Weiterer Mobilfunk-Netzbetreiber 1&1 startet sein Mini-Handynetz
Der 5G-Ausbau kommt voran. 1&1 will als vierter Anbieter mehr Wettbewerb in den Markt bringen. Doch trotz des heutigen Netz-Starts steht das Unternehmen mit seiner Infrastruktur noch ganz am Anfang.
Eigentum verpflichtet, das trifft auf die Inhaber von Mobilfunkfrequenzen ganz besonders zu. Mit dem Erwerb von 5G-Lizenzen haben sich die vier erfolgreichen Bieter - Telefónica, Telekom, Vodafone und 1&1 - verpflichtet, den flächendeckenden Ausbau ihrer Netze in vorgegebenen Zeiten zu realisieren. Dieser Verpflichtung sind alle Anbieter aus verschiedenen Gründen nicht nachgekommen und wurden von der Bundesnetzagentur dafür gerügt.
Bei den drei etablierten Netzbetreibern ging es etwa um den Ausbau im ländlichen Raum oder in Tunneln. 1&1 dagegen hat das erste Zwischenziel, 1.000 Antennenstandorte bis Ende 2022 zu realisieren, "krachend verfehlt", wie Konzernchef Ralph Dommermuth einräumt. Deshalb hat die Netzagentur ein Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen gestartet, das derzeit noch läuft. 1&1 konnte zu den Vorwürfen Stellung nehmen, die Stellungnahme wird derzeit geprüft - erst dann wird entschieden.
Es geht um eine Strafe von bis zu 50 Millionen Euro, die Dommermuth gerne abwenden würde. Sein Sprecher Robin Schmidt äußert sich auf Nachfrage optimistisch, da der Ausbau mittlerweile deutlich vorangekommen sei: "Heute sehen wir spürbare Fortschritte, da die Verträge mit unseren Ausbaupartnern nachverhandelt und Prozesse insgesamt optimiert wurden. Unsere langfristigen Ausbauziele wollen wir weiterhin erreichen."
Kartellamt prüft Behinderung
Einer der angesprochenen Ausbaupartner ist die Firma Vantage Towers, eine Tochter von Vodafone, die wiederum Konkurrent von 1&1 im Mobilfunkgeschäft ist. Die Schuld am Verfehlen der Auflagen gibt Schmidt Vantage Towers: "Das Ziel hat 1&1 aufgrund des nahezu vollständigen und unerwarteten Ausfalls seines Hauptlieferanten Vantage Towers verfehlt und holt nun auf." Das Bußgeldverfahren muss die Frage klären, wer für den vereinbarten, aber nicht erfolgten Ausbau verantwortlich ist.
1&1 hat entschieden, sich eine bedeutende neutrale Meinung einzuholen, und hat das Bundeskartellamt eingeschaltet. Schmidt sagt dazu: "Nachdem unser Hauptlieferant final bekannt gegeben hat, seine vertraglichen Ausbauziele nahezu vollständig zu verfehlen, haben wir das Kartellamt ersucht zu prüfen, ob hier womöglich eine Behinderung seitens unseres Lieferanten vorliegen könnte. Das Bundeskartellamt ist dem nachgekommen und wird nun für Klarheit und Transparenz sorgen."
Netzstart ohne Netz
Für die etwa zwölf Millionen 1&1-Kunden wird sich erstmal überhaupt nichts ändern dadurch, dass der virtuelle Mobilfunkanbieter aus Montabaur in Rheinland-Pfalz heute vom Minister für Digitales, Volker Wissing (FDP), den Knopf für den Start seines 5G-Netzes drücken ließ. Nur einige wenige Kunden sind nach Wissings Knopfdruck tatsächlich im Netz von 1&1, denn es gibt ja erst an wenigen Standorten eigene Antennen.
Dennoch können alle Kunden, die einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen haben, 5G nutzen - wie schon seit längerem: Durch vertragliche Vereinbarungen mit der Bundesnetzagentur und den anderen Mobilfunkanbietern, zunächst Telefónica, von Sommer an dann Vodafone, darf 1&1 mindestens 30 Prozent der Kapazität der Netze anderer Anbieter nutzen, auch 5G. Deshalb bezeichnen Fachleute 1&1 als virtuellen Mobilfunknetzanbieter oder MVNO (Mobile Virtual Network Operator). Das eigene Netz wird noch viele Jahre lang aufgebaut. Bis 2030 will das Unternehmen die Hälfte des Landes abdecken, zuerst Ballungsgebiete.
5G erlaubt viele intelligente Lösungen
Was sich allerdings nach und nach immer stärker bemerkbar machen wird, ist die Leistungsfähigkeit von 5G, die im Alltag viele neue Anwendungen zulässt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nennt schnelleres mobiles Internet, bessere Netzstabilität bei Großveranstaltungen, Augmented Reality (Ergänzung der Realität durch virtuelle Informationen in Echtzeit), Smart Cities, selbststeuernden Verkehr und Smart-Home-Technik in Echtzeit.
