Asyl in den Kommunen Nach dem Tabubruch
Im Landkreis Bautzen kürzte der Kreistag einst mit Stimmen von CDU und AfD Integrationsleistungen. Auch Landrat Witschas sorgte für Unmut. Seitdem ringt der Landkreis weiter um seine Asylpolitik.
Vor einem Jahr hat Udo Witschas seiner CDU Weihnachten vermiest. Witschas, Landrat von Bautzen, hatte eine Weihnachtsansprache gepostet. Thema: der Umgang mit Asylbewerbern im Landkreis.
Er sei nicht bereit, "den Sport für diese Asylpolitik bluten zu lassen", sagte Witschas über die mögliche Belegung von Turnhallen. Gleiches gelte für die Unterbringung von "Menschen, die unsere Kultur nicht kennen", in Mietshäusern. Der Kreistag hatte zuvor gegen eine neue Asylunterkunft gestimmt. Auch, weil es Proteste gegeben hatte.
Kritik für Video und Kreistagsentscheid
Zum Teil hatte Witschas gesagt, was viele Kommunalpolitiker in dieser Zeit sagten. Aber er hatte sich im Ton vergriffen, mindestens. Die Bundes-CDU ließ wissen, man distanziere sich "mit Nachdruck von der Wortwahl des Bautzener Landrats" - auch im Namen von Parteichef Friedrich Merz. Sachsens CDU-Landeschef und Ministerpräsident Michael Kretschmer musste sich rechtfertigen. Auch weil der Kreistag beschlossen hatte, abgelehnten Asylbewerbern die Integrationsleistungen zu streichen. Der Antrag kam von der AfD, die nötigen Stimmen von Teilen der CDU-Fraktion und Landrat Witschas.
Der Beschluss wurde später ausgesetzt, gilt bis heute aber als Paradebeispiel für eine Zusammenarbeit von CDU und in Teilen rechtsextremer AfD auf kommunaler Ebene.
Ausgesetzt hinter der Grenze
Mittlerweile spricht man in der CDU zwar von einem "pragmatischen Umgang" mit der AfD. Doch um die Asylpolitik ist es nicht ruhiger geworden, nur um Udo Witschas und den Landkreis Bautzen. Rund 300.000 Menschen leben hier, im Osten Sachsens. Im Norden beginnt das Lausitzer Kohlerevier, im Süden grenzt der Kreis an Tschechien. Es ist Ende September, und in einer Schule soll ein Bürgergespräch mit Kretschmer und Witschas stattfinden.
Unterwegs am Straßenrand umringen Polizisten eine Gruppe Männer. Die elf Syrer wurden ausgesetzt. Noch sind keine Grenzkontrollen eingeführt. Noch tauchen täglich Dutzende Asylsuchende so in der Region auf.
Lob von Kretschmer
Die Bürger in der Schulaula haben sich an diesen Anblick offenbar gewöhnt. Mehrfach stachelt Kretschmer sie an, mit ihm über Migration zu diskutieren. Doch die Leute fragen lieber nach Entwässerungsgräben, Kita-Beiträgen und Ortschaftsräten.
Was auch anders ist als erwartet: Kretschmer lobt den Mann, der ihm so viele Probleme bereitet hat, in höchsten Tönen - für den Breitbandausbau, für das Werben um die Ansiedlung der Bundeswehr in der Region. Witschas selbst sagt später im Gespräch mit tagesschau.de: "Michael Kretschmer und ich haben ein ungetrübtes Vertrauensverhältnis."
Stimmt es, dass Kretschmer ihn damals zwar öffentlich verteidigt, unter vier Augen aber gerüffelt habe? Der Ministerpräsident habe ihm seine Meinung gesagt. Das gehe aber niemanden was an, findet Witschas. Er schiebt hinterher: "Ein Herr Merz hat mich bis heute nicht angerufen."
Kritiker: "Anderswo nicht normal"
Witschas Kritiker sehen das weniger entspannt. Bekannt geworden sind seine Aussagen durch den X-Account "aushoywoj". Dahinter steckt ein Mann aus dem Kreis, der anonym bleiben möchte. Am Telefon sagt er: "Hier sind Dinge normal, die anderswo nicht normal sind." Er sorge sich, dass die AfD bei den nächsten Kommunalwahlen im Kreis Mehrheiten holen könnte - auch, weil Witschas diese normalisiere.
Udo Witschas fragt, wo käme man hin, wenn Kreisräte gegen ihre Überzeugung stimmen sollen. Auch für einen Landrat sei Parteipolitik "zweitrangig". Außerdem sei da die Stimmung vor Ort. Überall, wo er hinkommt, sage man ihm: "Wir bilden uns unsere eigene Meinung und lassen uns nicht permanent belehren."
