DGB-Chefin Fahimi zu Löhnen und Streiks "Die Forderungen sind angemessen"
Die aktuellen Tarifrunden sind gezeichnet von verhärteten Fronten und einer Welle von Warnstreiks. Woran das liegt und wieso eine Demokratie das aushalten muss, erklärt DGB-Chefin Fahimi im Interview.
tagesschau.de: Frau Fahimi, das war eine ziemlich bittere Woche für die Angestellten des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof. Mal wieder, muss man sagen - Dutzende Filialen sollen geschlossen werden, Tausende Mitarbeitende ihre Jobs verlieren. Wer trägt am Ende die Schuld daran?
Yasmin Fahimi: Die Wahrheit ist, dass der Mann, der dahintersteht, René Benko, nichts anderes als ein Immobilienspekulant ist, der an den eigentlichen Warenhausgeschäften gar kein Interesse hat. Und der auch nicht bereit war, sein Versprechen einzuhalten, die Häuser zu modernisieren. Das alles vor dem Hintergrund, dass der Staat im Jahr 2021 schon geholfen hat mit 460 Millionen Euro. Das macht deutlich, dass wir Staatshilfen noch viel enger an Konditionen knüpfen müssen, wenn sie denn dann fließen.
tagesschau.de: Sehen Sie nicht auch bei der Politik oder den Kommunen eine gewisse Mitverantwortung für das Desaster, weil sie auch immer mitgespielt haben - aus Angst, dass die Innenstädte veröden?
Fahimi: Es gibt eben immer wieder ein großes Bemühen der Politik, das Leben in den Innenstädten aufrechtzuerhalten, die Beschäftigung zu sichern. Das sind erstmal richtige und nachvollziehbare Ziele. Wenn man auf der anderen Seite des Tisches allerdings einen Partner hat, der das Spiel am Ende nicht mitspielt, der seine Versprechen und seine Zusagen nicht einhält, dann merkt man, dass es eben auch leider solche Fälle gibt, aus denen man lernt, dass man verbindlichere Verabredungen treffen muss.
tagesschau.de: Hätte man das in diesem Fall deutlich früher tun müssen?
Fahimi: Das ist im Nachhinein schwer zu sagen, denn in der damaligen Situation kam natürlich vieles zusammen. Die Kette war schon in der Krise, sie ist ja schon mit roten Zahlen in die Pandemiephase gegangen. Das ist ja nicht allein der Pandemie geschuldet gewesen. Und mitten in der Pandemie eine Entscheidung zu treffen, dass man einfach viele Filialen schließen lässt und Tausende von Beschäftigten auf die Straße setzt, das wäre, glaube ich, auch ein falsches Signal gewesen.
tagesschau.de: Die Gewerkschaft ver.di hat auch angekündigt, um jede Filiale weiter zu kämpfen - ist aber nicht vielleicht auch langsam der Punkt gekommen, an dem man sagen muss, dass ein "Weiter so" in diesem Rahmen vielleicht gar nichts bringt?
Fahimi: Ver.di ist schon hochalarmiert mit Blick darauf, was sie eigentlich überhaupt noch an verlässlichen Zusagen bekommen kann. Aber deswegen bleibt es natürlich richtig, um jede Filiale auch zu kämpfen, weil es um Arbeitsplätze geht.
Forderung nach kürzeren Laufzeiten "nachvollziehbar"
tagesschau.de: Ihre Gewerkschaften führen gerade eine Reihe von Tarifverhandlungen, die alle eher schwierig werden dürften - auch weil Sie sehr hohe Forderungen stellen, um die Inflation für die Beschäftigten auszugleichen: 10,5 Prozent im Öffentlichen Dienst, zwölf Prozent bei der Bahn - ist das noch realistisch?
Fahimi: Sie sind notwendig. Und wie man beim Abschluss der Post gesehen hat, sind sie ganz und gar nicht unrealistisch. Wir müssen ja sehen, dass es sowohl einen Nachholbedarf aus dem Jahr 2022 mit einem Inflationsrekord gibt, als auch eine vorausschauende Perspektive, denn in diesem Jahr wird die Inflation ja auch nicht gerade wieder auf zwei, drei Prozent fallen. Und wenn man das zusammenrechnet, dann ist das ausgesprochen angemessen.
tagesschau.de: Wie langfristig sind denn die aktuellen Verhandlungen angelegt? Alle nur für zwölf Monate? Dann würden uns in einem Jahr ja vielleicht die nächsten Streiks drohen?
Fahimi: Das ist Sache der Tarifvertragsparteien, dazu kann ich wenig sagen. Ich glaube allerdings, dass die grundsätzliche Haltung, eher keine Tarifverträge mit sehr langen Laufzeiten machen zu wollen, nachvollziehbar ist. Denn keiner kann absehen, was in diesem oder eben vor allem auch im nächsten Jahr passiert. Insofern wären eigentlich alle gut beraten, wenn man jetzt einen vernünftigen und soliden Abschluss macht und dann sich die Lage im nächsten Jahr wieder anschaut.
"Das geht an die Wurzeln der Demokratie"
tagesschau.de: Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, die EVG, hat das erste Angebot der Bahn diese Woche ja schon zurückgewiesen. Und man hört auch, dass sie am 27. März zusammen mit ver.di möglicherweise den Verkehr in Deutschland weitgehend lahmlegen könnte. Wird es tatsächlich so weit kommen?
