Baerbock auf Sommerreise Sicherheitsstrategie im Bürgerdialog
Außenministerin Baerbock will auf ihrer Sommerreise mit Bürgern ins Gespräch kommen. Ein Schwerpunkt ist die Nationale Sicherheitsstrategie. Beim Auftakt in Bremen zeigt sich: Es gibt noch mehr Redebedarf.
Annalena Baerbock steht im Mittelpunkt des "Universums" - so heißt das Museum in Bremen, das normalerweise ein Ort ist, um naturwissenschaftliche Phänomene zu entdecken. An diesem Abend dagegen geht es um schwierige Fragen, die Deutschland sehr bald beschäftigen werden. Stichwort: knapper werdendes Gas, steigende Kosten.
"Wir haben uns gefragt, wie die Verteilung jetzt auch in Richtung Winter stattfinden soll", erzählt eine Studentin. Den Reichen nehmen, um die Ärmeren zu unterstützen? Ihr gegenüber macht sich die deutsche Außenministerin Notizen. Ein junger Mann berichtet von der Diskussion, "wie weit wir als Land bereit sind, uns einzuschränken für die Verbrechen, die ja in der Ukraine gerade stattfinden".
"Zuhör-Tour"
Baerbock ist auf "Zuhör-Tour", wie sie selbst sagt. Die Sommerreise durch Deutschland beginnt im Norden und endet im bayerischen Süden. Auftakt im "Universum". Schon eine halbe Stunde vor dem "Townhall-Treffen" sind die meisten Stühle besetzt. Davor hatten 50 Bürgerinnen und Bürger - nach dem Zufallsprinzip ausgesucht - drei Stunden lang in kleineren Gruppen diskutiert. Die Themen: Krieg, Abrüstung, Klimawandel. Die zentralen Ergebnisse werden nun auf eine Leinwand projiziert und der Ministerin vorgetragen. Das Publikum hört gespannt zu.
Baerbock hat sich für ihre Sommerreise eine besondere Aufgabe vorgenommen. Sie will mit Bürgerinnen und Bürgern über "Sicherheit, Freiheit und Frieden" sprechen, außerdem über ein sperrig und abstrakt klingendes Vorhaben diskutieren. Die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, "im ersten Jahr der Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie" vorzulegen.
Sicherheitspolitik im Fokus
"Wir spüren so eine Sehnsucht, die wir wahrscheinlich lange nicht, die vielleicht meine Generation noch nie so richtig gespürt hat: Eine Sehnsucht nach Sicherheit." So formulierte es Baerbock im März bei der Auftaktveranstaltung zur Strategie in Berlin. Sicherheitspolitik war lange Zeit ein Thema vor allem für einen kleinen Kreis von Fachleuten. Jetzt ist der russische Krieg gegen die Ukraine nur wenige Flugstunden von Deutschland entfernt.
Stoff für Diskussion auch im Bremer "Universum". Wie weit geht die Solidarität mit der Ukraine, wenn in Deutschland das Gas knapp wird? Baerbock hört den Reflexionen der Gruppen zu, greift Stichworte auf. Immer wieder sucht sie bei ihren Antworten Blickkontakt. Eine Teilstrategie des russischen Krieges sei es, die Spaltung in die westlichen Gesellschaften zu tragen.
Dutzende Menschen kamen der Außenministerin im "Universum" ganz nah.
Bürgerbeteiligung als Strategie
Professionell verweist Baerbock auf den Kurs der Regierung: Entlastungspakete, die Ärmsten nicht hinten runterfallen lassen. Und gleichzeitig: kein Ende der Sanktionen gegen Russland. Kein Freifahrtschein für Diktaturen, die schwächere Nachbarn überfallen würden. "Und daher werden wir auch diese Sanktionen aufrechterhalten und zugleich sicherstellen, dass bei uns die Gesellschaft nicht gespalten wird." Den Beweis, dass das gelingen kann, muss die Regierung vielleicht schon im Winter antreten.
Dass die Politik versucht, Bürgerinnen und Bürger einzubinden, ist kein gänzlich neuer Gedanke. 2014 und 2015 beispielsweise, als das Auswärtige Amt die deutsche Außenpolitik auf den Prüfstand stellte, gab es offene Veranstaltungen und Diskussionen. Die EU präsentierte kürzlich die Ergebnisse der "Konferenz zur Zukunft Europas", ein mehrmonatiger Prozess mit breiter Beteiligung.
Vom Fußballplatz bis zum Hightech-Unternehmen
Dennoch: neben Think Tanks und Verbänden diesmal auch Bürgerinnen und Bürger bei der Erarbeitung der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie einbinden zu wollen, ist ein ungewöhnlicher Ansatz. Die Ministerin fährt auf ihrer Busreise ins Flutgebiet im Ahrtal, besucht ein Unternehmen für Satelliten-Technik oder schaut beim Vereinsfest des TuS Beaumarais Saarlouis das Fußball-EM-Spiel Finnland gegen Deutschland.
Die Botschaft der Reise: Sicherheit entsteht nicht allein durch Armee und Polizei. Es geht um Klimaschutz, Angriffe im digitalen Raum und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dem Auftakt-Publikum ruft Baerbock am Abend optimistisch zu: "Wenn Sie dann am Ende ein bisschen in diesem Papier finden, können Sie Ihrer Nachbarin sagen: 'Guck mal, das habe ich in Bremen dazu beigetragen.'"
Erklären und Ideen sammeln
Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik findet, die Außenministerin habe sich "kein einfaches Programm" vorgenommen. Baerbock reise beispielsweise nicht nur in Großstädte. Major sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, sie erwarte Kommunikation in zwei Richtungen: "Sie kann einerseits Impulse von den Bürgerinnen und Bürgern mitnehmen, aber gleichzeitig Sicherheitspolitik, die umfassenden Veränderungen und ihre Ideen jenseits der Berliner Blase erklären."
Krieg, Klimawandel, Atomwaffen in Deutschland. Zwischendrin sagt Baerbock: "Da hier reingeflüstert wurde, 'Die Ministerin müsste weniger reden, dann hätten wir mehr Zeit' - womit Sie sehr Recht haben - mache ich hier mal einen Punkt." Nach einer guten Stunde muss sie dann zum Flieger. Heute nimmt sie an der Moldau-Konferenz in Bukarest teil.