Scholz bei Ost-Regierungschefs Was sich nicht weglächeln lässt
Das Treffen des Bundeskanzlers mit den ostdeutschen Länderchefs wird überschattet vom Zuspruch für AfD und Wagenknecht - gerade im Osten. Scholz sieht die Politik dennoch auf einem guten Weg. Ministerpräsident Haseloff bleibt nur eine Warnung.
Die Stimmung hängt tief in Wittenberg. Am Nachbargrundstück hat jemand eine Deutschlandfahne auf Halbmast gehängt. Auch die Ministerpräsidenten, die am Dienstagvormittag in ihren schwarzen Limousinen auf das Gelände der Leucorea gefahren kommen, hatten schon mal bessere Laune.
Die Ministerpräsidentenkonferenz-Ost wird überschattet von den Ergebnissen der Europa- und Kommunalwahlen. In allen fünf Flächenländern ist die AfD stärkste Kraft geworden, die Wagenknecht-Partei BSW kam auf Platz drei.
Populistische Kräfte wären damit vielerorts auf mehr als die Hälfte aller Stimmen gekommen, rechnet Gastgeber Reiner Haseloff vor. Der "Super-Gau" sei das. Er habe das förmlich körperlich gespürt, sagt Haseloff vor Journalisten.
An Luthers Wirkungsstätte
Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt erwartet hier in seiner Heimatstadt nicht nur die Amtskollegen aus dem Osten: Am Nachmittag wird Bundeskanzler Olaf Scholz zu der Runde dazustoßen. Haseloff hat sich was vorgenommen. Er will die eine Stunde mit dem Kanzler für eine Wahlnachlese nutzen.
Der Ort der Treffens ist historisch. Im Leucorea lehrten einst Luther und Melanchthon, bevor sie die Reformation lostraten. Der Anspruch heute liegt etwas niedriger. Aber Erkenntnisgewinn und ein Zeichen der Einsicht vom Kanzler, das erhofft sich nicht nur Haseloff. Michael Kretschmer, der CDU-Regierungschef aus Sachsen, nennt es ein "Wir haben verstanden".
Andere Länderchefs sind da vorsichtiger. Ja, sagt Manuela Schwesig, angesichts von Ampel-Streit, Heizungsgesetz und Agrardiesel sei der Wahltag ein "Ergebnis mit Ansage" gewesen. Der Kanzler aber habe schon viele schwierige Situationen gelöst. Und mit seiner Rentenpolitik tue er auch viel für Ostdeutsche. Und doch sei ein klares Zeichen von Nöten: "Wir brauchen mehr Vertrauen in Ostdeutschland und die aktive Politik", so die SPD-Politikerin Schwesig.
Wagenknechts Schatten
Eine, die auch nicht anwesend und doch dabei ist, ist Sahra Wagenknecht. Am Morgen ist der neue MDR-ThüringenTrend erschienen. Wäre heute Landtagswahl im Freistaat, das "Bündnis Sahra Wagenknecht" stünde bei 21 Prozent. Die CDU liegt mit 23 Prozent knapp vor ihr, die Linke mit elf Prozent weit abgeschlagen; die AfD bei 28 Prozent.
Unverständnis bei Haseloff und Ramelow. Immerhin erhält der linke Ministerpräsident in derselben Umfrage einen Zufriedenheitswert von satten 52 Prozent. Ramelow sagt, er werde jetzt immer sein "Kampfgrinsen" tragen.
Wagenknecht selbst sendet am Morgen Grüße aus Berlin. Die Unzufriedenheit der Ostdeutschen liege nicht nur an der Bundesregierung, sondern auch an den Ost-Ministerpräsidenten, sagt sie. Die Länderchefs hätten in den letzten Jahren "zu wenig rausgeholt und kaum unsinnige Dinge gestoppt, die aus Berlin kamen".
Scholz' nächste Krisensitzung
In Wittenberg beraten die Ministerpräsidenten zuerst allein über Netzentgelte, Krankenhausreform und Pflegereform. Nach der Mittagspause kommt dann Olaf Scholz mit dem Regierungshubschrauber angeflogen.
Haseloff macht ein paar Witze zur Begrüßung. Scholz lächelt eher professionell. Er hat in den letzten Tagen einige Krisensitzungen hinter sich gebracht - mit dem SPD-Parteivorstand, mit der Bundestagsfraktion. Kurskorrekturen hat er bei keiner Gelegenheit verkündet. Nur dass die Ampel besser zusammenarbeiten müsse. Aber das sagt der Kanzler schon seit einem Jahr.
Zusagen an die Länder
Um 16:40 Uhr treten Haseloff und Scholz vor die Presse. Dem Vernehmen nach soll Scholz es in der Beratung vermieden haben, ein Symbol zu setzen. Davon zeugt auch die Pressekonferenz.
Der Kanzler gibt den vielen ländlichen ostdeutschen Krankenhäusern bei der Krankenhausreform eine Art Bestandsgarantie. Diese seien nach bereits erfolgten Strukturreformen "sicher, soweit ich das beurteilen kann", sagt Scholz.
Er stellt sich hinter die Forderung, die Grenzkontrollen nach Polen und Tschechien beizubehalten. Scholz: "Wir werden das sicher noch eine Weile so fortführen müssen"
Er spricht von der Förderung der Chip-Industrie im Osten und von der "Hoffnung, die wir alle nicht verlieren dürfen".
Nur eine Kurskorrektur sagt Scholz an diesem Tag nicht zu. Den vielen Wählern etwa, die vor zwei Wochen für AfD und BSW und damit für eine grundsätzlich andere Ukraine-Politik stimmten, hält er entgegen: "Ich muss akzeptieren, dass wir da unterschiedlicher Meinung sind."
Kritik an der Ampel
Reiner Haseloff dankt Scholz zunächst für den Termin. Dann sagt er, Demokratie müsse nun "liefern". Gleich mehrfach wird er gefragt, was das konkret bedeute. Es arbeitet sichtbar im Ministerpräsidenten, aber er bleibt freundlich.
Die Ampel habe "noch Luft nach oben", so Haseloff. Seine Kritik will er jetzt als Analysen von Demoskopen und als Sorge um die eigenen Koalitionspartner verstanden wissen - in Magdeburg regiert er mit SPD und FDP.
Irgendwann sagt Haseloff: "Der Bundeskanzler als Person ist nicht das Problem." Da lächelt Scholz. Problematisch sei vielmehr eine grüne Blockade bei Migrationsregelungen wie der Anerkennung weiterer sicherer Herkunftsstaaten.
Dauerthema Migration
In Wolmirstedt, Sachsen-Anhalt, hatte am Freitag ein Afghane erst einen Landsmann und dann die Besucher einer Gartenparty mit einem Messer attackiert. Es gab einen Toten und mehrere Verletzte. Die Polizei erschoss den Täter. Das Motiv ist noch unklar.
"Sowas steckt in einem drin", sagt Haseloff über die Reaktion der Bevölkerung. Die Menschen begännen eine Abwägung zwischen den eigenen Sicherheitsinteressen und der Solidarität mit Anderen. "Wenn die denen das zutrauen, sind wir alle weg", sagt er dann. Mit "denen" sind offenbar die AfD und das BSW gemeint - mit "wir" die Parteien der demokratischen Mitte.
Zeigen könnte sich das bereits im September. Dann wählen Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landtage. Scholz gibt sich gelassener. Die richtigen Entscheidungen auch im Bereich Migration seien bereits getroffen, nur eben noch nicht "spürbar", sagt er. Ob das bis zu den Landtagswahlen der Fall sein wird, lässt er offen.