Fahimi: Das werden wir sehen. Erst mal sind das voneinander getrennte Tarifverhandlungen, aber sie fallen zeitlich halt eben in ähnliche Fenster. Insofern ist das natürlich nicht ausgeschlossen. Das Angebot der Bahn ist wirklich nicht annehmbar. Über einen so langen Zeitraum, erst Ende des Jahres drei Prozent und im nächsten Jahr noch mal zwei Prozent anzubieten - das ist wirklich schon fast ein Hohn.
tagesschau.de: Aber halten Sie es tatsächlich auch für verhältnismäßig, dass dann tatsächlich der Verkehrssektor komplett bestreikt werden könnte?
Fahimi: Darauf müssen sich alle einstellen. In der Demokratie muss man damit leben, dass es eben auch zu Streik kommt. Das ist ein Grundprinzip, eine Grundlage unserer Demokratie. Wir haben in Deutschland ohnehin ein sehr eingeschränktes Streikrecht. Anders als beispielsweise gerade in Frankreich könnten wir keine politischen Streiks wegen einer Rentenreform der Bundesregierung durchführen. Und insofern muss man damit leben. Ich kann auch nur davon abraten, zu spekulieren, ob man das Streikrecht nicht in Deutschland einschränken müsste.
tagesschau.de: Sie spielen auf entsprechende Forderungen der Arbeitgeberverbände an. Die kritisieren, die Gewerkschaften hätten Maß und Mitte verloren angesichts der gehäuften Warnstreiks der letzten Wochen.
Fahimi: Wir müssen im Moment aktuell leider mehr Druck aufbauen, weil es einfach um sehr viel geht. Dass wir mit gefühlt relativ vielen Warnstreiktagen zu tun haben, liegt einfach daran, dass jetzt eben zufällig viele Tarifverhandlungen zusammenfallen aus ganz verschiedenen Branchen. Das ist so. In Summe ist Deutschland aber ein Niedrigstreikland. Es wird bei uns im europäischen, internationalen Vergleich extrem wenig gestreikt. Insofern ist es der Versuch, Stimmung zu machen gegen das Streikrecht, was ich wirklich hochproblematisch finde. Denn man bewegt sich damit auf ein sehr gefährliches Territorium, wo es um Staatsbürgerrechte geht und daran jetzt mal so bisschen herum zu philosophieren, ob man da nicht was einschränken müsste, geht an die Wurzeln unserer Demokratie. Und es wird auch eine entsprechende Antwort darauf geben.
tagesschau.de: Wie könnte die ausfallen?
Fahimi: Sollte jemand tatsächlich ernsthaft auf die Idee kommen, an das Streikrecht zu gehen, dann wird es uns sicherlich nicht schwerfallen, viele Tausend Menschen zu mobilisieren, die ganz deutlich ihr Staatsbürgerrecht einfordern.
Gewinn-Preis-Spirale, keine Lohn-Preis-Spirale?
tagesschau.de: Aus wirtschaftlicher Sicht wird ja auch immer wieder die Befürchtung geäußert, dass hohe Tarifabschlüsse eine Lohn-Preis-Spirale in Gang bringen könnten. Sie sehen das nicht so?
Fahimi: Nein. Das ist uns übrigens auch schon im letzten Jahr bei der ersten Konzertierten Aktion bestätigt worden, von Bundesbank und Sachverständigenrat. Dass die Inflation - im vergangenen Jahr wie in diesem Jahr - begründet ist durch die hohen Energiepreise und die gestörten Lieferketten, nicht durch die Lohnentwicklung. Insofern wünsche ich mir, dass man diese Debatte jetzt einfach mal beendet. Was wir tatsächlich letztes Jahr beobachtet haben, ist eine Gewinn-Preis-Spirale. Das heißt, dass entsprechende Kosten - durch Energie beispielsweise - einfach an die Kunden weitergegeben worden sind und dadurch die Preise gestiegen sind, bei gleichbleibendem oder sogar gestiegenem Gewinn der Unternehmen.
tagesschau.de: Begrüßen Sie, dass diese Gewinne jetzt auch abgeschöpft werden sollen?
Fahimi: Das ist genau richtig. Wie effizient das gelingt, ist allerdings eine andere Frage.
tagesschau.de: Sie sind da wenig zuversichtlich?
Fahimi: Es zeichnet sich ja ab, dass der Energiemarkt der Vergangenheit nicht mehr funktioniert und dass wir ein neues Energiemarktdesign brauchen. Insofern bin ich verhalten optimistisch, dass es jetzt durchaus die Bereitschaft gibt, auch darüber nachzudenken, wie wir insbesondere mit Blick auf die Energiepreise die Inflation in den Griff bekommen. Aber dazu muss man viele Hebel bewegen in Deutschland und auch auf EU-Ebene. Das halte ich für eine wesentliche Aufgabe.
tagesschau.de: Eine weitere Herausforderung wird zweifelsohne der Fachkräftemangel - und damit auch das Thema Bildung. Der Bildungsgipfel der Bundesregierung diese Woche brachte jedoch keine konkreten Ergebnisse. Waren Sie persönlich davon enttäuscht?
Fahimi: Ich bin schon enttäuscht darüber, dass es der Kultusministerkonferenz einfach nicht gelingt, wirklich mal über sehr grundsätzliche Reformen zu diskutieren. Die Länder halten allesamt - unabhängig von der parteipolitischen Farbe - daran fest, dass sie zu hundert Prozent zuständig sein wollen. Sie versagen aber leider in der Kooperation untereinander und in dem Gelingen eines besseren Bildungssystems in Deutschland. Immer noch verlassen viel zu viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne einen Abschluss. Dass wir da über Fachkräftemangel in Deutschland klagen, ist geradezu skurril.
Das Gespräch führte Jim-Bob Nickschas, ARD-Hauptstadtstudio, für das SWR-Interview der Woche.