Gewinne trotz Krieg Die Russland-Geschäfte der deutschen Wirtschaft
Wenn Russinnen und Russen in Moskau einkaufen gehen, spüren sie kaum etwas von westlichen Sanktionen. Deutsche Produkte lassen sich weiterhin finden. Wie rechtfertigen das die Hersteller angesichts des Angriffskriegs?
Wer in den Filialen der Elektromarkt-Ketten M-Video oder Holodilnik einkaufen geht, findet dort ein überraschend großes Angebot an deutschen Produkten. Ob Kühlschränke, Staubsauger, Elektroherde oder Mikrowellen der Firma Bosch, die russischen Verbraucher können aus einer breiten Palette auswählen - und das zu handelsüblichen Preisen, zum Teil sogar günstiger als in Deutschland.
Das ist das Ergebnis einer Recherche, die der SWR gemeinsam mit russischen Kolleginnen und Kollegen vor Ort durchgeführt hat. Auch in Supermärkten, Fachgeschäften und Autohäusern gibt es Produkte "Made in Germany".
Russische Supermärkte voll mit "Made in Germany"
Ein striktes Verbot, diese Waren weiterhin nach Russland zu liefern, gibt es zwar nicht, aber viele deutsche Hersteller hatten angekündigt, sich aus dem russischen Markt "zurückzuziehen" und die "Lieferungen einzustellen". Auf Anfrage des SWR erklärt die Firma Bosch: "Bosch importiert keine Hausgeräte mehr nach Russland." Es würden aber noch "verbliebene Restbestände aus Lagern vor Ort verkauft".
Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich aktuell in russischen Supermärkten. Die Regale sind voller Produkte aus Deutschland - ob deutsches Bier, Gummibärchen oder Schokolade. So können russische Kunden unter anderem auf ein großes Sortiment der Marke Ritter Sport zurückgreifen.
Der Schokoladen-Hersteller aus dem baden-württembergischen Waldenbuch macht aus seinem Russland-Geschäft auch keinen Hehl: Man liefere weiter nach Russland, denn man sei der Ansicht, "dass eine Einstellung von Lieferungen für die Bevölkerung von Russland letztlich nicht diejenigen treffen würde, die für diesen verheerenden Krieg verantwortlich sind beziehungsweise ihn führen". Die Gewinne aus dem Russland-Geschäft spende man an Hilfsorganisationen.
Stihl und Kärcher aktiv in Russland
Die schwäbischen Weltmarktführer Stihl (unter anderem Hersteller von Kettensägen) und Kärcher haben den russischen Angriffskrieg immer wieder verurteilt und ebenfalls angekündigt, sich aus Russland "zurückzuziehen". Doch in Moskau ist davon wenig zu sehen. Es gibt zahlreiche Stihl- und Kärcher-Geschäfte in Russland, allein im Großraum Moskau sind es mehr als 20.
Testkäufer haben in mehreren Geschäften verdeckte Aufnahmen gemacht. Darauf ist zu sehen, dass das Angebot sehr groß ist - egal ob Kettensägen oder Hochdruckreiniger, die Käufer können aus einem umfangreichen Angebot "Made in Germany" auswählen. Auf den Videoaufnahmen ist zu sehen, dass die Regale prall gefüllt sind. Wie passt das mit den offiziellen Verlautbarungen der beiden Firmen zu den Russland-Sanktionen zusammen?
Die Firma Stihl teilt dem SWR auf Anfrage mit, man liefere seit März 2022 keine Geräte mehr nach Russland: "Bei den von Ihnen beschriebenen Filialen handelt es sich um wirtschaftlich selbstständige russische Händler, die ihre Waren von den ehemaligen Importeuren bezogen haben. Geräte, die heute am russischen Markt noch verfügbar sind, stammen daher noch aus Lieferungen, die vor Kriegsbeginn bezogen wurden. Leider haben wir auf den Verkauf dieser Ware keinen Einfluss." Die Firma Kärcher antwortete trotz mehrfacher Nachfrage nicht auf die Fragen des SWR zur ihren Russland-Geschäften.
Bundesamt: "Kein Totalembargo gegen Russland"
Das zuständige Bundesamt für Ausfuhr und Wirtschaftskontrolle (BAFA) erklärt auf Anfrage des SWR, dass nach wie vor nicht alle Lieferungen nach Russland verboten seien: "Es besteht kein Totalembargo gegenüber der Russischen Föderation. Das bedeutet: Güterlieferungen, die nicht verboten sind, sind weiterhin erlaubt." So seien zum Beispiel "elektronische Artikel für den häuslichen Gebrauch" erst ab einem Wert von 750 Euro verboten.
