Transsexuellengesetz Mehr Akzeptanz für geschlechtliche Vielfalt
Was trans- und intergeschlechtliche Menschen eint? Die Zuschreibung von Junge und Mädchen ist oft schon in frühen Jahren nicht eindeutig. Die Folge: lebenslange Herausforderungen. Heute berät der Innenausschuss über mögliche gesetzliche Änderungen.
Felicia Rolletschke will gar nicht mehr daran erinnert werden, welchen Vornamen sie als Kind hatte. Nur so viel: Sie ist als Junge geboren und in einer ländlichen Gegend in Süddeutschland aufgewachsen. Schon mit fünf Jahren ahnte sie, dass weder das männliche Geschlecht noch der männliche Name zu ihr passten. Bis sie dieses Phänomen jedoch begreifen und in Worte fassen konnte, vergingen einige Jahre. Mit 17 Jahren war es soweit. Von da an wusste sie: "Ich bin trans."
Rolletschke zog nach Berlin, recherchierte in sozialen Netzwerken, suchte Menschen mit ähnlichen Lebenserfahrungen, suchte Rat. Es war der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Es folgte das Coming out, eine Hormontherapie und auch die Transition, also die Geschlechtsangleichung.
Zwischen diesem Neuanfang als Teenager in Berlin und ihrem heutigen Leben als selbstbewusste Frau liegen inzwischen knapp zehn Jahre - und viele bedrückende Erfahrungen. So konnte oder wollte etwa die Hälfte ihrer Familie nicht akzeptieren, dass sie eine Frau ist. Zu ihrer Mutter hat sie bis heute keinen Kontakt mehr. Als "schmerzhaft" beschreibt sie auch, wie eine Vorgesetzte sie partout nicht als Frau ansprechen wollte.
Bürokratische Hürden
Die medizinische Seite hingegen sei meistens nicht so sehr das Problem, erzählt Rolletschke. Man könne in Deutschland sehr wohl Ärzte finden, die Transmenschen beraten und bis zur Operation medizinisch begleiten. Allerdings baue der Staat nach wie vor bürokratische Hürden ein, die gerade die Übergangsphase noch schwerer machten, als sie ohnehin sei. Damit meint Rolletschke die Änderung des Namens und des Personenstands im Ausweis. Eine Prozedur, die sich bis zu einem Jahr hinziehen kann.
Transpersonen müssen bis heute vor das Amtsgericht ziehen, wenn sie Namen und Personenstand ändern lassen wollen. Ein Richter entscheidet dann darüber. Allerdings erst, wenn Betroffene zwei Gutachten von Psychologen eingeholt, Persönlichkeits- und manchmal sogar Intelligenztests abgelegt haben. Kosten: zwischen 1000 und 8000 Euro. Das komme einer "Pathologisierung" von Transmenschen gleich, ärgert sich die 26-Jährige. Ein Grund, warum sich die Psychologin für die Rechte von transgeschlechtlichen Menschen in Deutschland engagiert.
Nach Schätzungen sind 60.000 bis 160.000 Menschen in Deutschland trans. Rolletschke klärt nicht nur auf - an Schulen oder Universitäten. Wenn der Innenausschuss des Bundestags am heutigen Montag Sachverständige einlädt, die über das fast 40 Jahre alte "Transsexuellengesetz" debattieren, mischt sie sich mit ihrem Erfahrungsschatz in die politische Debatte ein.
"Normenangleichende OPs" bei intergeschlechtlicher Personen
Die Experten und Expertinnen im Innenausschuss werden sich zudem mit der Situation intergeschlechtlicher Personen auseinandersetzen. Also der Menschen, die nicht mit den Geschlechtsmerkmalen von Jungen oder Mädchen auf die Welt kommen. Der Regelungsbedarf ist groß. Im Falle von intergeschlechtlichen Kindern haben sich Ärzte und Eltern in den vergangenen Jahren immer wieder für "normenangleichende Operationen" entschieden. Auch heute passiert das noch. Die Genitalien werden bei dieser OP "angepasst". Vereinfacht ausgedrückt: Das intergeschlechtliche Kind wird zu einem Jungen oder Mädchen umoperiert. Ein massiver Eingriff, ohne dass der oder die Betroffene selbst schon befragt werden und mitreden könnte.
Dabei sind die Folgen weitreichend: Die Fortpflanzungsfähigkeit kann dadurch eingeschränkt werden. Eingriffe können auch zu einer verminderten sexuellen Sensitivität im Erwachsenenalter führen, erklärt Charlotte Wunn von Intersexuelle Menschen e.V. Nach Schätzungen gibt es bundesweit 120.000 bis 170.000 intergeschlechtliche Personen.
Das Wissen über geschlechtliche Vielfalt ist auch in Deutschland gering.
Das Wissen über geschlechtliche Vielfalt ist auch in Deutschland gering. So erklärt sich vielleicht auch, warum sich Eltern in der Vergangenheit häufig für die umstrittenen Operationen entschieden haben. Bereits während der Schwangerschaft werden sie mit der Frage konfrontiert, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Wenn nach der Geburt festgestellt wird, dass das Kind intergeschlechtlich ist, scheuen sich Eltern "weder noch" zu sagen und über die Intergeschlechtlichkeit ihres Kindes zu reden, da das Thema stark tabuisiert ist.
Viele Kinder merken erst in der Pubertät, dass sie sich nicht so entwickeln wie ihre Mitschüler und Mitschülerinnen, erklärt Wunn. Sie bekommen teilweise vom Arzt Hormonersatzpräperate verschrieben, ohne dass ihnen erklärt wird, warum sie diese nehmen sollen. In vielen Fällen sind sie schon 30 Jahre oder noch älter, bis ihnen klar wird, dass sie nicht als Junge oder Mädchen, sondern als intergeschlechtliche Person auf die Welt gekommen sind.
Als Teenager entscheiden
Vor der Innenausschussitzung am Montag wirbt Charlotte Wunn daher für ein Verbot dieser "normenangleichenden Operationen", sofern sie nicht lebensnotwendig sind. Ihre Alternative: Intergeschlechtliche Kinder könnten zu einem späteren Zeitpunkt, etwa als Teenager, selbst entscheiden, ob sie eine Operation an sich vornehmen lassen möchten oder nicht.
Ihr ist klar, dass es dazu eine Gesellschaft bräuchte, die geschlechtliche Vielfalt auch akzeptiert. Viele Schulen und Lehrer müssten sich dann anders aufstellen, etwas keine Aufteilung mehr in Jungs und Mädchen vornehmen, die intergeschlechtliche Kinder von vornherein ausgrenzen und vor allem das Thema "geschlechtliche Vielfalt" im Unterricht behandeln.
Immerhin gibt es seit 2016 Behandlungsleitlinien für "Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung". Darin wird unter anderem zur "Peer Beratung" geraten. Soll heißen: Eltern von intergeschlechtlichen Kindern sollen mit Familien in Kontakt gebracht werden, die Erfahrung mit Intergeschlechtlichkeit haben. Ein Fortschritt, aber mehr nicht. Weitere Schritte sind nötig. Aus Sicht von Wunn könnte die Debatte im Innenausschuss dazu beitragen.