Sicherheitsaspekte sollen im neuen Netz grundlegend verbessert werden. Dazu das BSI: "Auf diese Weise bietet sich die Gelegenheit, ein deutlich zuverlässigeres, belastbareres und sichereres Netz aufzubauen. Die International Mobile Subscriber Identity (IMSI), die Kennung eines Teilnehmers, wird ab 5G verschlüsselt übertragen. Die nicht mehr offene Übertragung bietet einen erhöhten Schutz der Daten, denn das Abhören durch einen herkömmlichen IMSI-Catcher durch Cyberkriminelle ist nicht mehr möglich."
Auch beim Roaming in ausländischen Netzen sollen Daten und Inhalte besser geschützt sein. Das gilt natürlich nur, solange der Kunde sich im 5G und nicht in einem der Vorgängernetze aufhält. Es hat auch keinen Einfluss auf unsichere Apps und Dienste, die ihrerseits Daten nicht ausreichend schützen.
"Open RAN" - die Zukunft im Mobilfunk?
Nicht nur Bundesminister Wissing war der 1&1-Netzstart heute eine Reise nach Montabaur wert, auch der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida schickte eine Grußbotschaft und sprach von einem Meilenstein in der Zusammenarbeit zwischen Japan und Deutschland. Grund dafür ist der Deal zwischen 1&1 und der japanischen Firma Rakuten, dessen Chef auch nach Montabaur gekommen ist: Hiroshi Mikitani ist als Gründer und CEO des japanischen Technologiekonzerns Rakuten zum Milliardär geworden. Er möchte nicht weniger, als den Mobilfunkmarkt mit dem "Open-RAN"-Standard völlig neu aufstellen, was hieße, die wenigen marktmächtigen Mobilfunkausrüster zu entmachten und Mobilfunk billiger werden zu lassen.
1&1 setzt als einziger der vier deutschen Anbieter komplett auf "Open RAN" und hat mit Mikitani einen Vertrag für die Ausrüstung seines Netzes abgeschlossen. Ganz nebenbei hält er damit den chinesischen Huawei-Konzern außen vor, dessen Aktivitäten für den chinesischen Staatsapparat ungeklärt sind.
Damit ist Dommermuth für Mikitani ein willkommener Großkunde, weil einer der ersten; umgekehrt Mikitani mit seinen Erfahrungen und in Japan bereits durchgemachten Kinderkrankheiten in Sachen "Open RAN" für Dommermuth der nützliche Experte für sein "modernstes Handynetz Deutschlands". Damit hatte 1&1 bereits Werbung gemacht und darf es jetzt laut Landgericht Koblenz auch weiterhin tun. Die Deutsche Telekom hatte gegen den Slogan geklagt und war im März unterlegen.
Idee eines offenen Funknetzes
Die "Open-RAN"-Technologie steht für "Open Radio Access Network" und damit für das Konzept eines offenen Funkzugangsnetzes. Im Gegensatz zu anderen Netzen, bei denen häufig alle Komponenten von einem einzigen Anbieter wie Huawei oder Ericsson bereitgestellt werden, werden in "Open RAN" verschiedene Hersteller am Markt miteinander kombiniert.
Jede neue Netzgeneration wie LTE, UMTS oder eben 5G war für die Betreiber neben Lizenzkosten für die Funkfrequenzen auch mit hohen Investitionen in die Infrastruktur verbunden. Wenige Netzausrüster diktierten die Preise. Wenn Netzbetreiber Soft- und Hardware verschiedener Anbieter über standardisierte Schnittstellen verbinden können, stärkt das ihre Verhandlungsposition. 1&1 rechnet deshalb mit sinkenden Preisen und schnelleren Innovationen.
Mit Sicherheit in die Zukunft?
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Deutsche Telekom, die noch mit rund zwei Dritteln Huawei-Komponenten arbeitet, mit "Open RAN" bei ersten Feldversuchen im vergangenen Jahr schlechte Erfahrung gemacht hat und einen flächendeckenden Einsatz der Technologie eher in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sieht. Probleme seien sowohl bei der Energieeffizienz der Systeme, dem Zusammenspiel der Komponenten als auch in der Funktionalität der Antennen aufgetreten. Der "WirtschaftsWoche" sagte Telekom Deutschland Chef Srini Gopalan Ende 2022: "Wir bekennen uns voll zu Open RAN. Und wir installieren es nächstes Jahr an unseren Funktürmen. Aber es ist ganz klar noch nicht fertig."
Vor allem Anbieter und Ausrüster der herkömmlichen Technik warnen auch vor Sicherheitslücken wegen der offenen Schnittstellen bei "Open RAN". Deren erfolgreichem Business-Modell würde "Open RAN" zuwiderlaufen. Stefan Katzenbeisser, Inhaber des Lehrstuhls für Technische Informatik an der Universität Passau, sieht hingegen keine Sicherheitslücken bei "Open RAN": "Die Systeme sind auf keinen Fall weniger sicher als bestehende Systeme. Offene Schnittstellen werden mit Verschlüsselungsverfahren geschützt."
Er sieht darin die Zukunft des Mobilfunks: "In der Zukunft werden die Provider kooperieren müssen, um die enormen Investitionskosten beim Aufbau neuer Netze zu drücken. 'Open RAN' bietet hier geeignete Schnittstellen nicht nur innerhalb der Netze, sondern auch zwischen den Anbietern. Spätestens wenn nach 2030 möglicherweise 6G kommt, werden solche Kooperationen wohl unumgänglich werden."