Bruch der Ampelkoalition ++ FDP meldet mehr Ein- als Austritte ++
Seit dem Ampel-Aus haben laut FDP-Angaben etwa 650 Menschen einen Antrag auf Parteimitgliedschaft gestellt. Laut Europaabgeordneter Strack-Zimmermann blickt die EU mit Sorge auf die Regierungskrise in Deutschland. Die Entwicklungen im Liveblog.
- FDP meldet etwa 650 neue Mitglieder
- Strack-Zimmermann: EU besorgt über Ampel-Krise
- Habeck kündigt Kanzlerkandidatur an
- Saskia Esken bekräftigt Scholz als Kanzlerkandidaten
SPD meldet mehr als 500 neue Mitglieder
Die SPD verzeichnet nach eigenen Angaben seit dem Ende der Ampelkoalition und der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deutlichen Zulauf. Generalsekretär Matthias Miersch sprach in Berlin von mehr als 500 Neueintritten in weniger als zwei Tagen.
Der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link, hat sein Amt infolge des Ampel-Bruchs niedergelegt. "Ich habe Bundesministerin Annalena Baerbock gestern darüber informiert, dass ich mein Amt als Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit niederlege", sagte der FDP-Politiker der Nachrichtenagentur Reuters. Dies sei die logische Konsequenz auf die Entlassung von Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner aus der Regierung und dem damit verbundenen Ende der Koalition.
"In der Zusammenarbeit mit der künftigen Trump-Administration brauchen wir eine Regierung, die deutsche und europäische Interessen selbstbewusst vertritt", sagte Link. Daher brauche es jetzt eine wirtschafts- und sicherheitspolitische Richtungsentscheidung. "Das ambitionslose Programm von Bundeskanzler Scholz können wir als FDP nicht länger mittragen", fügte er hinzu. "Wir haben die notwendige Konsequenz gezogen und sind aus dieser nicht mehr handlungsfähigen Koalition ausgetreten, um durch Neuwahlen schnellstmöglich einen Neuanfang für Deutschland zu ermöglichen." Deutschland müsse mehr Verantwortung für die Sicherheit in Europa übernehmen und dringend die Wettbewerbsfähigkeit stärken, sagte Link.
Die Bundesregierung hat gelassen auf eine Beschimpfung von Kanzler Olaf Scholz durch Tech-Milliardär und Trump-Unterstützer Elon Musk reagiert. Dieser hatte auf seiner Online-Plattform X nach dem Bruch der Ampel-Koalition auf Deutsch geschrieben: "Olaf ist ein Narr". Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte dazu in Berlin: "Es herrscht eben auf X Narrenfreiheit."
Sie rechtfertigte zugleich die Präsenz der Bundesregierung auf X, das zunehmend auch Extremisten eine Plattform bietet - Eigentümer Musk lehnt eine Moderation der Inhalte ab. Soziale Medien seien für die Bundesregierung ein wichtiges Mittel, um ihre Arbeit zu erklären und zu kommunizieren, sagte Hoffmann. In der Abwägung sei es der Regierung wichtig, dort weiter vertreten zu sein.
Im Gesundheitssektor ist die Unruhe nach dem Aus der Ampelkoalition groß. Viele von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angestoßene Gesetzesvorhaben befinden sich noch im parlamentarischen Verfahren oder kurz davor. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert dringende Nachbesserungen bei der im Bundestag verabschiedeten Krankenhausreform. Andernfalls drohe eine Insolvenzwelle der Kliniken. Hierzu steht die Beratung im Bundesrat noch aus.
Bundeskanzler Olaf Scholz sollte Oppositionsführer Friedrich Merz zufolge die Vertrauensfrage im Bundestag bereits am kommenden Mittwoch stellen. Dies wäre eine gute Gelegenheit gleich nach seiner geplanten Regierungserklärung, sagte der CDU-Chef in Berlin. "Ich fordere den Bundeskanzler dazu noch einmal auf, dies so zu tun." Die große Mehrheit der Deutschen spricht sich nach dem Ampel-Kollaps für Neuwahlen aus - und das möglichst schnell. Aus der SPD kamen dagegen Forderungen, beim Zeitplan von Scholz zu bleiben.
