Die Ukraine vor dem NATO-Gipfel "Sicherheitsgarantien sind eine Illusion"
Die Ukraine ist das dominierende Thema auf dem Gipfel in Washington. In dem angegriffenen Land hoffen die Menschen auf einen baldigen NATO-Beitritt - doch das ist unwahrscheinlich, solange der Krieg noch läuft.
Schenja steuert eine kleine schwarze Drohne über einen duftenden Kiefernwald nahe Kiew. "Flieg sie nicht gegen den Baum", ruft sein Copilot Eldar und lacht. Dann beugt er sich über eine andere Drohne und verbindet sie mit einer Batterie, die die Drohne beim Start häufig verlieren würde. "Dies ist eine Trainingsdrohne, die auch eine Sprengladung tragen kann", sagt er zufrieden.
Die beiden jungen Männer sind Freiwillige bei der Forpost-Stiftung, die das ukrainische Militär mit Fahrzeugen beliefert und sich auf elektronische Kampfführung und Drohnen spezialisiert hat.
Die NATO als einziger Ausweg
Direktor Oleksiy Polontschuk steht ein Stück weiter auf dem Trainingsfeld und dreht sich eine Zigarette. Dann verbindet er das elektronische Gerät auf seinem Autodach mit dem Automotor. Es sieht aus wie ein kleiner umgedrehter Tisch und hat eine ausgeklügelte Software, die Daten visualisieren und gegnerische Waffen der elektronischen Kriegsführung stören kann. Zum Beispiel die Funkfernsteuerung oder Elektronik gegnerischer Drohnen.
Vom Jubiläumstreffen der NATO erwartet der 50-jährige Ingenieur nichts konkretes, eine Alternative zum Beitritt sieht er nicht. "Ohne die NATO werden wir irgendwann in zehn Jahren zusammenbrechen, weil unser Nachbar hirnlos ist und keine Grenzen hat", sagt Polontschuk. Wenn der Krieg noch 10 oder sogar 20 Jahre dauern würde, hätte die Ukraine irgendwann keine Menschen mehr, die ihn führen könnten. Daher sei die NATO der einzige Schirm, der etwas bewirken könne.
Freiwillige als Rückgrat der Verteidigung
Freiwillige wie Oleksii Polontschuk haben eine unschätzbar wichtige Rolle bei der Verteidigung der Ukraine gegen die russischen Invasoren übernommen. Sie unterstützen das ukrainische Militär und ohne sie wäre es schwierig, konstatiert Serhij Osatschuk, Offizier der ukrainischen Grenztruppen. Die Ukraine habe bisher 20 bilaterale Sicherheitsabkommen mit westlichen Ländern geschlossen und eines mit der EU. Das sei wichtig, aber kein Ersatz.
"Alles andere außer der NATO-Mitgliedschaft ist eine Illusion. Eine imaginäre Vorstellung irgendwelcher Sicherheitsgarantien, das wird nicht funktionieren. Es ist nur eine Überbrückung, damit der Dialog nicht abreißt", erklärt Osatschuk. Der Historiker war bis Mitte 2022 Gouverneur der westlichen Region Tschernivci und meldete sich dann freiwillig. Nun ist der 52-Jährige, ruhig wirkende Mann in Kramatorsk im Gebiet Donezk stationiert und koordiniert den Einsatz der Grenztruppen mit der Armee.
Regelmäßig ist Serhij Osatschuk an den Hotspots im Osten unterwegs. Er könne nicht im Namen der gesamten Streitkräfte sprechen, ist ihm wichtig zu betonten. Doch seit zweieinhalb Jahren sei er an den besonders schwierigen, heißen Abschnitten der Frontlinie im Einsatz. Darunter in Awdijiwka und Bachmut, im Raum Kupjansk und in Tschassiv Jar. Er kenne die Lage an der Front durch die Abwehrleistung der Brigaden und man wisse genau, was Russland dort einsetze: "Ich kann es mit einem kurzen Satz bestätigen - die gesamte Ostfront brennt."
Die Ukraine als Teil der NATO
Solange der russische Angriffskrieg tobt, wird die Ukraine kein NATO-Mitglied - das ist der militärischen und politischen Führung in der Ukraine klar. Schon zum NATO-Treffen in Vilnius im vergangenen Jahr nannte Präsident Wolodymyr Selenskyj es aber beispiellos und absurd, dass es keinen Zeitplan für Einladung und Mitgliedschaft der Ukraine in die NATO gäbe. Er hoffe auf einen starken Gipfel, auf dem es auch ein Treffen des NATO-Ukraine-Rates geben wird.
"Wir arbeiten an den Details neuer Lösungen und Dokumente, die wir mit unseren Partnern unterzeichnen werden. Es sollte gute Entscheidungen geben, auch in Bezug auf die Luftverteidigung", sagte der ukrainische Präsident.
Westliche Waffen auch auf russischem Boden?
Viele Menschen hoffen in der Ukraine trotz allem auf einen Beitritt während des Angriffskriegs, so der Kyjiwer Militärexperte Oleksandr Kowalenko. Es sei immens wichtig die Zusammenarbeit mit der NATO auszubauen, damit die Ukraine nach Kriegsende so schnell wie möglich Mitglied werden könne. Von den internationalen Partnern erwarte er die Freigabe, westliche Waffen auf dem Territorium Russlands ohne jede Beschränkung einsetzen zu können.
"Wir brauchen endlich die Erlaubnis, russische Militärziele anzugreifen, egal wie weit sie von der Grenze zur Ukraine entfernt sind. Das ist für uns sehr wichtig, um Russlands Angriffsmöglichkeiten so weit wie möglich einzuschränken", so Kowalenko.
Hoffnung auf mehr Unterstützung
Im duftenden Kiefernwald nahe Kyjiw testen die Freiwilligen Eldar und Schenja unterdessen weiter Drohnen und wie gegnerische Waffensysteme gestört werden können. Vom NATO-Gipfel erwarte er nichts, sagt Schenja. Das sei etwas für Diplomaten. Er würde sich jedoch wünschen, dass das die NATO das ukrainische Militär mehr unterstütze. "Ich glaube, dieser Krieg ist jetzt ein gemeinsamer Krieg. Wir müssen uns zusammenschließen, um den Angreifer zu besiegen."