Vor Innenministerkonferenz Kein Bürgergeld mehr für Ukrainer?
Derzeit tagen die Innenminister - ein Thema ist Migration. Schon vorab begann wieder die Debatte, ob Ukrainer Bürgergeld beziehen sollen. Wie viel Geld gibt die Bundesregierung für die Ukraine-Hilfe aus und was ist der rechtliche Rahmen?
Dass vor dem Krieg geflüchtete Menschen aus der Ukraine in Deutschland Sozialleistungen erhalten, geht auch auf Europarecht zurück. Konkrete Vorgaben, wie viel Geld es geben muss, macht die EU aber nicht.
In Deutschland erhalten Ukrainerinnen und Ukrainer seit Juni 2022 Arbeitslosengeld beziehungsweise Bürgergeld. Daran wollen einige Politikerinnen und Politiker schon länger rütteln.
Welche EU-Regeln gelten für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge?
Am 4. März 2022, also kurz nach dem Überfall Russlands, aktivierte die Europäische Union durch einen Ratsbeschluss die sogenannte "Massenzustrom-Richtlinie" für Flüchtlinge aus der Ukraine.
Ziel dieser EU-Vorschrift ist es, "Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes" festzulegen und zwar "im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen aus Drittländern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können".
Außerdem soll mit diesem Regelwerk innerhalb der EU "eine ausgewogene Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind", gefördert werden.
Es handelt sich also, vereinfacht gesagt, um ein spezielles Flüchtlingsrecht für besondere Krisensituationen. Geschaffen wurde die Richtlinie schon 2001, nach dem Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat dann dafür gesorgt, dass die EU sie erstmals aktiviert hat.
Was sieht diese Richtlinie vor?
Die Richtlinie bestimmt unter anderem, dass Flüchtlinge, die unter diese Regelung fallen, vorübergehenden Schutz in den Ländern der EU bekommen.
Während dieser Zeit muss auch der Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohnraum und zu medizinischer Versorgung gewährt werden. Sofern die Flüchtlinge, die unter die Massenzustrom-Richtlinie fallen, kein eigenes Geld verdienen, müssen ihnen auch Sozialleistungen gezahlt werden.
Wie genau diese Sozialleistungen ausgestaltet sein müssen und wie hoch, legt die Massenzustrom-Richtlinie nicht fest. Insoweit haben die einzelnen Mitgliedsstaaten also eigenen Spielraum.
Wie lange gilt der Schutz?
Der Schutz aus der EU-Richtlinie ist zunächst auf ein Jahr beschränkt, wobei eine automatische Verlängerung um zweimal sechs Monate erfolgt, wenn die Krisensituation, konkret also der Angriffskrieg Russlands, weiter fortbesteht.
Auch nach diesen insgesamt zwei Jahren kann die EU aber durch Ratsbeschluss die Anwendung der Massenzustrom-Richtlinie um ein weiteres Jahr verlängern. Das hat die EU bis März 2025 getan.
Wie setzt Deutschland die Richtlinie um?
In Deutschland gab es für Flüchtlinge aus der Ukraine zunächst Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses regelt die Versorgung von Asylbewerbern in Deutschland.
Im Juni 2022 wurde das allerdings geändert, die Sozialleistungen für Ukrainerinnen und Ukrainer wurden seitdem nach dem Sozialgesetzbuch bemessen. Eine politische Entscheidung, die seinerzeit unter dem Begriff "Rechtskreiswechsel" getroffen wurde. Konkret hieß das: Wer aufgrund der Massenzustrom-Richtlinie hier vorübergehenden Schutz erhielt, konnte fortan Arbeitslosengeld II (oder auch "Hartz IV") beantragen.
Durch die große Sozialreform wurde Hartz IV dann ab 2023 durch das Bürgergeld ersetzt. Mit der Folge, dass auch die Sozialleistungen, die die Massenzustrom-Richtlinie vorsieht, in Deutschland seitdem im Bürgergeld bestehen.
Für Alleinstehende bedeutet das einen monatlichen Betrag von 563 Euro. Für Eheleute gibt es jeweils 506 Euro. Dazu kommt noch das Geld für die Wohnung und möglicherweise auch noch unterschiedliche Mehrbedarfe, etwa für Schulmittel.
Diese Leistungen übersteigen das, was Asylbewerber aufgrund des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten. Im europäischen Vergleich bewegt sich Deutschland damit etwa im Mittelfeld.
Warum zahlt Deutschland Bürgergeld für Ukrainer?
Die grundsätzliche Entscheidung, Ukrainern und Ukrainerinnen in Deutschland das Bürgergeld zu zahlen, anstatt den geringeren Betrag nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, war politisch gewollt, nicht rechtlich zwingend.
Begründet wurde dies 2022 auch damit, dass Ukrainerinnen und Ukrainer anders als Asylbewerber direkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und das Bürgergeld als Nachfolge von ALG II eben auch von den Jobcentern verwaltet wird.