AWO soll Wohnprojekt umsetzen
Genau diese Stimmung beschwert die Asylpolitik im Kreis. Für Marcus Beier, Geschäftsführer der AWO Lausitz, ist die Akzeptanz der Bevölkerung derzeit "die größte Herausforderung". Beier betreibt fünf Unterkünfte im Landkreis für bis zu 1.800 Menschen.
Im Auftrag des Kreises soll er nun 25 Wohnungen für insgesamt 100 Menschen anmieten. Es ist ein Weg, auf den bislang kein sächsischer Kreis so wenig gesetzt hat wie Bautzen. Dabei sei der Ansatz "vernünftig", sagt Beier. Die große Mehrheit derer im Kreis, die sich in den letzten Monaten geäußert hätten, lehne Zentralunterkünfte schließlich ab. Und alleine würden Asylberechtigte und Geflüchtete kaum Wohnungen finden.
Es herrscht zwar Leerstand im Kreis, aber die Vermieter hätten Ressentiments, auch wegen der "aktuellen politischen und medialen Stimmung". Von der Bundespolitik vermisst Beier Aussagen, wie damit umzugehen sei. Er baut auf seine guten Kontakte zu Kommunen und Vermietern.
Geflüchtete sollen lernen
Das Wohnprojekt kostet auf drei Jahre insgesamt 1,2 Millionen Euro und ging trotz Protest der AfD durch den Kreistag. Witschas sagte nach der Entscheidung, einziehen sollten Menschen, bei denen man davon ausgehe, sie wüssten "sich auch in unserer Gesellschaft zu verhalten". Es klang, als betone er extra, dass er alles unter Kontrolle habe.
Was Witschas meint: Die Bewohner des Wohnprojektes hätten eine "Orientierungsphase" in Deutschland hinter sich. Marcus Beier wiederum sagt, zunächst müssten Neuankömmlinge die Verwaltungsabläufe kennenlernen. Danach bringe man ihnen bei, "was in der Hausordnung steht, wie der Müll zu trennen ist, wann die Nachtruhe beginnt". Auch das bedeute Integration. Und manches davon sei erst in einem Wohnprojekt vermittelbar.
Bisherige Wohnprojekte der AWO für Familien afghanischer Ortskräfte und Ukrainer seien hingegen ein Erfolg gewesen: Alle hätten ihre Wohnungen mittlerweile selbst übernommen oder eigene gefunden.
AfD: Brandmauer "von unten her zerbröseln"
Wäre es nach der AfD gegangen, würde der Landkreis jetzt Zelte und Container statt Wohnungen organisieren. Es ging ihr dabei um die symbolische Wirkung. Jörg Urban, Landeschef und Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag, sagt, in Bautzen sei die Verärgerung über die Bundespolitik schon lange spürbar. Hier habe es einen der ersten Montagsproteste gegeben. Die AfD habe "diese Stimmung aufgegriffen".
Was die CDU angeht, sei Bautzen aber kein Sonderfall. Man habe überall in Sachsen "intakte Kontakte zur CDU-Basis", sagt Urban. Namen nennt er nicht, aber natürlich freue man sich darüber, "wenn die CDU in Bautzen unsere Themen aufgreift, der Landrat in unserem Sinne agiert und AfD-Anträge Zustimmung finden".
Bei der Landtagswahl 2024 tritt Urban als Direktkandidat im Kreis an. Die AfD führt aktuell in den Umfragen. Er gibt sich zuversichtlich: Die "sogenannte Brandmauer" der CDU werde "von unten her zerbröseln". Die AfD käme dann in die Landesregierung.
Sammelunterkünfte voll
In der CDU geht man dazu auf Distanz. Witschas verweist darauf, bei seiner Wahl zum Landrat 2022 den AfD-Kandidaten deutlich geschlagen zu haben. Ministerpräsident Kretschmer hat gar seine politische Zukunft daran geknüpft, dass es im Land zu keiner Zusammenarbeit mit der AfD kommt.
In der Asylpolitik nicht zu handeln, hieße für Kretschmer allerdings, "Populisten und Feinde der Demokratie groß machen". Er fordert weiterhin eine Obergrenze und sagt auch mit Blick auf Parteifreund Witschas: "Eine Politik, die an der Bevölkerung vorbei Dinge erzwingt, ist zum Scheitern verurteilt."
Udo Witschas sieht die "Kapazitätsgrenze" seines Landkreises bereits erreicht. Waren Ende September noch rund 100 Plätze in Unterkünften frei, gibt es laut Landratsamt Ende November keine mehr. Bis Jahresende erwartet man aber noch 165 Menschen. Der Kreis arbeitet an weiteren Wohnprojekten.