Praxistest mit Pendlern Deutschlandticket als Alternative zum Auto?
Seit gestern können Fahrgäste im Nah- und Regionalverkehr bundesweit das neue Deutschlandticket nutzen. Was bringt das neue Angebot denjenigen, die jeden Tag zur Arbeit fahren müssen? tagesschau.de war mit zwei Pendlern unterwegs.
Im rheinland-pfälzischen Nierstein macht sich Martin Schenkenberger heute Morgen gegen 8 Uhr auf den Weg zur Arbeit. Er möchte in das nahegelegene Mainz. Dort hat der IT-Experte sein Büro. Wie immer geht Schenkenberger zu seinem am Straßenrand geparkten Auto - und lässt es links stehen. Der 49-Jährige läuft weiter zum Bahnhof des Mainzer Vorortes. Er will dort in die S-Bahn steigen.
"Für mich als Pendler ist das Deutschlandticket sehr attraktiv", sagt Schenkenberger. "Auf dem Weg nach Mainz gibt es viele Baustellen. Auch in Mainz wird viel gebaut. Immer wieder gibt es Staus. Parkplätze sind rar. Da nehme ich gerne den Zug. So komme ich nicht unter Zeitdruck."
Mit seinem Auto braucht er normalerweise rund vierzig Minuten, bis er im Stadtzentrum gekommen ist. Dann folgt noch das Glücksspiel Parkplatzsuche. "Mit dem Zug brauche ich nur etwa zwanzig Minuten. Bis zum Büro sind es für mich nur fünf Minuten Fußweg", so Schenkenberger. Das Ticket hat er sich am 1. Mai online über die Bahn-App gekauft. Das sei nicht ganz einfach gewesen, erzählt der IT-Experte, aber am Morgen war das Ticket dann plötzlich auf seinem Smartphone.
Unterwegs im Ballungszentrum
Die Jungfernfahrt mit dem neuen Fahrausweis verzögert sich aber. Der Zug hat Verspätung. Ärgerlich für den 49-Jährigen, aber heute drängen keine frühen Termine im Büro. Für Schenkenberger überwiegen dennoch die positiven Aspekte. "Ich war schon ein großer Fan des 9-Euro-Tickets. Ich mag es, deutschlandweit überall im öffentlichen Nahverkehr einsteigen zu können. Ich kann Bus und Bahn in jeder Stadt ganz einfach nutzen und das Auto stehen lassen."
Nach zwanzig Minuten Warten ist seine S-Bahn dann da. "Ich kann die Zeit ja nutzen. Und schon mal Mails checken und Telefonate führen. Auf lange Sicht gesehen bietet das Ticket von Nierstein nach Mainz doch eine große Zeitersparnis für mich", sagt der Pendler.
Auch finanziell lohnt sich das neue Angebot für Schenkenberger. Für ihn ist der schnellere Weg zur Arbeit aber das Wichtigste. Nach Angaben der Deutschen Bahn können aber etwa drei Viertel aller bisherigen Abo-Kunden Geld sparen, wenn sie auf das neue Angebot wechseln. Dabei lohne sich der Fahrschein vor allem für Pendler im Regionalverkehr zwischen verschiedenen Städten. Das Deutschlandticket koste dann oft nur einen Bruchteil dessen, was bislang bezahlt wurde.
Für Martin Schenkenberger hat es viele Vorteile, seinen Arbeitsweg nach Mainz im Zug zurückzulegen.
Ohne ausgebauten ÖPNV kein Umstieg
In der Pfalz sitzt Christian von Holst bei sich zu Hause am Küchentisch und klappt sein Notebook auf. Im Internet sucht er nach einer Verbindung von Hettenleidelheim nach Mannheim. In der kleinen Ortschaft lebt der 57-Jährige mit seiner Familie. In Mannheim arbeitet der Maschinenbauer beim Industrieunternehmen John Deere. Seine Augen wandern suchend über den Bildschirm. Von Holst schnauft durch. "In Grünstadt muss ich das erste Mal umsteigen. Da bleiben mir aber nur drei Minuten. Schaffe ich den Anschluss? Es gibt viele Zwischenhalte und Umstiege", sagt von Holst. Um 5.11 Uhr müsste von Holst zunächst den Bus nehmen, dann mit der Regionalbahn nach Frankenthal und dann nochmal mit dem Regionalexpress bis zum Hauptbahnhof in Mannheim.
"Was ist, wenn mein Bus Verspätung hat?", fragt der Pendler. Diese Verbindung dauert gut anderthalb Stunden. Gibt es noch eine alternative Verbindung am frühen Morgen? "Ja, aber die dauert auch eine gute Stunde. Und das ist die Hinfahrt. Dann kommt noch die Rückfahrt hinzu. Und das jeden Arbeitstag?" Von Holst schüttelt resigniert den Kopf. "Das 49-Euro-Ticket ist eigentlich sehr interessant. Ich möchte gerne auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Aber mit diesem Angebot ist das kaum möglich. Mit dem Auto brauche ich 35 Minuten - 40 Minuten, wenn es schlecht läuft. Der Pkw hat eine hohe Verlässlichkeit für mich."
Von Holst muss jeden Morgen pünktlich anfangen. Um 7.15 Uhr geht es für den Maschinenbauer los. Um 7.30 Uhr gibt es die erste Telefonkonferenz mit Geschäftspartnern aus Indien. Da müsse er pünktlich sein. "In Summe ist das 49-Euro-Ticket für mich derzeit keine Alternative. Ich werde vorerst weiter beim Pkw bleiben müssen", sagt von Holst. "Wir haben eine gute Anbindung an die Autobahn, aber nicht an den ÖPNV. Hoffentlich ändert sich das irgendwann mal."
"Nur an der Preisschraube drehen, reicht nicht"
In Hamburg trifft Karl-Peter Naumann ein - natürlich mit dem Zug am Hauptbahnhof. Naumann ist Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn und kennt die Probleme des ÖPNV in Deutschland seit Jahrzehnten. "Es ist jetzt ein toller Fortschritt für Fahrgäste, dass wir ein preiswertes Ticket haben, das auch überall gilt", so Naumann. Auf die Folgen für Pendler angesprochen, wird Naumann aber wieder schnell ernst. "Es gibt viele Arbeitnehmer, die davon nicht profitieren können. Wo es kein Angebot beim ÖPNV gibt, kann man es auch nicht nutzen. Wenn der Bus auf dem flachen Land nur drei Mal am Tag kommt, werden die Menschen das Auto weiter nutzen müssen. Und wer in den Pkw steigt, der bleibt auch darin, bis er am Ziel ist."
Aber was sollte die Politik in Bund und Länder jetzt gerade für Pendler tun? "Es muss jetzt in den öffentlichen Personenverkehr investiert werden. Wir brauchen ein deutlich verbessertes Busangebot auf dem Land", fordert Naumann. "Gleichzeitig muss natürlich auch das System Schiene ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Schieneninfrastruktur, damit mehr Regionalzüge, mehr S-Bahn-Verkehr fahren können."
Als Beispiel nennt Naumann Wien. Dort habe man zunächst den ÖPNV deutlich ausgebaut, dann die Preise für das Parken immer weiter erhöht und in einem dritten Schritt ein 365-Euro-Ticket für das ganze Jahr eingeführt. Das habe viele zum Umsteigen veranlasst. Hier in Deutschland habe die Politik den dritten vor dem ersten Schritt getan, so Naumann. "Nur an der Preisschraube drehen - das alleine reicht nicht."