Gesetzliche Krankenversicherung Milliarden, die Lauterbach unter Druck setzen
Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen muss neu aufgestellt werden, denn es fehlen Milliarden. Am Zuge: Gesundheitsminister Lauterbach. Die Lösungsvorschläge könnten zu weiterem Streit in der Ampel führen.
Auf dem Schreibtisch des Bundesgesundheitsministers haben sich viele Vorhaben angestaut. Das Gesundheitssystem soll digitalisiert werden, die Legalisierung von Cannabis gestaltet sich schwieriger als gedacht und auch die Krankenhausreform fordert den Minister.
Doch während Karl Lauterbach mit den Ländern darum ringt, die Kliniklandschaft in Deutschland auf neue Füße zu stellen, droht neues Ungemach. Die Krankenkassen befürchten, dass auch 2024 wieder mehrere Milliarden Euro fehlen.
Längst ist eine Debatte im Gang, wie die Finanzen der Krankenkassen dauerhaft stabilisiert werden könnten. Es gibt eigentlich nur drei Möglichkeiten: Mehr Geld einnehmen, weniger Geld ausgeben, oder das Geld anders verteilen.
Den Zahnarzt-Besuch selbst zahlen?
Der Chef der gesetzlichen Krankenkasse IKK-Innovationskasse will weniger Geld ausgeben. Konkret schlägt Ralf Hermes vor, in drei Bereichen zu kürzen: bei zahnärztlichen Behandlungen, Zahnersatz und Homöopathie. "Der Lage angemessen wäre es, die komplette zahnärztliche Versorgung aus dem Leistungskatalog zu streichen." Das würde bedeuten, dass Versicherte selbst etwa ihre Wurzelbehandlungen, Zahnfüllungen und jeglichen Zahnersatz bezahlen müssten. Hermes will auf private Zusatzversicherungen und Vorsorge setzen. "Wer sich im Wesentlichen zweimal am Tag ordentlich die Zähne putzt, bekommt fast keine Probleme."
Die gesetzliche Krankenversicherung könnte dadurch viel Geld sparen. Laut dem Verband der Ersatzkassen werden jedes Jahr rund 16 Milliarden Euro für die zahnärztliche Versorgung und Zahnersatz ausgegeben. Den Zahnarztbesuch selbst bezahlen? Diesem Vorschlag hat der Bundesgesundheitsminister direkt eine Absage erteilt. "Wir können Geld sparen, wenn wir überflüssige Operationen vermeiden oder mehr notwendige Eingriffe ambulant erbringen", sagt Lauterbach und spricht sich klar gegen Leistungskürzungen aus.
Es fehlen bis zu sieben Milliarden
Doch irgendwoher muss das Geld kommen. Die GKV geht von einer Lücke von bis zu sieben Milliarden Euro aus. Ohne weitere Maßnahmen müssten das die Versicherten bezahlen.
Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende vom GKV-Spitzenverband geht davon aus, dass die Zusatzbeiträge dann um bis zu 0,4 Prozentpunkte steigen müssten. Sie blickt mit Sorge auf die Finanzlage, auch weil die Bevölkerung immer älter wird und in Zukunft mehr Menschen medizinisch versorgt werden müssen. Sie fordert eine langfristige Lösung, damit nicht jedes Jahr Beitragserhöhungen und Steuerzuschüsse die finanziellen Lücken stopfen müssen.
Lauterbach verweist auf Lindner
Der Bundesgesundheitsminister ist verpflichtet, Empfehlungen für eine stabile Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorzulegen. Festgeschrieben ist das im sogenannten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das von Bundestag und Bundesrat im vergangenen Oktober verabschiedet wurde. Dabei solle insbesondere auch die "Ausgabenseite der GKV" betrachtet werden, heißt es in dem Gesetz. Eine heikle Formulierung, denn sie könnte genau auf das hindeuten, was Lauterbach vermeiden will: dass weniger Leistungen von den Krankenkassen bezahlt werden.
Im Gesetz ist festgeschrieben, dass bis Ende Mai Empfehlungen vorliegen müssen, wie eine stabile Finanzierung der Krankenkassen in Zukunft aussehen soll. Auf dieses Datum hatte man sich auch mit Blick auf die Haushaltsplanungen der Kassen für das Jahr 2024 geeinigt.
Das Bundesgesundheitsministerium hält sich in Bezug auf die Empfehlungen bedeckt. Lauterbach rechtfertigt die Verzögerung und verweist auf den Bundesfinanzminister. Denn noch ringt die Bundesregierung um den Haushalt für kommendes Jahr. Die regierungsinternen Beratungen laufen, sagt Lauterbach. Immerhin sei eine "Frühprüfung" seiner Vorschläge im Gange.
Widerstand gegen Reformpläne
"Ich kenne noch keine Empfehlung", sagt Pfeiffer vom GKV-Spitzenverband. Bei den Krankenkassen ist deswegen eine gewisse Unruhe zu spüren. Das liegt auch am Zustand der Ampelregierung. Man sehe an verschiedenen Stellen, wie mühsam es sei, Gesetze auf den Weg zu bringen. Sie hoffe, dass bald Klarheit besteht, damit die Krankenkassen ihre Haushaltsplanungen angehen können.
Das aktuelle Gesetz sichert die Finanzen der Krankenkassen nur für dieses Jahr. Um Geld zu sparen, hatte Lauterbach im vergangenen Jahr damit wichtige Player im Gesundheitswesen vor den Kopf gestoßen: die Ärzteschaft sträubte sich gegen die Abschaffung der Neupatientenregelung, die eine bessere Vergütung bei Neuaufnahme von Patienten vorsah, die Apothekerschaft gegen die Erhöhung des Apothekenabschlags, den sie für jede Arzneimittelpackung an die Krankenkassen zahlen müssen und die Pharmaindustrie protestierte gegen einen erhöhten Herstellerrabatt insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel. Mittlerweile hat ein Pharmaunternehmen dagegen geklagt.
Die Krankenkassen fordern seit längerem strukturelle und dauerhafte Veränderungen, etwa dass der Bund die Beiträge von Bürgergeld-Beziehenden übernehmen müsste. Nach Berechnungen der Kassen könnten darüber jährlich etwa zehn Milliarden Euro an Beitragsgeldern eingespart werden. Das Geld müsste dann aber aus dem Bundeshaushalt kommen.
Die FDP setzt auf Sparen
Im Koalitionsvertrag hatten sich die Ampel-Parteien auf diese Maßnahme eigentlich geeinigt. Die FDP sieht jedoch kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem. Sprich, aus Sicht der Liberalen muss gespart werden. Paula Piechotta von den Grünen verweist darauf, dass das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich eines der teuersten ist. Ihr geht es darum, das Geld effektiver einzusetzen, damit Patientinnen und Patienten besser versorgt werden.
Schon jetzt ist klar: Angesichts klammer Haushaltslage hat Finanzminister Lindner weniger zu verteilen. Viele Gesetzesvorhaben auch aus dem Bundesgesundheitsministerium stehen deshalb in der Warteschleife. Die Verhandlungen über eine dauerhafte Stabilisierung der Krankenkassen dürften wohl schwierig werden.