Energieversorgung ohne Russland Ist Gas aus Algerien die Antwort?
Algerien ist der zehntgrößte Gasproduzent weltweit. Ist algerisches Gas die Antwort auf Deutschlands Probleme mit der Energieabhängigkeit von Russland?
Ist Afrikas größter Flächenstaat die Antwort auf Europas Energiesorgen? Das Potenzial ist da - Erdgas aus Algeriens Wüste. Das Land ist der zehntgrößte Gasproduzent der Welt. Auf mehr als vier Billionen Kubikmeter würden die Vorkommen geschätzt, erklärt der algerische Energieexperte Mourad Preure dem ARD-Studio Madrid. "Algerien hat ein sehr großes Potenzial, vor allem bei dem nicht konventionellen Erdgas - beim Fracking. Da verfügen wir mit 20.000 Milliarden Kubikmeter über die drittgrößte Reserve weltweit."
"Elektro-Batterie unter freiem Himmel"
Und nicht nur mit Gas könne Algerien Deutschlands Energieversorgung diversifizieren, sagt Preure. "Algerien ist eine Gasquelle, aber auch eine Solarbatterie unter freiem Himmel", so der Energieexperte. So habe Algerien außergewöhnlich viel Sonnenschein: 3500 Sonnenstunden pro Jahr auf 86 Prozent des Staatsgebietes im Süden, 1650 Stunden im Norden. "Zur Erinnerung: Frankreich hat zwischen 1100 und 1400 Stunden pro Jahr Sonnenschein. Algerien ist also eine Open-Air-Elektro-Batterie und kann daher für deutsche Unternehmen in Sachen erneuerbare Energien attraktiv sein", so Preure.
Auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte Algerien mehrmals. Ein Ziel: bessere Handelsbeziehungen und Erdgasexporte. Doch zu einem konkreten Abschluss kam es nie. Dabei versorgt das algerische Gas zurzeit schon einige südeuropäische Länder wie Portugal, Spanien und Italien.
Regime ein fragwürdiger Wirtschaftspartner
Allerdings wäre auch Algerien kein unkritischer Lieferant: Das algerische Regime steht seit Jahren am Pranger - die Massenprotestbewegung Hirak ging in den vergangen Jahren gegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen auf die Straße; das Regime antwortete mit Repressionen und Verhaftungen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht aktuell von 280 Gefangenen, die mehrheitlich wegen ihrer Nähe zur Protestbewegung festgesetzt worden seien.
Deswegen sehen viele in Algerien neue Gas-Deals mit Europa auch kritisch, so wie dieser Hirak-Aktivist, der anonym bleiben möchte. Er sagt, das korrupte Regime nutze die Gewinne aus dem Gas nur für eigene Zwecke. "Ideal wäre es, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und dieses Geld in die Modernisierung des Landes zu stecken", sagt der Aktivist. "Wir haben eine völlig veraltete Wirtschaft. Logischerweise müssten die Behörden in die Modernisierung investieren." Idealerweise sollte dann dieses Geld in den Aufbau demokratischer Institutionen fließen, in die Modernisierung der Gesellschaft, die Schulen, Universitäten, in die Infrastruktur, fordert der Hirak-Aktivist.
Algeriens Regime stützt sich auf den Verkauf von Öl und vor allem Erdgas und ist stark abhängig vom schwarzen Gold - die Wirtschaft ist wenig diversifiziert. Mit den Erlösen aus den enormen Öl- und Gasvorkommen des Landes konnte sich Algeriens Machtelite mit üppigen Subventionen für Lebensmittel, Wohnungen und Benzin sozialen Frieden erkaufen - doch das ist so langsam vorbei.
Wie zuverlässig wären Lieferungen aus Algerien?
Kurzfristig sei eine Kapazitätssteigerung der algerischen Gasproduktion schwierig, weil Gas vor allem für den Eigenbedarf gebraucht werde, aber langfristig sehe das anders aus. "Im aktuellen Zustand glaube ich nicht, dass wir schnell reagieren und russisches Gas ersetzen können", sagt Energieexperte Boukrif. Andererseits bestehe mittelfristig in vier oder fünf Jahren die Möglichkeit, dass Algerien mehr Marktanteile in Europa habe.
"Algerien ist ein sehr zuverlässiger Partner, ein Partner, der seine Verpflichtungen stets eingehalten hat", betont Boukrif. "Daher denke ich, dass algerisches Gas in den kommenden Jahren einen zentralen Platz in der Versorgung Europas einnehmen kann, da wir im Gegensatz zu anderen Ländern keine geopolitischen Probleme haben."
Was nicht ganz richtig ist, denn Algerien steckt zurzeit in einer diplomatische Eiszeit mit dem Nachbarland Marokko. Nicht nur die diplomatischen Beziehungen sind gekappt und die Grenzen dicht, die algerische Regierung drehte auch den Gashahn zu: Die 1400 Kilometer lange Pipeline Maghreb-Europa, durch die Erdgas von Algerien über marokkanisches Gebiet nach Spanien geführt wird, ist gesperrt. Das trifft Marokko - das betrifft aber auch Spanien, das knapp die Hälfte seines Erdgasbedarfs aus Algerien bezieht. Das algerische Regime versichert aber, es bleibe verlässlicher Lieferant - über eine andere Pipeline durch das Mittelmeer Richtung Europa.