Auf diesem von der israelischen Regierung zur Verfügung gestellten Foto werden Judith Raanan (r) und ihre 17-jährige Tochter Natalie von israelischen Soldaten und Brigadegeneral Gal Hirsch (M), Sonderkoordinator von Premier Netanjahu für die Rückführung der Geiseln, begleitet.
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Verhandlungsmarathon in Nahost Wie der Geisel-Deal zustande kam

Stand: 27.11.2023 20:40 Uhr

Dass die Nachricht über eine Verlängerung der Waffenruhe zuerst aus Katar kam, unterstreicht einmal mehr die gewachsene Rolle des Emirats. Katar steht seit Wochen im Zentrum der Verhandlungen - mit teils dramatischen Momenten.

Als Tamim bin Hamid al-Thani, der Emir von Katar, am 12. Oktober zu Besuch in Berlin war, wurden seine Gespräche mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz in der Öffentlichkeit kritisch begleitet. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel war da gerade einmal fünf Tage her; Katar galt und gilt als enger Verbündeter der Hamas - die militanten Islamisten haben ein Büro im Emirat, mächtige Führer haben sich dort niedergelassen.

Doch schon damals arbeitete Katar intensiv daran, eine Vereinbarung über die Freilassung der von der Hamas verschleppten Geiseln herbeizuführen - damals auch mit dem Ziel, eine Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen zu verhindern.

Was Anfang Oktober noch unter strengster Geheimhaltung ablief, wurde inzwischen von ranghohen amerikanischen Regierungsvertretern mehreren Nachrichtenagenturen und Zeitungen wie der "New York Times" detailliert geschildert, allerdings unter der Zusicherung von Anonymität. Die Medienberichte sind weitgehend deckungsgleich.

Ein Anstoß und seine Folgen

Demnach wandte sich Katar schon kurz nach dem Terrorangriff an die USA und übermittelte ihnen Informationen über die Geiseln. Katar zeigte sich zuversichtlich, dass ein Abkommen zu ihrer Befreiung geschlossen werden könnte und bat die USA, ein kleines Team für direkte Verhandlungen mit den Israelis und der Hamas zu bilden. Wann genau die Bitte erfolgte, geht aus den Berichten nicht hervor.

Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater der USA, übertrug diese Aufgabe an Brett McGurk, Nahost-Koordinator des Nationalen Sicherheitsrates und an Joshua Geltzer, Rechtsberater des Gremiums. Die Angelegenheit war so geheim, dass andere Sicherheitsdienste des Landes zunächst nicht eingeschaltet wurden.

Tägliche Gespräche

Das Team startete eine intensive Kommunikation. McGurk sprach täglich mit Emir al-Thani, Sullivan mit engen Beratern von Israels Premierminister Benjamin Netanyahu. Präsident Biden schaltete sich immer wieder persönlich in die Gespräche ein und telefonierte regelmäßig mit al-Thani.

Schon am 12. Oktober, dem Tag von al-Thanis Deutschland-Besuch, soll es einen ersten Vorschlag für einen Austausch gegeben haben, schreibt die Nachrichtenagentur AP. Er sei jedoch sehr weitreichend gewesen und habe die Freilassung aller israelischer Geiseln gegen die Haftentlassung aller palästinensischen Frauen aus israelischen Gefängnissen vorgesehen. Das habe Israel zwar abgelehnt, dennoch sei damit ein Anfang gemacht gewesen.

Biden habe seine Bemühungen nach Gesprächen mit Angehörigen der Geiseln am 13. Oktober verstärkt, heißt es in den Berichten - ihre Berichte hätten für ihn zu den aufwühlendsten Erfahrungen seiner bisherigen Amtszeit gehört, berichteten Mitarbeiter der "New York Times". Am 18. Oktober flog Biden zu Gesprächen mit Netanyahu nach Israel, um über humanitäre Hilfe für den Gazastreifen zu sprechen - und über Wege, die Freilassung der Geiseln zu ermöglichen.

Ein erster Test für die Belastungsfähigkeit von Absprachen und Zusagen war die Freilassung zweier US-amerikanischer Frauen am 20. Oktober. An der Aushandlung der Übereinkunft war auch Ägypten beteiligt. Drei Tage später wurden zwei israelische Geiseln von der Hamas freigelassen.

