Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine "Ein historischer Moment für uns alle"
Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau sind offiziell gestartet. Doch ob und wann die Länder tatsächlich der EU beitreten können, ist offen. Gerade Ungarn äußert sich angesichts einer ukrainischen Mitgliedschaft skeptisch.
Die Europäische Union hat offiziell die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau eröffnet. Vertreter der 27 EU-Mitgliedstaaten und Abgesandte beider Staaten trafen sich in Luxemburg zu ersten Sitzungen, bei denen unter anderem den Vertretern der jeweiligen Länder die Leitlinien für die Gespräche ausgehändigt wurden.
"Dies ist ein historischer Moment für uns alle und ein Meilenstein in unserer Beziehung", sagte die belgische Außenministerin Hadja Lahbib im Namen der EU zum Auftakt des Treffen. Der Erweiterungsprozess sei eine geopolitische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand.
"Heute ist der Tag, auf den wir alle hingearbeitet haben"
In der Ukraine wurde die Eröffnung der Verhandlungen gefeiert. "Heute ist der Tag, auf den wir alle lange und hart hingearbeitet haben - die gesamte Mannschaft der Ukraine", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer vor seinem Amtssitz in Kiew aufgezeichneten Videobotschaft. Das Land habe nun die definitive Gewissheit, ein vollwertiges Mitglied der EU zu werden.
Dabei erinnerte der Staatschef auch an die Unterzeichnung des Beitrittsgesuchs am fünften Tag der russischen Invasion Ende Februar 2022. Mit Selenskyj waren Regierungschef Denys Schmyhal und Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk auf dem Video zu sehen. "Viele haben gesagt, das ist nicht mehr als ein Traum", sagte Selenskyj. Nach "Tausenden von Treffen und Telefonaten" habe Kiew jedoch die Bedingungen für die Aufnahme der Gespräche dank der Entschlossenheit des ukrainischen Volkes erfüllt.
Parlamentspräsident Stefantschuk zeigte sich überzeugt, dass die Ukraine den Beitrittsprozess in Rekordzeit absolvieren werde. "Wir haben alle notwendigen Gesetze verabschiedet und werden das auch weiter tun, damit die Ukraine nie wieder vom europäischen Haus gelöst wird", unterstrich er.
Olga Stefanischyna, stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine und Ministerin für europäische Integration, wird beim Treffen in Luxemburg vom luxemburgischen Außenminister Xavier Bettel (ganz links), dem EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, Oliver Varhelyi (links), und der belgischen Außenministerin Hadja Lahbib (rechts) begrüßt.
Auf der Tagesordnung der ersten Regierungskonferenz in Luxemburg stand eine Vorstellung der Leitlinien und Grundsätze für die Verhandlungen durch die EU. Erste inhaltliche Gespräche dürften nach Angaben von Diplomaten im Verlauf der nächsten zwölf Monate beginnen. Bis dahin muss die EU-Kommission noch in einem sogenannten Screening prüfen, inwieweit das nationale Recht der Beitrittskandidaten noch vom EU-Recht abweicht.
"Beide Länder haben im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, der Korruptionsbekämpfung und auch der Pressefreiheit enorme Fortschritte gemacht", begrüßte die deutsche Europa-Staatssekretärin Anna Lührmann den Start der Verhandlungen.
Von der Leyen gratuliert zum Verhandlungsstart
Auch EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen gratulierte der Ukraine und Moldau zum Start der Verhandlungen. Beide Länder hätten eine "unermüdliche Entschlossenheit" gezeigt, auf einen EU-Beitritt hinzuarbeiten, sagte sie in einer Videobotschaft im Onlinedienst X.
Von der Leyen betonte, es gebe auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges "keine Abkürzungen" auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft.
EU mahnt weitere Reformen an
Die belgische Außenministerin Lahbib erinnerte daran, dass weitere Fortschritte im Beitrittsprozess an die Erfüllung von Bedingungen geknüpft sind und theoretisch auch wieder rückgängig gemacht werden können. "Die EU erwartet von der Ukraine, dass sie weiterhin Verantwortung übernimmt und die Glaubwürdigkeit ihrer Zusagen und ihres politischen Willens durch die Umsetzung notwendiger Reformen (...) zeigt", sagte sie.
Als konkretes Beispiel nannte sie Reformen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte, die Stärkung der demokratischen Institutionen und eine Reform der öffentlichen Verwaltung. Besonderes Augenmerk sollte demnach auf die Justizreform, den Kampf gegen Korruption sowie den Schutz und die diskriminierungsfreie Behandlung von nationalen Minderheiten gelegt werden.
Letzterer Punkt ist vor allem für das EU-Land Ungarn wichtig, das eine ungarische Minderheit in der Ukraine als benachteiligt ansieht und immer wieder mit einer Blockade des Beitrittsprozesses gedroht hat. Für fast jeden Schritt im Verfahren ist Einstimmigkeit unter den 27 EU-Mitgliedern notwendig. Ungarn könnte deshalb noch häufig von seinem Veto Gebrauch machen. Mit Blick auf die Ukraine sagte Ungarns Europaminister Janos Boka, das Land sei "noch weit davon entfernt, die Beitrittskriterien zu erfüllen".
Orban: "Mit diesem Beitrittsprozess nicht einverstanden"
Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orban äußerte sich kritisch über die Beitrittsgespräche. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte er: "Ungarn ist mit diesem Beitrittsprozess nicht einverstanden, aber wir blockieren ihn nicht und unterstützen den Start der Verhandlungen." Die Gespräche seien "ein rein politisch motivierter Prozess".
"Aber wir müssten erst prüfen, was die Folgen wären, wenn wir ein Land im Krieg aufnehmen, dessen Grenzen in der Praxis nicht geklärt sind", sagte Orban, dessen Land am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Er fragte auch nach den Folgen des Beitritts eines solch riesigen Landes für die Landwirtschaft der EU. "Jetzt beginnen wir Verhandlungen, ohne da Klarheit zu haben, das ist nicht gut."
Beitrittsgespräche könnten Jahrzehnte dauern
Wie lange die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau dauern werden und ob sie überhaupt zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden können, ist offen. Es dürfte einige Jahre dauern, bis die Länder alle Bedingungen für einen EU-Beitritt erfüllt haben. Als Voraussetzung gilt im Fall der Ukraine etwa ein Frieden mit Russland.
Die deutsche Staatssekretärin Lührmann betonte, mit Blick auf einen Beitritt der Ukraine müsse auch die EU beginnen, sich "auf diese Erweiterung vorzubereiten". Die Reformen müssten sicherstellen, dass "weniger destruktive Blockaden möglich sind".
Um die Beziehungen zur Ukraine geht es ab Donnerstag auch beim EU-Gipfel in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs beraten über sogenannte Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Kiew in ähnlicher Form bereits mit den USA vereinbart hat. Auch zwischen Deutschland und der Ukraine gibt es bereits bilaterale Vereinbarungen.