Sollte die politische Mehrheit hier wieder eine Kehrtwende vollziehen wollen, wäre das demzufolge europarechtlich wohl möglich. Die EU gewährt den Mitgliedsstaaten diesen Spielraum.
Könnte man Ukrainern die Sozialleistungen vollständig streichen?
Nein. Die Massenzustrom-Richtlinie fordert ausdrücklich, dass Sozialleistungen gewährt werden. Aber selbst ohne die EU-rechtlichen Vorgaben wäre es in Deutschland nicht möglich, die Leistungen allzu niedrig oder gar auf Null zu setzen.
Das ergibt sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes. Das dort verankerte Menschenwürdeprinzip gilt für alle Menschen, also ausdrücklich auch für Flüchtlinge. Eine ersatzlose Streichung von Sozialleistungen würde das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzen. Danach muss der Staat dafür Sorge tragen, dass den Menschen mindestens die Mittel zur Verfügung stehen, die sie für ein menschenwürdiges Dasein unbedingt brauchen.
Bei der Bestimmung des Existenzminimums steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Es gibt aber die Vorgabe, dass die Leistungen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden müssen. Migrationspolitische Erwägungen könnten von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das Existenzminimum rechtfertigen, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
Es geht also nicht, Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um so Anreize für Migration zu vermeiden. "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren", heißt es in der Entscheidung.
Deutschland muss also schon mit seinen eigenen Gesetzen diesen Anforderungen gerecht werden. Darunter dürfen die Leistungen für alle Flüchtlinge, also auch für diejenigen aus der Ukraine, nicht zurückfallen.
Ist Bürgergeld der falsche Anreiz für Ukrainer?
Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Der deutsche Landkreistag findet die Regelung gegenüber Geflüchteten aus anderen Ländern ungerecht. Und die FDP sagt, dass ukrainische Geflüchtete wegen des Bürgergelds nicht genug Anreiz hätten, sich hier Arbeit zu suchen. Das wird häufig am Bürgergeld kritisiert, auch von der Union.
Der Unterschied zwischen Asylbewerberleistungen und Bürgergeld ist allerdings gar nicht so hoch. Bei einer alleinstehenden Person zum Beispiel beträgt die Differenz bei 103 Euro pro Monat. Ob der Anreiz dann höher wäre, arbeiten zu gehen, ist fraglich. Außerdem sind viele der ukrainischen Geflüchteten Frauen, oft mit kleinen Kindern, die gar nicht arbeiten gehen können.
Eine Umstellung würde viel Bürokratieaufwand bedeuten, der für die Länder und Kommunen kaum stemmbar wäre. Ein Sprecher der Bundesregierung hat bereits gesagt, dass die Regierung an der bisherigen Bürgergeld-Regelung für ukrainische Geflüchtete festhalten will.
Wie viel kostet Deutschland die Ukraine-Hilfe insgesamt?
Rund 53 Milliarden Euro hat die Bundesregierung seit Beginn des russischen Angriffskriegs bezahlt. Die Summe setzt sich zusammen aus rund 34 Milliarden, die für die Ukraine oder für ukrainische Geflüchtete in Deutschland ausgegeben wurden, und aus Hilfen der EU, an denen sich Deutschland nach Angaben des Kieler Instituts für Wirtschaftsforschung (IfW) auch mit rund 19 Milliarden Euro beteiligt hat.
Hinzu kommen Leistungen der Länder und Kommunen, beispielsweise für die Unterbringung und Integration von Geflüchteten. Deutschland ist damit nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Im Vergleich zu anderen Ländern, die die Ukraine unterstützen, ist die deutsche Wirtschaftskraft aber auch sehr stark.
Wofür wird das Geld ausgegeben?
Jedes Ministerium finanziert einen Teil der Ukraine-Hilfe - manche mehr, manche weniger. Das hängt auch mit den Zuständigkeiten zusammen. Damit werden unter anderem Hilfstransporte, die Reparatur von zerstörten Straßen und Infrastruktur und die Ausbildung und Ausrüstung von ukrainischen Soldaten bezahlt. Teilweise finanziert der Bund finanziert auch die Hilfe für die Geflüchteten, die hier in Deutschland ankommen.
Wofür gibt die Bundesregierung am meisten Geld aus?
Die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten. Eigentlich ist mit 28 Milliarden am meisten für Militärhilfe eingeplant. Aber nicht alles wurde schon gezahlt. Denn die Bundesregierung hat sich auch schon für die kommenden Jahre verpflichtet, die Ukraine mit Waffen und Geld militärisch zu unterstützen. Ein Teil dieser Verpflichtungen wurde schon bezahlt, vieles zahlt die Bundesregierung aber erst in den kommenden Jahren.
Wenn man sich also nur den aktuellen Stand der bisher schon bezahlten Hilfen anguckt, dann hat die Bundesregierung bisher wohl am meisten für das Bürgergeld gezahlt, das Geflüchtete aus der Ukraine bekommen. Das waren etwa 11 Milliarden Euro.