Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken (v. l. n. r.) nach dem Sondierungs-Statement

Kritik an Sondierungspapier "Unsinnige Subventionen und Klientelpolitik"

Stand: 09.03.2025 12:49 Uhr

Ökonomen lassen kaum ein gutes Haar am schwarz-roten Sondierungspapier. Lob kam hingegen vom Städte- und Gemeindebund. Und Unionskanzlerkandidat Merz macht klar: Es gibt "keinen Konsumrausch".

Auf die Vorstellung des Sondierungspapiers von Union und SPD haben Ökonomen mit teils harscher Kritik reagiert. Zuspruch kam etwa von Zentralverband des Deutschen Handwerks sowie dem Städte- und Gemeindebund. Ihr Ja zum nächsten Schritt, den geplanten Koalitionsverhandlungen, gaben die Unionspartei CSU und die SPD bereits.

Die wichtigsten Reaktionen im Überblick:

Für Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt das in acht Tagen Sondierungen geschnürte Paket jetzt schon, "wie das von beiden Partnern anvisierte Ende der Schuldenbremse die Schleusen für unsinnige Subventionen und Klientelpolitik wieder weit öffnet". Er nannte die ermäßigte Mehrwertsteuer in der Gastronomie "ein Geschenk für wohlhabende Haushalte", die Rückkehr des subventionierten Agrardiesels einen "ökologischen Skandal" und die Ausweitung der Mütterrente für Kinder eine "völlig ungezielte Maßnahme zulasten der Steuerzahler."

Nach Ansicht Heinemanns fehlt es in der Vereinbarung an allem, was Deutschland dringend benötige: höheres Renteneintrittsalter, Ausweitung der Wochenarbeitszeit, mehr Eigenverantwortung im Fall von Krankheit und Pflege, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und ein konsequenter Subventionsabbau.

Sorge um "stark abkühlenden Arbeitsmarkt"

Offenbar hofften beide Partner darauf, erhebliche Teile der Schulden für Rüstung und Investitionen "elegant" ihres Zwecks zu entfremden, "um damit einflussreiche Gruppen zu bedienen", so Heinemann weiter. Er sieht zudem die geplante Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro kritisch. Dies führe zu einem "erheblichen Lohnkostenschub für Geringqualifizierte in strukturschwachen Gebieten - und das in einem sich stark abkühlenden Arbeitsmarkt".

Kritik kommt auch vom Institut für Weltwirtschaft. "Ambitionierte Konsolidierungsbemühungen sucht man vergeblich", so der Direktor am Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum, Stefan Kooths. Stattdessen würden neue konsumtive Projekte in Aussicht gestellt. "Damit steht insgesamt zu befürchten, dass die massiv erweiterten Verschuldungsspielräume den Reformeifer erlahmen lassen", warnte Kooths. "Im Ergebnis finanzieren die für die Bundeswehr deklarierten Dauerdefizite so nur all das, was nun offenbar nicht mehr auf den fiskalischen Prüfstand kommt."

"Rascher Abschluss entspricht den Erwartungen"

"Der rasche Abschluss der Sondierungsgespräche entspricht den Erwartungen der Wirtschaft, rasch zu einer handlungsfähigen Regierung zu kommen", sagte hingegen Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Er begrüßte insbesondere geplante Entlastungen bei Bürokratie, Steuern und Energiekosten. Es fehle aber "die dringend benötigte Neuausrichtung der sozialen Sicherungssysteme".

"Es ist richtig, die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen und ein Potenzialwachstum von deutlich über ein Prozent anzustreben", teilte Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger mit. Er lobte den "Mut", klare Ziele zu formulieren. "Um diese Ziele langfristig zu erreichen, braucht es jedoch mehr als schuldenfinanzierte Programme", schränkte er ein. Für einen "echten Politikwechsel" reiche das bislang Angekündigte nicht.

Lob aus der Energiebranche

Die geplante Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde kritisierte - wie das ZEW - auch der Deutsche Bauernverband. Der Obst-, Gemüse-, und Weinanbau sei dann in Deutschland "nicht mehr wettbewerbsfähig", teilte Verbandspräsident Joachim Rukwied mit. Er begrüßte jedoch die angekündigte Rückkehr zur Subventionierung von Agrardiesel.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft lobte die energiepolitischen Vereinbarungen. Die Sondierer hätten hier "die dringlichsten Aufgaben erkannt und adressiert", teilte Verbandspräsidentin Kerstin Andreae mit. Mit der geplanten Senkung der Stromsteuer und dem Zuschuss zu den Netzentgelten stärke die künftige Bundesregierung "die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und gleichzeitig werden auch Wärmepumpen und Elektroautos noch attraktiver."