Ob die Sanktionen insgesamt ihre gewünschte Wirkung erzielen würden, ließ das Bundesamt offen: "Die von der EU beschlossenen Sanktionen sind zielgenau formuliert und Ergebnis einer sorgfältigen politischen Abwägung. […] Die Bewertung, ob dieses Ziel erreicht wird, obliegt dem Rat der Europäischen Union als Verordnungsgeber des Russland-Embargos."
Rätselhafte Verfügbarkeit von Porsche-Neuwagen
Porsche-Chef Oliver Blume hatte sich nach Beginn des russischen Angriffs festgelegt: Solange Krieg herrsche, würden keine Fahrzeuge geliefert. Doch auch hier werfen die Recherchen des SWR in Moskauer Autohäusern Fragen auf. Die großen Verkaufshallen der Porsche-Händler sind voller Sportwagen aus Stuttgart. Woher stammen all die Fahrzeuge, wenn Porsche "nicht mehr liefert"?
Zudem stehen Pkw mittlerweile explizit auf den Sanktionslisten der EU, das heißt, deren Lieferung nach Russland gilt als Sanktionsverstoß. Auf eine erste Anfrage des SWR antwortet ein Porsche-Sprecher, dass "keine Neuwagen mehr nach Russland geliefert" werden. Doch die Testkäufer, die im Auftrag des SWR Moskauer Porsche-Filialen besucht haben, bekamen dort Listen mit Neuwagen vorgelegt, die man sofort erwerben könne. Ein Angebot enthielt auch die sogenannte "Fahrzeugidentifikationsnummer" eines Porsche Cayenne "Platinum Edition". Eine Überprüfung der Nummer bestätigte das Baujahr 2023.
Gegenüber dem SWR teilte das Unternehmen mit, dass Porsche sich an sämtliche Sanktionsbestimmungen halten würde. Gleichzeitig deutete man an, dass Fahrzeuge offenbar auch gegen den Willen von Porsche nach Russland geliefert würden: "Darüber hinaus hat Porsche seine internationale Handelsorganisation aufgefordert, Umgehungsausfuhren beziehungsweise mittelbare Warensendungen nach Russland zu vermeiden. Zudem werden die direkten Ausfuhren von Fahrzeugen und Teilen in die benachbarten Länder regelmäßig überprüft. Potenziellen Auffälligkeiten wird nachgegangen."
Kritik an deutschen Unternehmen wegen Schlupflöchern
Der Osteuropaexperte Klaus Gestwa von der Uni Tübingen sieht die Haltung deutscher Unternehmen zu den Sanktionen insgesamt sehr kritisch: "Deutsche Unternehmen, die nichts dagegen tun, dass ihre Waren durch die Schlupflöcher der Sanktionspolitik nach Russland geraten, tragen dazu bei, die deutsche und die europäische Sanktionspolitik zu sabotieren."
Nach Recherchen des SWR sind noch weitere deutsche Marken, unter anderem aus dem Bekleidungs- und Sportbereich, in Moskauer Geschäften weiterhin verfügbar. Auch die meisten Autohäuser, in denen VW, BMW und Mercedes Benz verkauft werden, haben ganz normal geöffnet. Auf Anfrage teilen die deutschen Autohersteller mit, dass sie sich an die Sanktionen halten und keine Fahrzeuge mehr nach Russland liefern würden. Die Moskauer Filialen würden mittlerweile rechtlich zu russischen Unternehmen gehören, so Volkswagen. Zudem gebe es sogenannte "Parallelimporte" von deutschen Autos nach Russland über "nicht autorisierte" Zwischenhändler, erklärten Mercedes Benz und BMW. Aber diese "liegen nicht in unserem Einflussbereich".
Für die russischen Kunden ist all das nicht zu erkennen - die großen Autohäuser sehen weiterhin wie offizielle Filialen der deutschen Hersteller aus, samt Markenlogos und deutschen Werbeversprechen. Und so können russische Konsumenten weiterhin ungestört shoppen, trotz aller Sanktionen, während in der Ukraine der Krieg tobt. "Hart getroffen" haben diese Sanktionen die russische Wirtschaft bisher offenbar nicht.