Treffen in Wittenberg Ost-Länderchefs fordern Kurskorrekturen vom Kanzler
Bundeskanzler Scholz trifft heute die Regierungschefs der ostdeutschen Länder. Der Schock der Europawahl sitzt noch tief. Einige Ministerpräsidenten fordern deshalb Kurskorrekturen vom Kanzler.
Selten schien ein Gastgeber schlechter gelaunt. Vor einem Treffen der Ost-Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler treibt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff die politische Stimmung im Land um. "Wir sind zutiefst getroffen und erschüttert", sagte der CDU-Politiker vergangene Woche vor Journalisten.
Bei der Europawahl war die AfD zuvor in allen ostdeutschen Flächenländern stärkste Kraft geworden. Die Wagenknecht-Partei BSW kam auf Platz drei. Auch bei den in mehreren Ländern parallel abgehaltenen Kommunalwahlen zeigte sich ein ähnliches Bild.
Die Politik könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, so Haseloff. Die Entwicklungen müssten "knallhart ernst genommen" werden. Für die heute in seiner Heimatstadt Wittenberg stattfindende Ministerpräsidentenkonferenz-Ost hat Haseloff deshalb auch eine Aussprache mit Olaf Scholz angekündigt.
Vor drei Landtagswahlen
Haseloff drängt vor allem auf Kurskorrekturen in der Energie- und Migrationspolitik. Damit steht er unter den Ost-Länderchefs nicht allein da. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer setzt dieselben Schwerpunkte. Gegenüber der Sächsischen Zeitung nannte der CDU-Politiker die Wahlergebnisse "Hilferufe aus der Bevölkerung".
Dem Kanzler warf Kretschmer vor, sich nach der Europawahl "weggeduckt" zu haben. Um die Zustimmung für die AfD zu reduzieren, brauche es nun ein "Ja, wir haben verstanden" aus Berlin, so Kretschmer.
Für Kretschmer ist der Leidensdruck größer: In Sachsen stehen wie in Brandenburg und Thüringen im September Landtagswahlen an. Die Mehrheiten für die regierenden Koalitionen wackeln.
Warnung vor wachsender Kluft
Auch die Regierungschefs von Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg zeigten sich besorgt. Bodo Ramelow warnte aus Erfurt davor, nun die Kluft zwischen Ost und West zu vergrößern. "Die emotionale Einheit geht zunehmend krachen", sagte der Linken-Politiker den den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
Manuela Schwesig sagte dem NDR-Nordmagazin, sie spüre schon lange in Mecklenburg-Vorpommern eine "schlechte Stimmung gegenüber den Ampel-Parteien". Die SPD-Politikerin vermied allerdings klare Ansagen gegenüber dem Bund.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sah nach den Wahlen vor allem ein Kommunikationsdefizit der Politik im Allgemeinen. Die Bürger suchten "Antworten, die wir offensichtlich nicht gut genug gegeben haben", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. Er verwies ebenfalls auf die Migration. Auch in der Wirtschaftspolitik sei "noch viel Luft nach oben", so Woidke.
Knackpunkt Krankenhausreform
Auf der Tagesordnung für Wittenberg steht bereits das nächste Reizthema: die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Laut Reiner Haseloff kann das vom Kabinett verabschiedete Gesetz "so nicht bleiben". Die bisherige Fassung würde Standorte gerade im ländlichen Raum gefährden. Für Länder wie Sachsen-Anhalt ist die Frage existentiell. Denn weitere Standortschließungen würden die politische Situation im Osten verschärfen, warnte Haseloff.
Manuela Schwesig, derzeit auch Bundesratspräsidentin, sieht es weniger drastisch. Ihr Versprechen aus dem Sommer, dass sämtliche Krankenhausstandorte in Mecklenburg-Vorpommern die Reform überleben würden, gelte weiterhin, so die Schweriner Staatskanzlei. Bei der künftigen Verteilung von Aufgaben bestehe jedoch noch Optimierungsbedarf.
Die Länder wollen zudem Erleichterungen erreichen, um mehr ausgebildete Mediziner vor Ort halten zu können. Eine Reform der Pflegeversicherung, Nachbesserungen bei den Renten für Opfer der SED-Diktatur und eine erneute Debatte über die Netzentgelte stehen ebenfalls auf der Agenda.
Große MPK zwei Tage später
Olaf Scholz wird bei dem Treffen vom Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), und Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) begleitet. Schneider sagte tagesschau.de, es brauche "kluge Politik, die ein langfristiges Wachstum für Ostdeutschland fördert". Daran würden Bund und Länder gemeinsam arbeiten.
Er verwies auf die Förderung der Kohleregionen. Erst am Donnerstag hatten Bund und Kohle-Länder beschlossen, die Milliardenhilfen für den Strukturwandel künftig flexibler einsetzen zu können. Davon profitieren Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Entscheidend für eine positive Entwicklung seien zudem eine "ausreichende gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum" und ein "Klima der Offenheit vor Ort", so Schneider. Die Regionen seien auf den Zuzug für Fachkräfte angewiesen.
Für die Beratung von Kanzler und Länderchefs ist etwas mehr als eine Stunde vorgesehen. Scholz trifft sich bereits am Donnerstag wieder mit den Ministerpräsidenten. Dann steht eine große Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin an. Die zeitliche Nähe sei dem Terminkalender des Kanzlers geschuldet, heißt es.
Mit Material der dpa