Städte- und Gemeindebund "braucht das Geld"

Lobende Worte fand der Städte- und Gemeindebund. Hauptgeschäftsführer André Berghegger sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die vereinbarten Schritte trügen dazu bei, die Kommunen etwa bei der Migration zu entlasten. "Die sehr deutliche Begrenzung der illegalen Migration, die Beschleunigung der Rückführungen und die zusätzlichen Mittel für die Integration der Menschen mit Bleiberecht sind richtige Akzente", so Berghegger. "Auch das Festhalten an der Bezahlkarte und die Wiedereinführung der Sprach-Kitas sind wichtig und aus kommunaler Perspektive zu begrüßen."

Berghegger appellierte an den Bund und die Länder, die geplante Grundgesetzänderung zur Stärkung der Sicherheit sowie für das geplante milliardenschwere Sondervermögen in Bundestag und Bundesrat auf den Weg zu bringen. "Wir brauchen das Geld, um dringend notwendige Investitionen in Schulen, Straßen und Brücken zu tätigen. Die Städte und Gemeinden schieben bereits viel zu lange Investitionen auf die lange Bank, weil die Mittel fehlen."

Abstimmung zu Finanzpaketen auf der Kippe?

Union und SPD hatten sich zuvor bereits auf ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastruktur und auf eine Lockerung der Schuldenbremse für die Verteidigung geeinigt. Die Parteichefs der Grünen stellten nach der Vorstellung des Sondierungspapiers allerdings infrage, ob sie der Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigung und dem Sondertopf für Infrastruktur zustimmen. Dies dürfte nötig werden, damit das Paket noch vor der Konstituierung des neuen Bundestags verabschiedet werden könnte - dort wäre es noch deutlich schwieriger, die nötige Zweidrittelmehrheit zu erreichen.

"Scheitern ist keine Option", sagt Merz

CDU-Chef Friedrich Merz kündigt erneut an, mit den Grünen Gespräche zu führen, damit diese dem Sondervermögen Infrastruktur und der Grundgesetzänderung zugunsten der Bundeswehrausgaben noch mit dem alten Bundestag zustimmen. "Wir werden natürlich Maßnahmen zum Klimaschutz aufnehmen", sagte er im Deutschlandfunk mit Blick auf die Investitionen für Infrastruktur. Zudem würden die Ukraine-Ausgaben im Verteidigungsetat mit abgerechnet.

Auch auf die Kritik von Ökonomen ging Merz ein - und wies sie zurück: "Wir werden nicht in einen Konsumrausch einsteigen", stellte er klar. "Wir werden in den Koalitionsverhandlungen auch sehr konkret vereinbaren, wo wir sparen müssen." Dass es zu einer schwarz-roten Regierung kommt, scheint für ihn sicher. "Scheitern ist für uns keine Option", sagte der CDU-Chef.

Am Donnerstag soll es losgehen

Als erste Partei stimmte die CSU der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen der Union mit der SPD zu. Der Beschluss fiel am Sonntagmorgen einstimmig in einer Schaltkonferenz des Vorstands, wie die Nachrichtenagentur dpa von Teilnehmern erfuhr. Die Arbeit in den Arbeitsgruppen solle in der neuen Woche beginnen, sagte CSU-Chef Markus Söder nach Teilnehmerangaben. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte demnach als Startdatum für die Arbeitsgruppen den kommenden Donnerstag. Ziel sei es, dass diese danach binnen zehn Tagen fertig würden.

Nach der CSU sprach sich auch die SPD-Führung einstimmig für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aus. Damit fehlt nur noch das Ja der CDU-Führung, die am Montag entscheiden will.

Junge Union zeigt sich enttäuscht

Unzufrieden mit den Sondierungsergebnissen zeigten sich allerdings sowohl die Nachwuchsorganisation von CDU und CSU, Junge Union als auch der CSU-Ehrenvorsitzende Horst Seehofer.

Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, vermisst beim Sondierungsergebnis "echte Strukturreformen". Er konstatierte: "Dieses Papier atmet noch nicht genug Zukunft", so Winkel. Für den Koalitionsvertrag brauche es "den Mut der Agenda 2010". Er sagte der Bild auch: "Der Staatsapparat, der in den letzten Jahren so brutal gewachsen ist, soll geschrumpft werden". Eine "massive Neuverschuldung", die nächste Generationen zahlen müssten - "und das ohne echte Strukturreformen, das werden wir als Junge Union nicht unterstützen können."

Seehofer stellt Bedingungen

Kritik kam auch vom CSU-Ehrenvorsitzenden und langjährigen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Die Bereitschaft zur massiven Aufnahme neuer Schulden sei "schmerzlich" und "das Gegenteil dessen, was wir vor der Wahl gesagt haben", sagte er der Bild am Sonntag. Die Union habe sich hier des "Wortbruchs" schuldig gemacht. "Offenbar mussten SPD und Grüne die Wahl verlieren, um am Ende das zu bekommen, was sie schon immer haben wollten", sagte der 75-Jährige.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 09. März 2025 um 12:04 Uhr.