Die USA sahen darin einen Beweis, dass über Katar ein tragfähiges Abkommen mit der Hamas zur Freilassung einer größerer Zahl von Verschleppten erreicht werden könne.

Fortsetzung trotz Bodenoffensive

In diesen Tagen intensivierte sich auch die Frequenz der Telefongespräche zwischen Biden und Netanyahu. Einbezogen wurden nun auch CIA-Chef William J. Burns und Mossad-Chef David Barnea.

Zu diesem Zeitpunkt versuchte die Hamas, eine Bodeninvasion der israelischen Armee zu verhindern, indem es für den Fall des Verzichts einen größeren Geisel-Deal in Aussicht stellte. Die israelische Regierung hatte jedoch schwere Zweifel an dem Angebot der Hamas und startete die Operation Ende Oktober. Die Verhandlungen zwischen den USA, Israel, Katar und Ägypten gingen ungeachtet dessen weiter.

Mühsame Kommunikation

In den darauffolgenden Wochen wurden immer wieder neue Vorschläge und Forderungen ausgetauscht. Es sei ein zeitraubender und "schmerzhaft langsamer Prozess" gewesen, schreibt der TV-Sender Al-Jazeera, da die Kommunikation umständlich blieb: Nachrichten hätten über Doha oder Kairo in den Gazastreifen gelangen müssen und von dort zurück, um dann nach Israel und die USA weitergeleitet zu werden.

Als ein Stolperstein soll sich den Berichten zufolge erwiesen haben, dass die Hamas zwar eine Zahl von Geiseln nannte, die freikommen sollten - aber dazu keine konkreten Namen. Darauf bestand aber die israelische Regierung. Nach einem Gespräch von Burns, Barnea und al-Thani in Doha rief Biden schließlich den Emir an, um die israelische Forderung eindringlich zu unterstützen. "Genug ist genug", habe er dabei dem Emir gesagt, schreibt die "New York Times".

Doch auch Netanyahu musste bedrängt werden. Während die Hamas schließlich eine Liste von 50 Namen vorlegte, bestand der israelische Premier dem Vernehmen darauf, dass mehr als 50 Geiseln freikommen müssten. Nach einem Telefongespräch mit dem Präsidenten lenkte Netanyahu ein.

Ringen um Fristen

In der Zwischenzeit rückten israelische Einheiten weiter im Gazastreifen vor. Das Eindringen israelischer Soldaten in das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt gefährdete die Verhandlungen abermals. Die Hamas unterbrach die Gespräche und verlangte, dass die Soldaten das Gebäude umgehend verlassen. Das lehnte Israel aber, sagte ab zu, dass trotz des Einsatzes die Funktionsfähigkeit des Krankenhauses erhalten bleiben würde.

Die Gespräche kamen wieder in Gang. Biden rief al-Thani Mitte November vom ASEAN-Gipfel in San Francisco an, um zu verdeutlichen, dass nun die Zeit auslaufe und sich eine "letzte Chance" böte. Die Hamas bestand dem Vernehmen nach zu diesem Zeitpunkt auf einer Feuerpause von fünf Tagen, während Israel zu einer Waffenruhe von lediglich vier Tagen bereit war.

In den darauffolgenden Tagen gab es weitere Gespräche von McGurk in Katar und Ägypten, bei denen immer mehr Details eines Abkommen festgelegt wurden. Im Mittelpunkt stand nun die Freilassung von Frauen und Kindern, die Freilassung palästinensischer Gefangener, der Ablauf der verschiedenen Etappen des Austausches und das Ausmaß der Waffenruhe.

Der Durchbruch

Am 19. November schließlich kam aus dem Gazastreifen die Nachricht, dass die Hamas im Grundsatz die Vorlage akzeptiere. Nun ging es um letzte Details, bis Israel und die Hamas sich am 22. November auf eine Waffenruhe und den Austausch von Geiseln und Gefangenen verständigten.

Seit dem 24. November wird das Abkommen nun schrittweise umgesetzt. Beobachter führen es auf den großen persönlichen Einsatz der Beteiligten vor dem Hintergrund eines immensen internationalen Drucks zurück. In der Region wertet es die Rolle Katars noch einmal auf und zeigt zugleich, wie unverzichtbar der Einfluss der USA in Nahost ist.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 27. November 2023 um 22:30 Uhr.