FDP meldet etwa 650 neue Mitglieder
Die FDP meldet nach dem Ende ihres Regierungsbündnisses mit SPD und Grünen einen Mitgliederzuwachs. Seit dem Aus der Koalition gebe es etwa 650 neue Mitgliedsanträge, sagte ein Parteisprecher in Berlin. "Die FDP hat aktuell rund 70.000 Mitglieder, seit dem Ende der Koalition verzeichnen wir viele Eintritte und kaum Austritte", sagte er weiter.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schließt eine Rückkehr von FDP-Chef Christian Lindner auf den Posten des Finanzministers in einer möglichen unionsgeführten Regierung nicht kategorisch aus. "Das ist dann realistisch, wenn die FDP so stark ist, dass sie wieder Regierungsfraktion wird", sagte der Unionsfraktionschef in Berlin auf eine entsprechende Journalistenfrage.
Der CDU-Vorsitzende fügte hinzu: "Aber das liegt allein in der Hand der FDP und nicht in unserer." Der auf Bitte von Kanzler Olaf Scholz gestern durch den Bundespräsidenten entlassene Lindner will noch einmal Finanzminister werden. "Das ist mein Ziel, denn ich trete jetzt für den nächsten Deutschen Bundestag an", sagte er in der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Lindner?".
Lindner ergänzte: "Das Ziel ist nicht Opposition, sondern natürlich will ich meine Arbeit in einer nächsten Regierung fortsetzen." In Umfragen liegt die FDP derzeit zwischen drei und fünf Prozent.
Angesichts der politischen Krise in Deutschland warnt der AOK-Bundesverband vor Verzögerungen bei wichtigen Reformaufgaben im Gesundheitssektor. "Der gesundheitspolitische Handlungsbedarf ist riesig, das Ampel-Aus darf nicht zum kompletten Stillstand führen", erklärte die AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann.
Sie verwies auf die Möglichkeit, "über die Fraktionen hinweg" wichtige Reformvorhaben zu verabschieden. "Die Parteien sollten sich also an entscheidenden Stellen zusammenraufen", appellierte Reimann. "Wichtige Reformvorhaben wie die Krankenhausreform, die Absicherung der Pflegefinanzierung sowie die dringend benötigte Reform der Notfallversorgung können nicht bis nach der Bundestagswahl warten", erklärte die AOK-Chefin.
"Hier brauchen die Bürgerinnen und Bürger Sicherheit und Perspektive." Es sei auch "ein wichtiges Signal für eine funktionierende Demokratie", wenn in diesen Bereichen noch vor den Neuwahlen Beschlüsse gefasst werden könnten, fügte Reimann hinzu.
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hat spöttisch auf die Entscheidung von Wirtschaftsminister Robert Habeck reagiert, die Grünen als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führen zu wollen. "Die Selbsterklärung zum Kanzlerkandidaten bei neun Prozent Wählerzustimmung hat ja durchaus einen humorvollen Teil", sagte der Unionsfraktions- und CDU-Parteichef in Berlin.
Die Grünen müssten das "dann mit sich und ihren Wählerinnen und Wählern ausmachen", fügte er hinzu. Vizekanzler Habeck will seine Kandidatur im Laufe des Tages offiziell machen.
Habeck kündigt Kanzlerkandidatur an
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will Kanzlerkandidat der Grünen werden. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios will er seine Kandidatur heute bekannt geben.
Die Wahl zum Spitzenmann der Grünen ist für den Bundesparteitag der Grünen geplant, der am Freitag kommender Woche in Wiesbaden beginnt. Dort wird Habeck um die Unterstützung der Delegierten werben.
Union und SPD streiten weiter über den richtigen Termin für die Vertrauensfrage von Kanzler Olaf Scholz im Bundestag. Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz bekräftigte heute im Deutschlandfunk, SPD-Politiker Scholz müsse die Vertrauensfrage so schnell wie möglich stellen und nicht erst am 15. Januar. Alles andere sei verantwortungslos. Der Kanzler dürfe seine starke Stellung nicht missbrauchen.
Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sagte, der "Popanz", den die Opposition aufführe, müsse aufhören. Es könne nicht nur über den Termin der Vertrauensfrage gestritten werden. Die Bevölkerung wolle Entscheidungen zu inhaltlichen Themen wie dem Kindergeld, der Sicherung von Jobs in der Industrie oder der Senkung von Energiepreisen. Auf die Frage, ob dabei die Union im Bundestag nicht mitmache, sagte Mützenich: "Ich weiß das nicht." Das müsse man nun herausfinden.
Merz hatte bereits gestern erklärt, er wolle erst nach der Vertrauensfrage über Inhalte reden.
Die EU blickt nach Aussage der Europaabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann besorgt auf die Regierungskrise in Deutschland. Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagte die FDP-Politikerin, "wenn Deutschland schwächelt, schwächelt Europa. Es ist der mit Abstand einflussreichste Staat und insofern kann uns das nicht egal sein, vor allen Dingen auch Europa nicht, was in Deutschland passiert."
Laut Strack-Zimmermann war das zögerliche Auftreten von Bundeskanzler Scholz in der Ukraine-Unterstützung für viele Europäer verstörend. "Und insofern hoffen sie, dass der Bundeskanzler blitzschnell seine Vertrauensfrage stellt, wir schnell zu Wahlen kommen und dass wir hier wieder zur Arbeit übergehen können."
Die SPD hält nach den Worten der Co-Vorsitzenden Saskia Esken an ihrem Zeitplan für die Vertrauensfrage fest und will weiterhin mit Bundeskanzler Olaf Scholz in den Wahlkampf ziehen. Die Entscheidung für den Zeitpunkt der Vertrauensfrage habe Scholz getroffen und es gebe gute Gründe dafür, sagte Esken im ZDF. "Weil wir der Auffassung sind, dass wir jetzt in den wenigen Wochen bis zur Weihnachts-/Winterpause noch wichtige Vorhaben auch umsetzen wollen, auf die das Land nicht warten sollte."
Dabei gehe es unter anderem um die Stabilisierung der Industrie. Die Entscheidungen sollten nicht in einer Wahlkampfsituation getroffen werden, die sofort nach einer Vertrauensfrage entstehen würde. Trotz der schlechten Umfragewerte für Scholz bekräftigt Esken dessen Position als Kanzlerkandidat der SPD. "Wir sind überzeugt, dass wir mit ihm gemeinsam auch diese Bundestagswahl gewinnen können."
Saskia Esken, SPD-Vorsitzende, zur Entscheidung des Bundeskanzlers für die Vertrauensfrage im Januar
Nach dem Bruch der Ampelkoalition hat der Vorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), vor einer Schwäche Deutschlands in der EU gewarnt. "Putin und andere Feinde Europas dürfen nicht die Nutznießer sein eines führungsschwachen Kanzlers Scholz und des Versagens der Ampel", sagte Weber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).
"Weder Deutschland noch Europa können sich eine lange Schwächephase leisten, gerade auch vor dem Hintergrund der US-Wahl", sagte Weber weiter. "Es braucht schnellstmöglich Neuwahlen sowie eine stabile und handlungsfähige Bundesregierung."
Weber stellte der Ampel-Regierung ein desaströses Zeugnis in der Europapolitik aus. "Europapolitisch war die Ampel weitgehend ein Ausfall", sagte Weber. "Die Ampel-Regierung hat auf europäischer Ebene seit langem saft- und kraftlos agiert." Von den aktiven Europa-Formulierungen des Koalitionsvertrags sei wenig geblieben.
Liveblog vom Donnerstag
FDP-Politiker Buschmann schließt eine Zusammenarbeit seiner Partei mit der Minderheitsregierung bei bestimmten Gesetzen nicht aus. Kanzler Scholz hat seine Reise zur UN-Klimakonferenz abgesagt. Die Entwicklungen von gestern zum Nachlesen.