Juncker-Nachfolge Timmermans' Chancen gestiegen
Manfred Weber scheint raus - zumindest im Rennen um das Amt des Kommissionschefs. Doch er könnte ein anderes Spitzenamt übernehmen, denn kurz vor dem EU-Gipfel zeichnet sich eine Paketlösung ab. Von Holger Romann.
Manfred Weber scheint raus - zumindest im Rennen um das Amt des Kommissionschefs. Doch er könnte ein anderes Spitzenamt übernehmen, denn kurz vor dem EU-Gipfel zeichnet sich eine Paketlösung ab.
"Es gab keine Mehrheit für irgendeinen Kandidaten", hatte Ratspräsident Donald Tusk beim letzten EU-Gipfel weit nach Mitternacht entnervt verkündet. Trotz der politischen Pattsituation strebe man aber weiter ein "Paket" an, das die "Vielfalt der EU" widerspiegle, so der Pole.
Eine harmlose Umschreibung für eine ziemlich knifflige Aufgabe: Gilt es doch neben dem wichtigen Posten des Kommissionschefs auch den der EU-Chefdiplomatin, des EU-Ratspräsidenten sowie des EZB-Direktors neu zu besetzen - und zwar möglichst ausgewogen nach Parteibuch, Nationalität und Geschlecht.
Die ganze Woche hindurch wurde fleißig sondiert und gepokert - in Brüssel, Berlin und sogar am Rande des G20-Gipfels in Japan. Doch weder im Rat noch im Parlament zeichnete sich ein konsensfähiges Personaltableau ab. Zumindest bis gestern. Da deutete Kanzlerin Merkel in Osaka überraschend an, dass sich die Blockade zwischen den politischen Lagern, Institutionen und Mitgliedsstaaten vielleicht doch zügiger auflösen könnte als noch vor kurzem vermutet. "Wir sind auf einem Weg, der es vielleicht möglich macht, doch zu einem Ergebnis zu kommen", so die Kanzlerin.
Kein Spitzenkandidat mit ausreichend Rückhalt
Wie ein Kompromiss aussehen könnte, behielt die Kanzlerin - mit Rücksicht auf den federführenden Ratspräsidenten und abwesende EU-Kollegen - für sich. Immerhin ließ sie durchblicken, dass das nach dem letzten Treffen bereits totgesagte Modell der Spitzenkandidaten auf Druck des Parlaments und einiger Mitgliedsstaaten wieder auferstanden ist. Auf Nachfrage sprach Merkel von einer "möglichen Lösung", bei der die beiden Hauptbewerber um den Topjob des EU-Kommissionschefs, der Konservative Manfred Weber und der Sozialdemokrat Frans Timmermans, eine tragende Rolle spielen müssten. Weber, wie es aussieht, aber nicht in seiner Wunschfunktion.
Keiner von beiden, weder Weber noch Timmermans, und auch nicht die Dritte im Bunde, die dänische Liberale Margrethe Vestager, hatten es in den Wochen nach der Europawahl geschafft, sich im Parlament und unter den Regierungen genügend Rückhalt zu sichern. Trotzdem wollte keiner seinen Anspruch aufgeben, Kommissionschef zu werden.
Weber und Timmermans mit Gentlemen's Agreement?
Frankreichs Präsident Macron, Sprecher des liberalen Lagers und prominentester Kritiker Webers, hatte deshalb kurzerhand erklärt, dass alle drei Bewerber aus dem Rennen seien. Man habe, so der Franzose, einen "neuen Prozess" gestartet, der "neue Namen hervorbringen" werde.
Macrons mutmaßliches Kalkül, so wie früher einen zuvor nicht genannten Kandidaten des Rates an die Spitze der mächtigsten EU-Behörde zu hieven, der dann nur noch von den Abgeordneten bestätigt werden muss, scheint jedoch nicht aufzugehen. Stattdessen haben sich Weber und Timmermans, Anführer der stärksten bzw. zweitstärksten Fraktion, hinter den Kulissen offenbar auf ein Gentlemen's Agreement verständigt, um wenigstens das bedrohte Spitzenkandidaten-System zu retten.
Demnach würde der weltgewandte Niederländer, trotz des schwächeren Wahlergebnisses, Kommissionspräsident. Der bodenständige Niederbayer würde sich mit dem Vorsitz des Parlaments begnügen - möglicherweise für fünf, statt wie üblich, für zweieinhalb Jahre. Alternativ könnte der CSU-Mann auch als Erster Stellvertreter mit besonderen Aufgaben in die Kommission wechseln. Um der Geschlechter-Balance Genüge zu tun, müsste bei Ratspräsidentschaft und diplomatischem Dienst der EU allerdings jeweils eine Frau zum Zuge kommen. Mit Rücksicht auf den Regionalproporz, je eine aus Süd- bzw. Osteuropa.
Lange Gipfelnacht ewartet
Auch wenn in Parlamentskreisen bereits von einer "guten Lösung" die Rede ist - unter Dach und Fach ist der kolportierte Paket-Deal noch nicht. So ist zum Beispiel unklar, wie sich die beträchtlichen Vorbehalte der Visegrad-Länder Polen und Ungarn gegen Timmermans überwinden lassen. Oder, wer künftig die Europäische Zentralbank leiten soll.
Wirklich entschieden wird ohnehin frühestens beim Arbeitsdinner der Chefs. Brüsseler Diplomaten rechnen nicht mit einer kurzen Sitzung. Gipfelorganisator Tusk hat für alle Fälle schon mal ein Frühstück eingeplant.