprechend gestiegen. Die meisten Kundinnen und Kunden zahlen durch das Deutschlandticket weniger, aber viele neue Kunden hat es bisher nicht überzeugt. Nur acht Prozent der Deutschlandticket-Nutzer waren vorher nicht regelmäßig mit Bus oder Bahn unterwegs.
Das reicht weder, um das Ticket dauerhaft wirtschaftlich anbieten zu können, noch dafür, die Klimaziele zu erreichen. "Ich brauche wenigstens 20 Prozent mehr Neukunden, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben", rechnet Ringat vom VDV vor. Um die Klimaziele zu erreichen, seien sogar 30 Prozent Neukunden nötig.
Die Verkehrsunternehmen wollen deshalb mehr Deutschlandtickets vor allem als Job-Ticket verkaufen. "Diesen Anteil wollen und werden und müssen wir steigern." Fachleute glauben, dass allein bis zu 15 Millionen Jobtickets verkauft werden könnten. Das liegt auch daran, dass der Preis für Kundinnen und Kunden auf unter 35 Euro sinkt - weil Zuschüsse vom Staat und den Arbeitgebern hinzukommen.
Langfristige Finanzierung unklar
Bisher würden einige Unternehmen zögern, diese Jobtickets anzubieten, weil nicht klar sei, ob es das Deutschlandticket dauerhaft geben wird. Denn so alt wie das Deutschlandticket ist auch die Debatte um seine Finanzierung, die je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern geschultert wird. Im Januar einigten sich beide Seiten auf den Fortbestand des Angebots für 49 Euro im Monat - vorerst.
Verkehrsminister Wissing zeigt sich überzeugt, dass das Deutschlandticket bleiben werde. "Wir müssen den Unternehmen klar sagen: Ich könnte das Jobticket in Form des Deutschlandtickets einführen", sagt Wissing. Niemand stelle das mehr in Frage. Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Isabel Cademartori, warnt hingegen, dass "die Diskussion über den Preis und die Zukunft des Deutschlandtickets" seine Akzeptanz gefährden würden und fordert "langfristige und stabile Finanzierungsstrukturen" von Bund und Ländern.
Ingo Wortmann, Präsident des Verbandes der Verkehrsunternehmen, fordert mehr Geld vom Bund. Das Geld reiche noch nicht mal, um das aktuelle Angebot aufrechtzuerhalten, erst recht nicht dafür, den Nahverkehr auszubauen. "Wir wollen dringend vermeiden, dass wir ein tolles neues Ticket haben, aber gleichzeitig weniger Busse und Bahnen fahren." Das drohe aber aktuell, warnt Wortmann.
Berlin schlägt mit dem 29-Euro-Ticket eigenen Weg ein
Dass mitten in die Debatte um eine langfristige Finanzierung nun das Berliner 29-Euro-Ticket fällt, mit dem die Hauptstadt ab 1. Juli einen eigenen Weg einschlägt, hält Verkehrsminister Wissing für kontraproduktiv. Wissing sieht ein "Glaubwürdigkeitsproblem", wenn der Berliner Senat mehr Geld für das Deutschlandticket fordert, gleichzeitig aber ein noch günstigeres Regionalticket auf den Markt bringt.
Jedes zweite Deutschlandticket ist inzwischen digital. Eine zentrale digitale Vertriebsplattform gibt es jedoch noch nicht. Die Verkehrsunternehmen könnten Millionen sparen, etwa indem sie sich zusammentun und das Ticket über eine gemeinsame digitale Plattform verkaufen. Bundesverkehrsminister Wissing fordert auch von Unternehmen Veränderungen. Es könne nicht richtig sein, einfach alles so zu lassen, wie es immer war. "Wir haben mehr als 60 Verkehrsverbünde. Die brauchen wir nicht wirklich. Hier kann man Effizienzreserven heben. Das hilft dann auch Mittel für den Ausbau freizumachen."
Das Deutschlandticket als Digitalisierungsprojekt
Geld, das auch dabei helfen könnte, den Preis für das Ticket stabil zu halten. Wie lange der noch bei 49 Euro liegen wird, das wollte zum ersten Geburtstag keiner so genau vorhersagen.
Wissing setzt lieber auf andere Vorhersagen. Für ihn war das Deutschlandticket von Beginn an ein Digitalisierungsprojekt. Er will, dass die Länder und die Verkehrsunternehmen in Zukunft digitale Daten erfassen, um den ÖPNV besser planen und steuern zu können. Dafür müsse im Hintergrund noch viel passieren. "Je schneller sie dabei vorankommen, umso wahrscheinlicher ist es, dass der zweite Geburtstag des Deutschland-Tickets genauso gefeiert wird, wie der erste", glaubt der Bundesverkehrsminister.